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Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. I. Band.

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Professor, sondern auch auf den Autor über welchen dieser las, und so mußte
Cicero es sich gefallen lassen, daß er ihn für einen ausgemachten Wind¬
beutel ausgab und alle Dichter für Narren hielt, weil Clodius in seiner
Stunde über Horaz Vorlesungen hielt. Ueber die sächsische Regierung und
über die Advocaten ging es sehr hart her. Weil Dresden ein offener Ort
war. so nannte er ganz Sachsen einen öffentlichen Garten, wo der Feind
nach Belieben herein und heraus spazieren könne, wie es in gewissen öffent¬
lichen Häusern zu geschehen pflege. Die Advocaten nannte er sächsische
Mauerkröten. Seine publicistischen Grundsätze vertheidigte er wie ein preußi¬
scher Wachtmeister. "Wer mir meine Meem externam (meinen äußeren
Frieden) stört, den prügle ich yuantum s^dis est in inKmtum fort" sagte er
vom Katheder. Aber wiederum war seine Belesenheit, seine scharfe Beur¬
theilungskraft und sein lebhafter Geist sehr zu schätzen, denn er besaß
seltene Kenntnisse. Man mochte bei ihm ebenso gerne zuhören als nachschreiben.
Außerdem war er ein jovtalischer gelehrter Greis und in den kärglichen
Abendgesellschaften und Concerten, die er nicht besser geben konnte, übertraf
seine Laune und Unterhaltung Alles was man von einem jungen geistvollen
Mann erwarten konnte. Er starb einige Jahre später; die Regierung hatte
ihm in den letzten Jahren eine Pension ausgesetzt -- und sich also edelmüthtg
an seinem Tadel gerächt.

So pedantisch Biener die Pandekten vordictirte, so empfehlend wußte
Dr. Wolle seine Institutiones vorzutragen. Er las sie lateinisch mit der Sprachan¬
nehmlichkeit eines Cicero und wußte durch Fragen seine Zuhörer zu erwecken.
Man sah Einige sehr richtig antworten; jedoch verstand er die Kunst, die Ant¬
worten auch zu erlassen wo sie nicht freiwillig gegeben wurden. Als ich ihm einige
Mal nach dem Compendio antwortetete, wünschte er einefreimüthige Definition,
wodurch mir diese Stunde eine der schwierigsten wurde, mich aber auch zum
Examinatorio am schicklichsten vorbereitete. Mit seiner Beredtsamkeit war eine edle
Bescheidenheit verbunden; er war mir auch einer meiner liebsten Lehrer, und
als ich wegen einer Erkältung einige Stunden ausblieb, besuchte er mich
frühmorgens und bewies mir seine Theilnahme. Er selbst studirte so fleißig,
daß er die Nacht, von seinen Folianten umgeben, sich mit ihnen laut unter¬
redete und in seiner angenehmen Sprache unterhielt. Dieses erzählte mir
ein liebenswürdiger Augenzeuge, der mich selten aber um so unvergeßlicher
besuchte. Dieser war einige Zeit bei Dr. Wolle gewesen, wir achteten, den¬
selben Mann und ich liebte jenen Augenzeugen gar sehr.

Ein anderer noch junger aber angenehmer Lehrer war Dr. Erhardt. In
dem ersten Jahre war er noch Student mit mir zusammen; er disputirte
öffentlich und ward Dr., worauf er Collegia zu lesen anfing. Er hatte sich
dem Staatsrechte gewidmet, und schlug auf meinen Vorschlag ein Collegium


Professor, sondern auch auf den Autor über welchen dieser las, und so mußte
Cicero es sich gefallen lassen, daß er ihn für einen ausgemachten Wind¬
beutel ausgab und alle Dichter für Narren hielt, weil Clodius in seiner
Stunde über Horaz Vorlesungen hielt. Ueber die sächsische Regierung und
über die Advocaten ging es sehr hart her. Weil Dresden ein offener Ort
war. so nannte er ganz Sachsen einen öffentlichen Garten, wo der Feind
nach Belieben herein und heraus spazieren könne, wie es in gewissen öffent¬
lichen Häusern zu geschehen pflege. Die Advocaten nannte er sächsische
Mauerkröten. Seine publicistischen Grundsätze vertheidigte er wie ein preußi¬
scher Wachtmeister. „Wer mir meine Meem externam (meinen äußeren
Frieden) stört, den prügle ich yuantum s^dis est in inKmtum fort" sagte er
vom Katheder. Aber wiederum war seine Belesenheit, seine scharfe Beur¬
theilungskraft und sein lebhafter Geist sehr zu schätzen, denn er besaß
seltene Kenntnisse. Man mochte bei ihm ebenso gerne zuhören als nachschreiben.
Außerdem war er ein jovtalischer gelehrter Greis und in den kärglichen
Abendgesellschaften und Concerten, die er nicht besser geben konnte, übertraf
seine Laune und Unterhaltung Alles was man von einem jungen geistvollen
Mann erwarten konnte. Er starb einige Jahre später; die Regierung hatte
ihm in den letzten Jahren eine Pension ausgesetzt — und sich also edelmüthtg
an seinem Tadel gerächt.

