Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

rismen anzugreifen, sodaß dem Weltweisen nun wirklich bange wurde und
er es für unschicklich fand, sich mit einem freidenkenden Schriftsteller in eine
offene Fehde einzulassen. --

Unter meinen akademischen Lehrern muß ich eines alten Originals er¬
wähnen. -- Es war der Dr. Sammt, ehemaliger preußischer Unteroffizier,
der wegen seiner juristischen Kenntnisse, sowie wegen seines derben und
eigenen Vortrags sehr besucht wurde. Sein ^us uawr.lo war es, worin er
wie ein Rousseau sich durch Paradoxe und in der Redestellung seines Autors
Gundling auszeichnete. -- Brachte dieser Gundling einen Satz vor, den
Sammt nicht billigte, dann hieß es: Komm einmal her, Gundling, was hast
du gesagt? Nun widerlegte er selbst. Gundling antwortete und der Dialog
endigte sich gemeiniglich damit, daß Gundling den Kürzern zog und als¬
dann öffentlich hören mußte: das hast du, Gundling, schlechtgemacht; pfui
schäme dich, ut lo äieiim. Wegen seiner Grobheit im Disputiren war es
ihm amtlich untersagt worden, bei öffentlichen Promotionen und akademischen
Versammlungen gleich andern Professoren öffentlich zu reden und zu dis-
putiren, und dazu war die Veranlassung eine von einem Dr. Bachmann
geschriebene Dissertation über das 1>rot,wen Mvetioni". Unser Sammt ver¬
urteilte diesen selbstgeschaffenen Werth einer Sache, sowie Bachmann ihn
vertheidigte. Es kam zu Vergleichen und zu Persönlichkeiten; Sammt
meinte, auf Bachmann's Weise könne man in eine Nähnadel auch einen be¬
sondern Werth setzen, denn Bachmann's Vater war ein guter Schneider ge¬
wesen. "O ja" erwiederte dieser, "so gut als wie in eine veraltete Patron¬
tasche." Das Ende dieses harten Kampfes, in welchem der gewesene preußi¬
sche Unterofficier besonders durch den Beifall der gegenwärtigen Studenten
die Oberhand behielt, war, daß Bachmann, als er nach Hause kam, sich so
angegriffen fühlte, daß er nach einigen Tagen seinen Geist aufgab. Man
konnte indeß diesem Alten seinen Werth nicht absprechen, er besaß eine Menge
eigene Ideen; man hörte ihn gerne seine 70jährigen Kenntnisse mit preußischer
Festigkeit mittheilen; dennoch ging er darin zu weit, daß er auch bei den
rohen Studenten durch schlüpfrigen Vovtrag Beifall suchte. Wenn er in
'einem .1",-" l'nbllcc, aus die Regenten kam, so erzählte er wie die Kaiserin
Katharina II. ihn zur Anfertigung eine<ü neuen Gesetzbuches nach Se. Peters¬
burg berufen habe, daß aber der plötzlich eingetretene strenge Winter ihn
'"'"gehalten habe. Schwerlich hätte dieser eigensinnige Veteran sich mit seinen
vorgesetzten vertragen können und so that er wohl, in seinem grünen langen
Talar auf dem leipziger Katheder zu bleiben und die ^ouisd'or seiner Zu¬
hörer als einen sehr ungewissen und getheilten Beifall zu erwerben. Wenn
irgend ein Professor die Stunde, in welcher er las, mit einem Publico (einer
unentgeltlichen Vorlesung) besetzte, dann schimpfte er nicht nur auf diesen


rismen anzugreifen, sodaß dem Weltweisen nun wirklich bange wurde und
er es für unschicklich fand, sich mit einem freidenkenden Schriftsteller in eine
offene Fehde einzulassen. —

