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Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. II. Band.

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einer richtigen Auffassung geworden ist. Nachdem das Scheitern des ganzen
Frankfurter Werks die Aussicht auf die Annahme jenes Tarifes vereitelt hatte,
ließ sich von der Cabinetspolitik der Dresdner Conferenzen und des restau-
rirten Bundestags um so weniger etwas erwarten, als Oestreich jetzt wie
auf dem politischen so auch auf dem handelspolitischen Gebiete hervortrat
und Preußen zurückwich. Seit den Wiener Ministerialeonferenzen hatte Oest¬
reich sich neutral und passiv in den ökonomischen Fragen gehalten, es suchte
wohl den Beitritt einzelner Staaten zum Zollverein zu hintertreiben, schloß
sich selbst aber in seinem Prohibitivsystem vollständig ab. Nach Olmütz fühlte
es, daß es zur Befestigung seines Sieges gehöre, auch auf dem Gebiet der
materiellen Interessen Preußen die Führerschaft zu entreißen und machte unter
der Leitung Brucks große Anstrengungen, um dazu zu gelangen. Aber hier
rächte sich die jahrhundertlange Absperrung des Kaiserstaats von Deutsch¬
land, kraft derer es weit hinter demselben auch im Gewerbfleiß zurück¬
geblieben war. Brück erbot sich vom Verbotsystem zum Schutzzollsystem über¬
zugehen und eröffnete gleichzeitig die Phantasmagorie des Marktes eines
Siebzig-Millionenreiches. welche eine so große Rolle in den Verhandlungen
spielen, sollte. Es fand dabei der politischen Constellation gemäß die Unter¬
stützung von Bayern. Württemberg. Sachsen und beiden Hessen, während sich
die kleineren Staaten und die Hansestädte entschieden dagegen aussprachen
und Preußen aufforderten seine Stellung zu wahren. Und glücklicherweise
waren die Traditionen doch stark genug, um in Berlin nicht auch hier das
Vasallengefühl siegen zu lassen; die Negierung fühlte, daß sie ihre Führer¬
schaft wahren und sich zu dem Zweck nach Bundesgenossen umsehen müßte,
sie fand dieselben in Hannover und Oldenburg; am 7. Sept. 1851 ward der
sehr geheim verhandelte Septembervertrag abgeschlossen. Der Anstoß dazu
ist vielleicht ebenso sehr von Hannover als von Preußen ausgegangen, Fürst
Schwarzenberg hatte auf den Dresdner Conferenzen den hannoverschen Ver¬
treter Freiherrn v. Scheele wegen seiner liberaleren Tendenzen schroff be¬
handelt, Scheele suchte nach einem Anhalt gegen die schon hervortretenden
Bestrebungen seiner Ritterschaft, die Verfassung umzustürzen; außerdem war
es weiterblickenden hannoverschen Sachverständigen wie dem Generalsteuer-
director Klenze klar, daß auf die Länge der Steuerverein in seiner Jsolirung
nicht beharren könne und daß sich schwerlich ein Zeitpunkt finden lasse, in dem
Hannover auf günstigere Bedingungen mit dem Zollverein werde unter¬
handeln können. Für Preußen dagegen bot der Vertrag die große Wichtig¬
keit der freien Verbindung mit der Nordsee und brach der Drohung des
Südens, den Zollverein nur fortsetzen zu wollen, wenn Oestreich mit eintrete,
die Spitze ab. Mit Hannover vereint beherrschte es alle Straßen zum Meere,
und bildete ein so eompactes Gebiet für die materiellen Interessen, wie es


einer richtigen Auffassung geworden ist. Nachdem das Scheitern des ganzen
Frankfurter Werks die Aussicht auf die Annahme jenes Tarifes vereitelt hatte,
ließ sich von der Cabinetspolitik der Dresdner Conferenzen und des restau-
rirten Bundestags um so weniger etwas erwarten, als Oestreich jetzt wie
auf dem politischen so auch auf dem handelspolitischen Gebiete hervortrat
und Preußen zurückwich. Seit den Wiener Ministerialeonferenzen hatte Oest¬
reich sich neutral und passiv in den ökonomischen Fragen gehalten, es suchte
wohl den Beitritt einzelner Staaten zum Zollverein zu hintertreiben, schloß
sich selbst aber in seinem Prohibitivsystem vollständig ab. Nach Olmütz fühlte
es, daß es zur Befestigung seines Sieges gehöre, auch auf dem Gebiet der
materiellen Interessen Preußen die Führerschaft zu entreißen und machte unter
der Leitung Brucks große Anstrengungen, um dazu zu gelangen. Aber hier
rächte sich die jahrhundertlange Absperrung des Kaiserstaats von Deutsch¬
land, kraft derer es weit hinter demselben auch im Gewerbfleiß zurück¬
geblieben war. Brück erbot sich vom Verbotsystem zum Schutzzollsystem über¬
zugehen und eröffnete gleichzeitig die Phantasmagorie des Marktes eines
Siebzig-Millionenreiches. welche eine so große Rolle in den Verhandlungen
spielen, sollte. Es fand dabei der politischen Constellation gemäß die Unter¬
stützung von Bayern. Württemberg. Sachsen und beiden Hessen, während sich
die kleineren Staaten und die Hansestädte entschieden dagegen aussprachen
und Preußen aufforderten seine Stellung zu wahren. Und glücklicherweise
waren die Traditionen doch stark genug, um in Berlin nicht auch hier das
Vasallengefühl siegen zu lassen; die Negierung fühlte, daß sie ihre Führer¬
schaft wahren und sich zu dem Zweck nach Bundesgenossen umsehen müßte,
sie fand dieselben in Hannover und Oldenburg; am 7. Sept. 1851 ward der
sehr geheim verhandelte Septembervertrag abgeschlossen. Der Anstoß dazu
ist vielleicht ebenso sehr von Hannover als von Preußen ausgegangen, Fürst
Schwarzenberg hatte auf den Dresdner Conferenzen den hannoverschen Ver¬
treter Freiherrn v. Scheele wegen seiner liberaleren Tendenzen schroff be¬
handelt, Scheele suchte nach einem Anhalt gegen die schon hervortretenden
Bestrebungen seiner Ritterschaft, die Verfassung umzustürzen; außerdem war
es weiterblickenden hannoverschen Sachverständigen wie dem Generalsteuer-
director Klenze klar, daß auf die Länge der Steuerverein in seiner Jsolirung
nicht beharren könne und daß sich schwerlich ein Zeitpunkt finden lasse, in dem
Hannover auf günstigere Bedingungen mit dem Zollverein werde unter¬
handeln können. Für Preußen dagegen bot der Vertrag die große Wichtig¬
keit der freien Verbindung mit der Nordsee und brach der Drohung des
Südens, den Zollverein nur fortsetzen zu wollen, wenn Oestreich mit eintrete,
die Spitze ab. Mit Hannover vereint beherrschte es alle Straßen zum Meere,
und bildete ein so eompactes Gebiet für die materiellen Interessen, wie es


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_120686/103>, abgerufen am 24.07.2024.