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Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. I. Band.

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melden. Unterdeß habe ich sammt den anderen dreien, die bei mir im Walde
blieben, großen Mangel an Lebensmitteln empfunden, so daß wir vom
Dienstag bis auf Sonnabend kein Brot in unseren Mund gebracht; zu be¬
sonderem Glück fand mein Diener noch etliche Rüben, eine Meile entfernt,
auf einem Rübenacker. Ich aber habe großes und stetiges Verlangen nach
den zweien getragen, die ich ausgeschickt, und da ich meinte, daß sie ge¬
fangen wären- und ich dadurch ausgekundschaftet werden könnte, habe ich bei
Tag und Nacht einen meiner Diener auf Schildwacht stehen lassen, zuletzt
für rathsam angesehen, meine Briefe zu verbrennen, meine Kisten und Fell¬
eisen in die Erde zu vergraben; und damit man die Stelle nicht erkennen
sollte, habe ich ein großes Feuer darüber machen lassen.

Am Morgen des 22. October haben wir eine starke Anzahl schwedischer
Schützen gesehen, welche uns alsbald feindlich anliefen. Obwol wir ihnen
keinen Widerstand leisteten, sondern ihnen unserer Abrede nach zu verstehen
gaben, daß wir Fremde wären und in ihres Königs Dienst treten wollten;
so haben sie uns doch kein Gehör gegeben, sondern Seiten- und Obergewehr
mit Gewalt abgenommen und darauf den Ernst Lindeiner, welcher eine
blaue Haube aufhalte und den sie deshalb für einen Russen ansahen, durch
den Rücken geschossen, darnach uns dessen beraubt, was sie in der Eile bei
uns finden konnten. Darauf haben sie uns fortgeführt an die Mündung
der Narva, dort den Bootsleuten, die aus den Schiffen vor Anker lagen,
zugeschrieen und begehrt, daß sie die Boote ans Land schicken sollten. Als¬
bald kamen zwei Boote von den nächsten zwei Schiffen zu uns. da haben sie
uns getheilt, und wich mit sammt Ernst Lindeiner auf das eine Boot gesetzt
und auf das Schiff "der weiße Schwan" geführt, worauf der Unleradmiral
war. Wie wir herankamen, fragte der Unteradmiral Olaf Hising. der neben
einem anderen Schiffshauptmann, David Pfeil, an dem Schiffsbord lag, die
Knechte, was sie brächten. Die gaben zur Antwort, daß sie auf der russi¬
schen Seite etliche Leute gefangen hätten, die sich für Deutsche aufgaben.
Da befahl er uns, heraufzukommen. Da aber gedachter David Pfeil, sonst
ein Deutscher und zu Lübeck geboren, der aber mit dem Rath der Stadt in
Feindschaft gerathen und in des Königs von Schweden Dienst gegangen war,
hörte, daß wir Deutsche wären, empfing er uns auf gut Deutsch mit diesen
Worten: "Herauf ins Teufels Namen! ' Darnach befragten sie uns, wer wir
wären und wie wir nach Rußland gekommen. Darauf gab ich ihnen zur
Antwort, es wären unser drei von Adel sammt einem Diener und Jungerr
zu Lübeck einig geworden, nach del Naroa zu fahren und uns in der schwe-
dischen Majestät Kriegsdienst zu begeben, wenn wir unserem Stande nach
passenden Unterhalt erlangen könnten. Der Schiffer, dieser Gegend nicht son-
derlich kundig, sei mit dem Schiff auf eine Sandbank gelaufen, weshalb wir


melden. Unterdeß habe ich sammt den anderen dreien, die bei mir im Walde
blieben, großen Mangel an Lebensmitteln empfunden, so daß wir vom
Dienstag bis auf Sonnabend kein Brot in unseren Mund gebracht; zu be¬
sonderem Glück fand mein Diener noch etliche Rüben, eine Meile entfernt,
auf einem Rübenacker. Ich aber habe großes und stetiges Verlangen nach
den zweien getragen, die ich ausgeschickt, und da ich meinte, daß sie ge¬
fangen wären- und ich dadurch ausgekundschaftet werden könnte, habe ich bei
Tag und Nacht einen meiner Diener auf Schildwacht stehen lassen, zuletzt
für rathsam angesehen, meine Briefe zu verbrennen, meine Kisten und Fell¬
eisen in die Erde zu vergraben; und damit man die Stelle nicht erkennen
sollte, habe ich ein großes Feuer darüber machen lassen.

Am Morgen des 22. October haben wir eine starke Anzahl schwedischer
Schützen gesehen, welche uns alsbald feindlich anliefen. Obwol wir ihnen
keinen Widerstand leisteten, sondern ihnen unserer Abrede nach zu verstehen
gaben, daß wir Fremde wären und in ihres Königs Dienst treten wollten;
so haben sie uns doch kein Gehör gegeben, sondern Seiten- und Obergewehr
mit Gewalt abgenommen und darauf den Ernst Lindeiner, welcher eine
blaue Haube aufhalte und den sie deshalb für einen Russen ansahen, durch
den Rücken geschossen, darnach uns dessen beraubt, was sie in der Eile bei
uns finden konnten. Darauf haben sie uns fortgeführt an die Mündung
der Narva, dort den Bootsleuten, die aus den Schiffen vor Anker lagen,
zugeschrieen und begehrt, daß sie die Boote ans Land schicken sollten. Als¬
bald kamen zwei Boote von den nächsten zwei Schiffen zu uns. da haben sie
uns getheilt, und wich mit sammt Ernst Lindeiner auf das eine Boot gesetzt
und auf das Schiff „der weiße Schwan" geführt, worauf der Unleradmiral
war. Wie wir herankamen, fragte der Unteradmiral Olaf Hising. der neben
einem anderen Schiffshauptmann, David Pfeil, an dem Schiffsbord lag, die
Knechte, was sie brächten. Die gaben zur Antwort, daß sie auf der russi¬
schen Seite etliche Leute gefangen hätten, die sich für Deutsche aufgaben.
Da befahl er uns, heraufzukommen. Da aber gedachter David Pfeil, sonst
ein Deutscher und zu Lübeck geboren, der aber mit dem Rath der Stadt in
Feindschaft gerathen und in des Königs von Schweden Dienst gegangen war,
hörte, daß wir Deutsche wären, empfing er uns auf gut Deutsch mit diesen
Worten: „Herauf ins Teufels Namen! ' Darnach befragten sie uns, wer wir
wären und wie wir nach Rußland gekommen. Darauf gab ich ihnen zur
Antwort, es wären unser drei von Adel sammt einem Diener und Jungerr
zu Lübeck einig geworden, nach del Naroa zu fahren und uns in der schwe-
dischen Majestät Kriegsdienst zu begeben, wenn wir unserem Stande nach
passenden Unterhalt erlangen könnten. Der Schiffer, dieser Gegend nicht son-
derlich kundig, sei mit dem Schiff auf eine Sandbank gelaufen, weshalb wir


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_120192/473>, abgerufen am 28.09.2024.