Unter meinen akademischen Lehrern muß ich eines alten Originals er¬
wähnen. — Es war der Dr. Sammt, ehemaliger preußischer Unteroffizier,
der wegen seiner juristischen Kenntnisse, sowie wegen seines derben und
eigenen Vortrags sehr besucht wurde. Sein ^us uawr.lo war es, worin er
wie ein Rousseau sich durch Paradoxe und in der Redestellung seines Autors
Gundling auszeichnete. — Brachte dieser Gundling einen Satz vor, den
Sammt nicht billigte, dann hieß es: Komm einmal her, Gundling, was hast
du gesagt? Nun widerlegte er selbst. Gundling antwortete und der Dialog
endigte sich gemeiniglich damit, daß Gundling den Kürzern zog und als¬
dann öffentlich hören mußte: das hast du, Gundling, schlechtgemacht; pfui
schäme dich, ut lo äieiim. Wegen seiner Grobheit im Disputiren war es
ihm amtlich untersagt worden, bei öffentlichen Promotionen und akademischen
Versammlungen gleich andern Professoren öffentlich zu reden und zu dis-
putiren, und dazu war die Veranlassung eine von einem Dr. Bachmann
geschriebene Dissertation über das 1>rot,wen Mvetioni». Unser Sammt ver¬
urteilte diesen selbstgeschaffenen Werth einer Sache, sowie Bachmann ihn
vertheidigte. Es kam zu Vergleichen und zu Persönlichkeiten; Sammt
meinte, auf Bachmann's Weise könne man in eine Nähnadel auch einen be¬
sondern Werth setzen, denn Bachmann's Vater war ein guter Schneider ge¬
wesen. „O ja" erwiederte dieser, „so gut als wie in eine veraltete Patron¬
tasche." Das Ende dieses harten Kampfes, in welchem der gewesene preußi¬
sche Unterofficier besonders durch den Beifall der gegenwärtigen Studenten
die Oberhand behielt, war, daß Bachmann, als er nach Hause kam, sich so
angegriffen fühlte, daß er nach einigen Tagen seinen Geist aufgab. Man
konnte indeß diesem Alten seinen Werth nicht absprechen, er besaß eine Menge
eigene Ideen; man hörte ihn gerne seine 70jährigen Kenntnisse mit preußischer
Festigkeit mittheilen; dennoch ging er darin zu weit, daß er auch bei den
rohen Studenten durch schlüpfrigen Vovtrag Beifall suchte. Wenn er in
'einem .1»,-« l'nbllcc, aus die Regenten kam, so erzählte er wie die Kaiserin
Katharina II. ihn zur Anfertigung eine<ü neuen Gesetzbuches nach Se. Peters¬
burg berufen habe, daß aber der plötzlich eingetretene strenge Winter ihn
'"'»gehalten habe. Schwerlich hätte dieser eigensinnige Veteran sich mit seinen
vorgesetzten vertragen können und so that er wohl, in seinem grünen langen
Talar auf dem leipziger Katheder zu bleiben und die ^ouisd'or seiner Zu¬
hörer als einen sehr ungewissen und getheilten Beifall zu erwerben. Wenn
irgend ein Professor die Stunde, in welcher er las, mit einem Publico (einer
unentgeltlichen Vorlesung) besetzte, dann schimpfte er nicht nur auf diesen


