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Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. I. Band.

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bewußtsein der Rechtsboden entzogen. Wie aber schon das allgemeine Land¬
recht die Schulen für Staatsanstalten erklärt und die Verfassung den Lehrern
die Rechte und Pflichten von Staatsdienern auferlegt, so gipfelt die Frage
wegen des Schulgeldes darin, ob die Mittel zur Einrichtung und Unterhal¬
tung dieser Anstalten nur von dem Staat, sei es direct durch Staatssteuern,
oder indirect durch die Communen zu beschaffen sind, oder ob es gerechtfertigt
ist, für die Benutzung dieser Anstalten auch von Denen, welchen die Vortheile
derselben zu Gute kommen, eine Gebühr zu erheben. Aus diesem Funda¬
mentalunterschiede zwischen Steuer und Gebühr und aus den Grund¬
sätzen für die Anwendung der einen oder anderen dieser Arten des Staats¬
einkommens läßt sich die vorliegende Frage allein mit Sicherheit entscheiden.
Dies erkennen indirect auch die Motive des Gesetzentwurfs an, wenn sie zur
Rechtfertigung des Schulgelds auf die Post-, Gerichts- und Stolgebühren,
die Wegegelder, Gesuchs- und Bescheidstempel Bezug nehmen, bei denen es
herkömmlich sei und von Jedermann in Ordnung gefunden werde, daß Die¬
jenigen, welche sich dieser Einrichtung bedienen, auch eine besondere Abgabe
als Beitrag zu den Unterhaltungskosten zu entrichten haben. Es ist dies
derselbe Gedanke, welchen der Verfasser des im vorigen Jahre erschienenen,
in einem Leitartikel der Kreuzzeitung empfohlenen Werks: "Die Kunst der
Besteuerung", Prof. Eisenbart, noch prägnanter ausdrückt, indem er sich
zu der Behauptung versteigt, daß, "wenn man nicht nur unentgeltliche Rechts¬
pflege und Aufhebung der Wegegelder, sondern auch freien Schulunterricht
fordere, nur noch ein Schritt bleibe bis zu den souveränen Ansprüchen des
classischen Pöbels von Athen und Rom auf freies Theater, Spiele, Opfer-
und Festschmäuse auf Regimentsunkosten!"

Nun liegt aber die Begründung der Zweckmäßigkeit und Zulässigkeit
der Gebühren nicht blos darin, daß eine Staatsleistung für einen Einzelne
und zwar auf die specielle Veranlassung desselben erfolgt und er darum zu
den Kosten derselben beizutragen hat, sondern es muß auch noch hinzu¬
kommen, daß es sich um Staatsletstungen handelt, deren Benutzung in das
Belieben des Einzelnen gestellt ist. Aus diesem Grunde rechtfertigen sich
nicht nur die Post-, Telegraphen- und Gerichtsgebühren, die Wegegelder und
Stempelabgaben (die Stolgebühren sind irrigerweise aufgeführt, denn sie
sind ein Aequivalent für eine Leistung der Kirche, nicht des Staats) --
sondern auch die Schulgelder für den Besuch von Gymnasien, Real- und
Fachschulen. -- Sobald aber der Einzelne von Staatswegen gezwungen
wird, die Staatsleistungen zu benutzen, so gewinnt die Gebühr den Charakter
einer Steuer, und zwar den Charakter einer ungleichmäßigen und ungerechten
-- weil die Steuerfähigkeit nicht berücksichtigenden Steuer. Dieser innige
Zusammenhang der Unentgeltlichkeit der Ertheilung des Volksunterrichts mit


bewußtsein der Rechtsboden entzogen. Wie aber schon das allgemeine Land¬
recht die Schulen für Staatsanstalten erklärt und die Verfassung den Lehrern
die Rechte und Pflichten von Staatsdienern auferlegt, so gipfelt die Frage
wegen des Schulgeldes darin, ob die Mittel zur Einrichtung und Unterhal¬
tung dieser Anstalten nur von dem Staat, sei es direct durch Staatssteuern,
oder indirect durch die Communen zu beschaffen sind, oder ob es gerechtfertigt
ist, für die Benutzung dieser Anstalten auch von Denen, welchen die Vortheile
derselben zu Gute kommen, eine Gebühr zu erheben. Aus diesem Funda¬
mentalunterschiede zwischen Steuer und Gebühr und aus den Grund¬
sätzen für die Anwendung der einen oder anderen dieser Arten des Staats¬
einkommens läßt sich die vorliegende Frage allein mit Sicherheit entscheiden.
Dies erkennen indirect auch die Motive des Gesetzentwurfs an, wenn sie zur
Rechtfertigung des Schulgelds auf die Post-, Gerichts- und Stolgebühren,
die Wegegelder, Gesuchs- und Bescheidstempel Bezug nehmen, bei denen es
herkömmlich sei und von Jedermann in Ordnung gefunden werde, daß Die¬
jenigen, welche sich dieser Einrichtung bedienen, auch eine besondere Abgabe
als Beitrag zu den Unterhaltungskosten zu entrichten haben. Es ist dies
derselbe Gedanke, welchen der Verfasser des im vorigen Jahre erschienenen,
in einem Leitartikel der Kreuzzeitung empfohlenen Werks: „Die Kunst der
Besteuerung", Prof. Eisenbart, noch prägnanter ausdrückt, indem er sich
zu der Behauptung versteigt, daß, „wenn man nicht nur unentgeltliche Rechts¬
pflege und Aufhebung der Wegegelder, sondern auch freien Schulunterricht
fordere, nur noch ein Schritt bleibe bis zu den souveränen Ansprüchen des
classischen Pöbels von Athen und Rom auf freies Theater, Spiele, Opfer-
und Festschmäuse auf Regimentsunkosten!"