So pedantisch Biener die Pandekten vordictirte, so empfehlend wußte
Dr. Wolle seine Institutiones vorzutragen. Er las sie lateinisch mit der Sprachan¬
nehmlichkeit eines Cicero und wußte durch Fragen seine Zuhörer zu erwecken.
Man sah Einige sehr richtig antworten; jedoch verstand er die Kunst, die Ant¬
worten auch zu erlassen wo sie nicht freiwillig gegeben wurden. Als ich ihm einige
Mal nach dem Compendio antwortetete, wünschte er einefreimüthige Definition,
wodurch mir diese Stunde eine der schwierigsten wurde, mich aber auch zum
Examinatorio am schicklichsten vorbereitete. Mit seiner Beredtsamkeit war eine edle
Bescheidenheit verbunden; er war mir auch einer meiner liebsten Lehrer, und
als ich wegen einer Erkältung einige Stunden ausblieb, besuchte er mich
frühmorgens und bewies mir seine Theilnahme. Er selbst studirte so fleißig,
daß er die Nacht, von seinen Folianten umgeben, sich mit ihnen laut unter¬
redete und in seiner angenehmen Sprache unterhielt. Dieses erzählte mir
ein liebenswürdiger Augenzeuge, der mich selten aber um so unvergeßlicher
besuchte. Dieser war einige Zeit bei Dr. Wolle gewesen, wir achteten, den¬
selben Mann und ich liebte jenen Augenzeugen gar sehr.

Ein anderer noch junger aber angenehmer Lehrer war Dr. Erhardt. In
dem ersten Jahre war er noch Student mit mir zusammen; er disputirte
öffentlich und ward Dr., worauf er Collegia zu lesen anfing. Er hatte sich
dem Staatsrechte gewidmet, und schlug auf meinen Vorschlag ein Collegium


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[0058] Professor, sondern auch auf den Autor über welchen dieser las, und so mußte Cicero es sich gefallen lassen, daß er ihn für einen ausgemachten Wind¬ beutel ausgab und alle Dichter für Narren hielt, weil Clodius in seiner Stunde über Horaz Vorlesungen hielt. Ueber die sächsische Regierung und über die Advocaten ging es sehr hart her. Weil Dresden ein offener Ort war. so nannte er ganz Sachsen einen öffentlichen Garten, wo der Feind nach Belieben herein und heraus spazieren könne, wie es in gewissen öffent¬ lichen Häusern zu geschehen pflege. Die Advocaten nannte er sächsische Mauerkröten. Seine publicistischen Grundsätze vertheidigte er wie ein preußi¬ scher Wachtmeister. „Wer mir meine Meem externam (meinen äußeren Frieden) stört, den prügle ich yuantum s^dis est in inKmtum fort" sagte er vom Katheder. Aber wiederum war seine Belesenheit, seine scharfe Beur¬ theilungskraft und sein lebhafter Geist sehr zu schätzen, denn er besaß seltene Kenntnisse. Man mochte bei ihm ebenso gerne zuhören als nachschreiben. Außerdem war er ein jovtalischer gelehrter Greis und in den kärglichen Abendgesellschaften und Concerten, die er nicht besser geben konnte, übertraf seine Laune und Unterhaltung Alles was man von einem jungen geistvollen Mann erwarten konnte. Er starb einige Jahre später; die Regierung hatte ihm in den letzten Jahren eine Pension ausgesetzt — und sich also edelmüthtg an seinem Tadel gerächt. So pedantisch Biener die Pandekten vordictirte, so empfehlend wußte Dr. Wolle seine Institutiones vorzutragen. Er las sie lateinisch mit der Sprachan¬ nehmlichkeit eines Cicero und wußte durch Fragen seine Zuhörer zu erwecken. Man sah Einige sehr richtig antworten; jedoch verstand er die Kunst, die Ant¬ worten auch zu erlassen wo sie nicht freiwillig gegeben wurden. Als ich ihm einige Mal nach dem Compendio antwortetete, wünschte er einefreimüthige Definition, wodurch mir diese Stunde eine der schwierigsten wurde, mich aber auch zum Examinatorio am schicklichsten vorbereitete. Mit seiner Beredtsamkeit war eine edle Bescheidenheit verbunden; er war mir auch einer meiner liebsten Lehrer, und als ich wegen einer Erkältung einige Stunden ausblieb, besuchte er mich frühmorgens und bewies mir seine Theilnahme. Er selbst studirte so fleißig, daß er die Nacht, von seinen Folianten umgeben, sich mit ihnen laut unter¬ redete und in seiner angenehmen Sprache unterhielt. Dieses erzählte mir ein liebenswürdiger Augenzeuge, der mich selten aber um so unvergeßlicher besuchte. Dieser war einige Zeit bei Dr. Wolle gewesen, wir achteten, den¬ selben Mann und ich liebte jenen Augenzeugen gar sehr. Ein anderer noch junger aber angenehmer Lehrer war Dr. Erhardt. In dem ersten Jahre war er noch Student mit mir zusammen; er disputirte öffentlich und ward Dr., worauf er Collegia zu lesen anfing. Er hatte sich dem Staatsrechte gewidmet, und schlug auf meinen Vorschlag ein Collegium

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_120192/58>, abgerufen am 28.09.2024.