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0057" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/120246"/>
          <p xml:id="ID_155" prev="#ID_154"> rismen anzugreifen, sodaß dem Weltweisen nun wirklich bange wurde und<lb/>
er es für unschicklich fand, sich mit einem freidenkenden Schriftsteller in eine<lb/>
offene Fehde einzulassen. &#x2014;</p><lb/>
          <p xml:id="ID_156" next="#ID_157"> Unter meinen akademischen Lehrern muß ich eines alten Originals er¬<lb/>
wähnen. &#x2014; Es war der Dr. Sammt, ehemaliger preußischer Unteroffizier,<lb/>
der wegen seiner juristischen Kenntnisse, sowie wegen seines derben und<lb/>
eigenen Vortrags sehr besucht wurde. Sein ^us uawr.lo war es, worin er<lb/>
wie ein Rousseau sich durch Paradoxe und in der Redestellung seines Autors<lb/>
Gundling auszeichnete. &#x2014; Brachte dieser Gundling einen Satz vor, den<lb/>
Sammt nicht billigte, dann hieß es: Komm einmal her, Gundling, was hast<lb/>
du gesagt? Nun widerlegte er selbst. Gundling antwortete und der Dialog<lb/>
endigte sich gemeiniglich damit, daß Gundling den Kürzern zog und als¬<lb/>
dann öffentlich hören mußte: das hast du, Gundling, schlechtgemacht; pfui<lb/>
schäme dich, ut lo äieiim. Wegen seiner Grobheit im Disputiren war es<lb/>
ihm amtlich untersagt worden, bei öffentlichen Promotionen und akademischen<lb/>
Versammlungen gleich andern Professoren öffentlich zu reden und zu dis-<lb/>
putiren, und dazu war die Veranlassung eine von einem Dr. Bachmann<lb/>
geschriebene Dissertation über das 1&gt;rot,wen Mvetioni». Unser Sammt ver¬<lb/>
urteilte diesen selbstgeschaffenen Werth einer Sache, sowie Bachmann ihn<lb/>
vertheidigte. Es kam zu Vergleichen und zu Persönlichkeiten; Sammt<lb/>
meinte, auf Bachmann's Weise könne man in eine Nähnadel auch einen be¬<lb/>
sondern Werth setzen, denn Bachmann's Vater war ein guter Schneider ge¬<lb/>
wesen. &#x201E;O ja" erwiederte dieser, &#x201E;so gut als wie in eine veraltete Patron¬<lb/>
tasche." Das Ende dieses harten Kampfes, in welchem der gewesene preußi¬<lb/>
sche Unterofficier besonders durch den Beifall der gegenwärtigen Studenten<lb/>
die Oberhand behielt, war, daß Bachmann, als er nach Hause kam, sich so<lb/>
angegriffen fühlte, daß er nach einigen Tagen seinen Geist aufgab. Man<lb/>
konnte indeß diesem Alten seinen Werth nicht absprechen, er besaß eine Menge<lb/>
eigene Ideen; man hörte ihn gerne seine 70jährigen Kenntnisse mit preußischer<lb/>
Festigkeit mittheilen; dennoch ging er darin zu weit, daß er auch bei den<lb/>
rohen Studenten durch schlüpfrigen Vovtrag Beifall suchte. Wenn er in<lb/>
'einem .1»,-« l'nbllcc, aus die Regenten kam, so erzählte er wie die Kaiserin<lb/>
Katharina II. ihn zur Anfertigung eine&lt;ü neuen Gesetzbuches nach Se. Peters¬<lb/>
burg berufen habe, daß aber der plötzlich eingetretene strenge Winter ihn<lb/>
'"'»gehalten habe. Schwerlich hätte dieser eigensinnige Veteran sich mit seinen<lb/>
vorgesetzten vertragen können und so that er wohl, in seinem grünen langen<lb/>
Talar auf dem leipziger Katheder zu bleiben und die ^ouisd'or seiner Zu¬<lb/>
hörer als einen sehr ungewissen und getheilten Beifall zu erwerben. Wenn<lb/>
irgend ein Professor die Stunde, in welcher er las, mit einem Publico (einer<lb/>
unentgeltlichen Vorlesung) besetzte, dann schimpfte er nicht nur auf diesen</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0057] rismen anzugreifen, sodaß dem Weltweisen nun wirklich bange wurde und er es für unschicklich fand, sich mit einem freidenkenden Schriftsteller in eine offene Fehde einzulassen. — Unter meinen akademischen Lehrern muß ich eines alten Originals er¬ wähnen. — Es war der Dr. Sammt, ehemaliger preußischer Unteroffizier, der wegen seiner juristischen Kenntnisse, sowie wegen seines derben und eigenen Vortrags sehr besucht wurde. Sein ^us uawr.lo war es, worin er wie ein Rousseau sich durch Paradoxe und in der Redestellung seines Autors Gundling auszeichnete. — Brachte dieser Gundling einen Satz vor, den Sammt nicht billigte, dann hieß es: Komm einmal her, Gundling, was hast du gesagt? Nun widerlegte er selbst. Gundling antwortete und der Dialog endigte sich gemeiniglich damit, daß Gundling den Kürzern zog und als¬ dann öffentlich hören mußte: das hast du, Gundling, schlechtgemacht; pfui schäme dich, ut lo äieiim. Wegen seiner Grobheit im Disputiren war es ihm amtlich untersagt worden, bei öffentlichen Promotionen und akademischen Versammlungen gleich andern Professoren öffentlich zu reden und zu dis- putiren, und dazu war die Veranlassung eine von einem Dr. Bachmann geschriebene Dissertation über das 1>rot,wen Mvetioni». Unser Sammt ver¬ urteilte diesen selbstgeschaffenen Werth einer Sache, sowie Bachmann ihn vertheidigte. Es kam zu Vergleichen und zu Persönlichkeiten; Sammt meinte, auf Bachmann's Weise könne man in eine Nähnadel auch einen be¬ sondern Werth setzen, denn Bachmann's Vater war ein guter Schneider ge¬ wesen. „O ja" erwiederte dieser, „so gut als wie in eine veraltete Patron¬ tasche." Das Ende dieses harten Kampfes, in welchem der gewesene preußi¬ sche Unterofficier besonders durch den Beifall der gegenwärtigen Studenten die Oberhand behielt, war, daß Bachmann, als er nach Hause kam, sich so angegriffen fühlte, daß er nach einigen Tagen seinen Geist aufgab. Man konnte indeß diesem Alten seinen Werth nicht absprechen, er besaß eine Menge eigene Ideen; man hörte ihn gerne seine 70jährigen Kenntnisse mit preußischer Festigkeit mittheilen; dennoch ging er darin zu weit, daß er auch bei den rohen Studenten durch schlüpfrigen Vovtrag Beifall suchte. Wenn er in 'einem .1»,-« l'nbllcc, aus die Regenten kam, so erzählte er wie die Kaiserin Katharina II. ihn zur Anfertigung eine<ü neuen Gesetzbuches nach Se. Peters¬ burg berufen habe, daß aber der plötzlich eingetretene strenge Winter ihn '"'»gehalten habe. Schwerlich hätte dieser eigensinnige Veteran sich mit seinen vorgesetzten vertragen können und so that er wohl, in seinem grünen langen Talar auf dem leipziger Katheder zu bleiben und die ^ouisd'or seiner Zu¬ hörer als einen sehr ungewissen und getheilten Beifall zu erwerben. Wenn irgend ein Professor die Stunde, in welcher er las, mit einem Publico (einer unentgeltlichen Vorlesung) besetzte, dann schimpfte er nicht nur auf diesen

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_120192
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_120192/57
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_120192/57>, abgerufen am 28.09.2024.