Nun liegt aber die Begründung der Zweckmäßigkeit und Zulässigkeit
der Gebühren nicht blos darin, daß eine Staatsleistung für einen Einzelne
und zwar auf die specielle Veranlassung desselben erfolgt und er darum zu
den Kosten derselben beizutragen hat, sondern es muß auch noch hinzu¬
kommen, daß es sich um Staatsletstungen handelt, deren Benutzung in das
Belieben des Einzelnen gestellt ist. Aus diesem Grunde rechtfertigen sich
nicht nur die Post-, Telegraphen- und Gerichtsgebühren, die Wegegelder und
Stempelabgaben (die Stolgebühren sind irrigerweise aufgeführt, denn sie
sind ein Aequivalent für eine Leistung der Kirche, nicht des Staats) —
sondern auch die Schulgelder für den Besuch von Gymnasien, Real- und
Fachschulen. — Sobald aber der Einzelne von Staatswegen gezwungen
wird, die Staatsleistungen zu benutzen, so gewinnt die Gebühr den Charakter
einer Steuer, und zwar den Charakter einer ungleichmäßigen und ungerechten
— weil die Steuerfähigkeit nicht berücksichtigenden Steuer. Dieser innige
Zusammenhang der Unentgeltlichkeit der Ertheilung des Volksunterrichts mit


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[0077] bewußtsein der Rechtsboden entzogen. Wie aber schon das allgemeine Land¬ recht die Schulen für Staatsanstalten erklärt und die Verfassung den Lehrern die Rechte und Pflichten von Staatsdienern auferlegt, so gipfelt die Frage wegen des Schulgeldes darin, ob die Mittel zur Einrichtung und Unterhal¬ tung dieser Anstalten nur von dem Staat, sei es direct durch Staatssteuern, oder indirect durch die Communen zu beschaffen sind, oder ob es gerechtfertigt ist, für die Benutzung dieser Anstalten auch von Denen, welchen die Vortheile derselben zu Gute kommen, eine Gebühr zu erheben. Aus diesem Funda¬ mentalunterschiede zwischen Steuer und Gebühr und aus den Grund¬ sätzen für die Anwendung der einen oder anderen dieser Arten des Staats¬ einkommens läßt sich die vorliegende Frage allein mit Sicherheit entscheiden. Dies erkennen indirect auch die Motive des Gesetzentwurfs an, wenn sie zur Rechtfertigung des Schulgelds auf die Post-, Gerichts- und Stolgebühren, die Wegegelder, Gesuchs- und Bescheidstempel Bezug nehmen, bei denen es herkömmlich sei und von Jedermann in Ordnung gefunden werde, daß Die¬ jenigen, welche sich dieser Einrichtung bedienen, auch eine besondere Abgabe als Beitrag zu den Unterhaltungskosten zu entrichten haben. Es ist dies derselbe Gedanke, welchen der Verfasser des im vorigen Jahre erschienenen, in einem Leitartikel der Kreuzzeitung empfohlenen Werks: „Die Kunst der Besteuerung", Prof. Eisenbart, noch prägnanter ausdrückt, indem er sich zu der Behauptung versteigt, daß, „wenn man nicht nur unentgeltliche Rechts¬ pflege und Aufhebung der Wegegelder, sondern auch freien Schulunterricht fordere, nur noch ein Schritt bleibe bis zu den souveränen Ansprüchen des classischen Pöbels von Athen und Rom auf freies Theater, Spiele, Opfer- und Festschmäuse auf Regimentsunkosten!" Nun liegt aber die Begründung der Zweckmäßigkeit und Zulässigkeit der Gebühren nicht blos darin, daß eine Staatsleistung für einen Einzelne und zwar auf die specielle Veranlassung desselben erfolgt und er darum zu den Kosten derselben beizutragen hat, sondern es muß auch noch hinzu¬ kommen, daß es sich um Staatsletstungen handelt, deren Benutzung in das Belieben des Einzelnen gestellt ist. Aus diesem Grunde rechtfertigen sich nicht nur die Post-, Telegraphen- und Gerichtsgebühren, die Wegegelder und Stempelabgaben (die Stolgebühren sind irrigerweise aufgeführt, denn sie sind ein Aequivalent für eine Leistung der Kirche, nicht des Staats) — sondern auch die Schulgelder für den Besuch von Gymnasien, Real- und Fachschulen. — Sobald aber der Einzelne von Staatswegen gezwungen wird, die Staatsleistungen zu benutzen, so gewinnt die Gebühr den Charakter einer Steuer, und zwar den Charakter einer ungleichmäßigen und ungerechten — weil die Steuerfähigkeit nicht berücksichtigenden Steuer. Dieser innige Zusammenhang der Unentgeltlichkeit der Ertheilung des Volksunterrichts mit

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_120192/77>, abgerufen am 28.09.2024.