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Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. I. Band.

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unentgeltliche Leistung und nicht als eine bezahlte Arbeit erscheinen läßt. In
der That ist es aber nur die alte Frage von der Zulässigkeit und Zweck¬
mäßigkeit der Erhebung eines Schulgeldes, welche dem Landtage wieder
vorgelegt wird -- jenes Schulgeldes, welches das allgemeine Landrecht so
wenig kennt, wie die Berfaffungsurkunde, und dessen Beseitigung im Ver¬
waltungswege der Minister v. Altenstein schon im Jahre 1851 zu bewirken
suchte, während dagegen der Minister v. Raumer das Schulgeld für eins
der naturgemäßesten Elemente der Lehrerbesoldung erklärte und seine sorg/
faltige Conservirung dringend empfahl. Dieser letzteren Ansicht schließt sich
der neue Gesetzentwurf an, dessen Motive das Schulgeld für eine "eigen-
wüchsige, von dem Rechtsbewußtsein des Volks getragene Einrichtung" er¬
klären, welche ihre tiefere Begründung in der in dem sittlichen Bewußtsein
der Nation lebenden Wahrheit finde, daß es in erster Linie nicht die Pflicht
des Staats und der Communen, sondern die Pflicht der Eltern sei, für leib¬
liche und geistige Ausbildung der Kinder zu sorgen, und erstere dann erst
einzutreten hätten, wenn letzteren die Kraft hierzu gebreche. Den Ausfall
des auf drei Millionen Thaler sich belaufenden Schulgeldes könne die Schule
nicht tragen; die Aufbringung dieses Betrags durch Steuerzuschläge werde
aber um so mehr Widerspruch hervorrufen, als jeder Hausvater die vor¬
übergehende, durch eigene schulpflichtige Kinder bedingte Schulgeldsabgabe
leichter und lieber zahle, als eine bleibende unabänderliche Erhöhung seiner
Steuerlast, weshalb auch an den Steuern weit mehr Ausfälle zu entstehen
Pflegten, als an den Schulgeldern. Endlich zeige das Schulgeld einen heil¬
samen Einfluß auf die Benutzung und Wirksamkeit der öffentlichen Volks¬
schule, indem ihr Werth in den Augen der Eltern und Kinder durch Ent¬
richtung des Schulgeldes steige.

Im Wesentlichen sind alle diese Gründe schon enthalten in einer vor
etwa 20 Jahren von dem Consistorialrath Textor in Stettin verfaßten
Apologie des Schulgeldes, dessen Broschüre seiner Zeit der Minister Laden¬
berg den Behörden mittheilte, damit dieselben ersähen, welche "Vorurtheile
und einseitigen Bedenken" der Aufhebung des Schulgeldes entgegengestellt
würden. Was zunächst die für das Schulgeld angeführten praktischen Gründe
anlangt, so sind dieselben theils factisch unrichtig, theils wird die Kehrseite
der Medaille übersehen oder doch ignorirt. Allerdings ist es unzweifelhaft,
daß weder die Schulen noch die Lehrer den Ausfall von drei Millionen
Thaler Schulgeld tragen können und daß diese Summe von den Communen
durch Steuerumlage wird aufgebracht werden müssen. Auch soll ohne
Weiteres zugegeben werden, daß bei denen, welchen die Aufhebung dieses
Schulgelds nicht zu Gute kommt, bei den Reichen, den Unverheirateten
und den kinderlosen Familien diese Maßregel hier und da Widerspruch er-


unentgeltliche Leistung und nicht als eine bezahlte Arbeit erscheinen läßt. In
der That ist es aber nur die alte Frage von der Zulässigkeit und Zweck¬
mäßigkeit der Erhebung eines Schulgeldes, welche dem Landtage wieder
vorgelegt wird — jenes Schulgeldes, welches das allgemeine Landrecht so
wenig kennt, wie die Berfaffungsurkunde, und dessen Beseitigung im Ver¬
waltungswege der Minister v. Altenstein schon im Jahre 1851 zu bewirken
suchte, während dagegen der Minister v. Raumer das Schulgeld für eins
der naturgemäßesten Elemente der Lehrerbesoldung erklärte und seine sorg/
faltige Conservirung dringend empfahl. Dieser letzteren Ansicht schließt sich
der neue Gesetzentwurf an, dessen Motive das Schulgeld für eine „eigen-
wüchsige, von dem Rechtsbewußtsein des Volks getragene Einrichtung" er¬
klären, welche ihre tiefere Begründung in der in dem sittlichen Bewußtsein
der Nation lebenden Wahrheit finde, daß es in erster Linie nicht die Pflicht
des Staats und der Communen, sondern die Pflicht der Eltern sei, für leib¬
liche und geistige Ausbildung der Kinder zu sorgen, und erstere dann erst
einzutreten hätten, wenn letzteren die Kraft hierzu gebreche. Den Ausfall
des auf drei Millionen Thaler sich belaufenden Schulgeldes könne die Schule
nicht tragen; die Aufbringung dieses Betrags durch Steuerzuschläge werde
aber um so mehr Widerspruch hervorrufen, als jeder Hausvater die vor¬
übergehende, durch eigene schulpflichtige Kinder bedingte Schulgeldsabgabe
leichter und lieber zahle, als eine bleibende unabänderliche Erhöhung seiner
Steuerlast, weshalb auch an den Steuern weit mehr Ausfälle zu entstehen
Pflegten, als an den Schulgeldern. Endlich zeige das Schulgeld einen heil¬
samen Einfluß auf die Benutzung und Wirksamkeit der öffentlichen Volks¬
schule, indem ihr Werth in den Augen der Eltern und Kinder durch Ent¬
richtung des Schulgeldes steige.

Im Wesentlichen sind alle diese Gründe schon enthalten in einer vor
etwa 20 Jahren von dem Consistorialrath Textor in Stettin verfaßten
Apologie des Schulgeldes, dessen Broschüre seiner Zeit der Minister Laden¬
berg den Behörden mittheilte, damit dieselben ersähen, welche „Vorurtheile
und einseitigen Bedenken" der Aufhebung des Schulgeldes entgegengestellt
würden. Was zunächst die für das Schulgeld angeführten praktischen Gründe
anlangt, so sind dieselben theils factisch unrichtig, theils wird die Kehrseite
der Medaille übersehen oder doch ignorirt. Allerdings ist es unzweifelhaft,
daß weder die Schulen noch die Lehrer den Ausfall von drei Millionen
Thaler Schulgeld tragen können und daß diese Summe von den Communen
durch Steuerumlage wird aufgebracht werden müssen. Auch soll ohne
Weiteres zugegeben werden, daß bei denen, welchen die Aufhebung dieses
Schulgelds nicht zu Gute kommt, bei den Reichen, den Unverheirateten
und den kinderlosen Familien diese Maßregel hier und da Widerspruch er-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_120192/74>, abgerufen am 28.09.2024.