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Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. I. Band.

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fahren wird. Allein die Annahme dürfte nicht zutreffen, daß auch die
Familienväter, welche bisher dies Schulgeld zahlen mußten, in ihrer Vorliebe
für diese "eigenwüchfige und vom Rechtsbewußtsein des Volks getragene
Einrichtung" gegen die Umwandlung in eine Schulsteuer sich sträuben würden;
denn die letztere wird, weil sie sich auf eine weit größere Zahl von Bei¬
tragspflichtigen und zwar nach Maßgabe ihrer Steuerfähigkeit vertheilt, selbst
bei bemittelten Familien etwas geringer, bei ärmeren kinderreichen Familien
(und Armuth ist ja häufig mit Kinderreichthum gepaart) stets erheblich nied¬
riger sein, als das Schulgeld, welches jetzt oft den vier- und sechsfacher Be¬
trag der Jahressteuer des Familienhauptes übersteigt. Diese Erleichterung
der ärmeren Classen ist aber von um so größerer Bedeutung, als von ihnen
die für ihr Einkommen sehr große Ausgabe des Schulgeldes zu einer Zeit
gefordert wird, wo die Kinder nur kosten, aber Nichts verdienen, während
wenn die Kinder erst erwachsen und erwerbsfähig sind, die durch die Auf¬
hebung des Schulgeldes bedingte mäßige Steuererhöhung leichter getragen
werden kann. Die reichen Gutsbesitzer, Fabricanten und höheren Beamten,
welche ihren Kindern Hauslehrer halten oder sie höhere Schulen besuchen
lassen, die Unverheirateten und die kinderlosen Familien, welche für die Er¬
ziehung der Kinder gar keine Ausgaben haben, sie Alle entrichten dies Schul¬
geld nicht; -- das hat aber der Bauer und Handwerksmann, der Tagelöhner
und Fabrikarbeiter, der von der Hand in den Mund lebt, zu zahlen, und so
gilt auch hier, daß das Ende die Last trägt. Es ist darum auch unrichtig,
daß bei der Steuererhöhung größere Ausfälle entstehen würden, als bei den
Schulgeldern, und hat ja die Bestimmung, daß die Unbeibringlichkeit des
Schulgeldes noch nicht als Kriterium der Unterstützungsbcdürstigkeit einer
Familie angesehen werden soll, ihren Grund in der Erkenntniß, daß die
Schulgelder häufig auch von solchen Familien nicht gezahlt werden können,
welche die öffentliche Armenpflege noch keineswegs in Anspruch zu nehmen
genöthigt sind. Ganz eigenthümlich aber erscheint die Behauptung, daß durch
das Schulgeld "der Werth der Schule in den Augen der Eltern und
der Kinder steige" und dasselbe daher auf die Benutzung und Wirk¬
samkeit der öffentlichen Schulen einen heilsamen Einfluß äußere. Denn die
Kinder lernen in der Schule, weil sie lernen müssen oder auch weil sie zum
Lernen Lust haben, nicht aber, weil ihre Eiern für den Unterricht ein Schul¬
geld zahlen müssen, und die Eltern schicken -- selbst in den untersten Classen
-- die Kinder in die Schule, damit diese etwas lernen, nicht aber, damit
darin der Preis für das gezahlte Schulgeld herausgeschlagen werde; -- und
jedenfalls würde dann ja eine Steuererhöhung denselben heilsamen Einfluß
äußern. Wenn eine so niedrige Auffassung von der Bedeutung des Schul¬
geldes überhaupt möglich ist, so spricht dieselbe -- im Interesse der Lehrer


fahren wird. Allein die Annahme dürfte nicht zutreffen, daß auch die
Familienväter, welche bisher dies Schulgeld zahlen mußten, in ihrer Vorliebe
für diese „eigenwüchfige und vom Rechtsbewußtsein des Volks getragene
Einrichtung" gegen die Umwandlung in eine Schulsteuer sich sträuben würden;
denn die letztere wird, weil sie sich auf eine weit größere Zahl von Bei¬
tragspflichtigen und zwar nach Maßgabe ihrer Steuerfähigkeit vertheilt, selbst
bei bemittelten Familien etwas geringer, bei ärmeren kinderreichen Familien
(und Armuth ist ja häufig mit Kinderreichthum gepaart) stets erheblich nied¬
riger sein, als das Schulgeld, welches jetzt oft den vier- und sechsfacher Be¬
trag der Jahressteuer des Familienhauptes übersteigt. Diese Erleichterung
der ärmeren Classen ist aber von um so größerer Bedeutung, als von ihnen
die für ihr Einkommen sehr große Ausgabe des Schulgeldes zu einer Zeit
gefordert wird, wo die Kinder nur kosten, aber Nichts verdienen, während
wenn die Kinder erst erwachsen und erwerbsfähig sind, die durch die Auf¬
hebung des Schulgeldes bedingte mäßige Steuererhöhung leichter getragen
werden kann. Die reichen Gutsbesitzer, Fabricanten und höheren Beamten,
welche ihren Kindern Hauslehrer halten oder sie höhere Schulen besuchen
lassen, die Unverheirateten und die kinderlosen Familien, welche für die Er¬
ziehung der Kinder gar keine Ausgaben haben, sie Alle entrichten dies Schul¬
geld nicht; — das hat aber der Bauer und Handwerksmann, der Tagelöhner
und Fabrikarbeiter, der von der Hand in den Mund lebt, zu zahlen, und so
gilt auch hier, daß das Ende die Last trägt. Es ist darum auch unrichtig,
daß bei der Steuererhöhung größere Ausfälle entstehen würden, als bei den
Schulgeldern, und hat ja die Bestimmung, daß die Unbeibringlichkeit des
Schulgeldes noch nicht als Kriterium der Unterstützungsbcdürstigkeit einer
Familie angesehen werden soll, ihren Grund in der Erkenntniß, daß die
Schulgelder häufig auch von solchen Familien nicht gezahlt werden können,
welche die öffentliche Armenpflege noch keineswegs in Anspruch zu nehmen
genöthigt sind. Ganz eigenthümlich aber erscheint die Behauptung, daß durch
das Schulgeld „der Werth der Schule in den Augen der Eltern und
der Kinder steige" und dasselbe daher auf die Benutzung und Wirk¬
samkeit der öffentlichen Schulen einen heilsamen Einfluß äußere. Denn die
Kinder lernen in der Schule, weil sie lernen müssen oder auch weil sie zum
Lernen Lust haben, nicht aber, weil ihre Eiern für den Unterricht ein Schul¬
geld zahlen müssen, und die Eltern schicken — selbst in den untersten Classen
— die Kinder in die Schule, damit diese etwas lernen, nicht aber, damit
darin der Preis für das gezahlte Schulgeld herausgeschlagen werde; — und
jedenfalls würde dann ja eine Steuererhöhung denselben heilsamen Einfluß
äußern. Wenn eine so niedrige Auffassung von der Bedeutung des Schul¬
geldes überhaupt möglich ist, so spricht dieselbe — im Interesse der Lehrer


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_120192/75>, abgerufen am 28.09.2024.