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Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. I. Band.

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auch dem Schiffer einen schriftlichen Beweis seiner vollbrachten Reise unter
meinem Siegel ausgefertigt, damit er den Rest der Schiffsmiethe mit 200
Tkalern. die ich zu Lübeck niedergelegt hatte, bekommen möchte. Darauf
ist er ohne Säumen dem Schiff wieder zugefahren, ich aber habe mich durch
einen dicken Wald, der nahe dabei war, an einen sumpfigen und brüchigen
Ort begeben und alsbald meinen Begleiter Ernst mit dem Dolmetsch, der
dieser Gegend kundig zu sein vorgab, ausgeschickt und ihm ein Schreiben an
Iwan Andreowitsch, damals Statthalter zu Jwanogorod zugestellt und be¬
fohlen, daß sie sich dorthin verfügen und meine Ankunft melden sollten.
Darauf sind sie fortgegangen, aber am folgenden Tage ungefähr um Mittag
wieder zurückgekommen und haben angezeigt, daß sie in zwei Dörfern wol auf
drei Meilen Entfernung gewesen, aber keinen Menschen angetroffen, wiewol in
den Dörfern glühende Kohlen und warme Stuben, auch Hunde waren, ein
Zeichen, daß kurz vorher Leute daselbst gewesen. Darauf habe ich den Dol¬
metsch, dem ich eine stattliche Verehrung zugesagt, und Johann Förster
wiederum eilends fortgeschickt, aber das Schreiben an Iwan Andreowitsch
habe ich ihnen nicht mitgegeben. Denn als ich hörte, daß keine Leute in
den Dörfern waren, hat mir nichts Gutes geahnt. Zu meinem sonderlichen
Unglück war an demselben Tage, wo ich an das Land kam, nämlich den
16. Oktober, der Waffenstillstand zwischen Russen und Schweden aufgekündigt,
die Russen hatten sich wiederum in die Festungen begeben, und die Schweden
waren mit ziemlicher Feldstärke ins Land gefallen und hatten dasselbe auf etliche
Meilen durchstreift. Als meine Diener solches von den Schweden, die sie
auf dem Wege trafen, erfuhren, entschlossen sie sich, in die deutsche Stadt
Narva zu gehen und daselbst gründlichen Bericht in der Stille einzuziehen.
Als sie dort ankamen und erfuhren, daß es ganz unmöglich sei, in eine russi¬
sche Festung zu kommen, ersann der Dolmetsch einen anderen Anschlag,
welcher gar nicht so schlecht gewesen wäre, wenn das Glück nur ein wenig
hätte dienen wollen. Denn er meldete sich bei dem schwedischen Admiral,
gab vor, daß er mit einem deutschen Schiff und einer Ladung Bier, Aepfel
und anderem Proviant ein paar Meilen außerhalb der Mündung auf den
Sand gelaufen, und bat deshalb, ihm eine Schule zu gönnen, damit er von
dem Schiff etwas abladen und dasselbe erleichtern könne. Dies hat der Admiral
ohne Widerrede bewilligt. Es ist aber des Dolmetsch Intention gewesen,
mit der Schule an die Stelle zu kommen, wo ich mich versteckt hielt, damit
ich selbst mit dem Schiffer abschlösse, daß er mich mit Dienern und Gepäck
auf des Königs von Polen Gebiet, etwa nach Pernau führte und dort ab¬
setzte. Sie bekamen die Schule, aber der Wind wollte sich zum Auslaufen
nicht fügen. Da ersahen sie für rathsam, daß Hans Förster sich auf der
russischen Seite absetzen ließe, um mir den Anschlag wegen der Schule zu


auch dem Schiffer einen schriftlichen Beweis seiner vollbrachten Reise unter
meinem Siegel ausgefertigt, damit er den Rest der Schiffsmiethe mit 200
Tkalern. die ich zu Lübeck niedergelegt hatte, bekommen möchte. Darauf
ist er ohne Säumen dem Schiff wieder zugefahren, ich aber habe mich durch
einen dicken Wald, der nahe dabei war, an einen sumpfigen und brüchigen
Ort begeben und alsbald meinen Begleiter Ernst mit dem Dolmetsch, der
dieser Gegend kundig zu sein vorgab, ausgeschickt und ihm ein Schreiben an
Iwan Andreowitsch, damals Statthalter zu Jwanogorod zugestellt und be¬
fohlen, daß sie sich dorthin verfügen und meine Ankunft melden sollten.
Darauf sind sie fortgegangen, aber am folgenden Tage ungefähr um Mittag
wieder zurückgekommen und haben angezeigt, daß sie in zwei Dörfern wol auf
drei Meilen Entfernung gewesen, aber keinen Menschen angetroffen, wiewol in
den Dörfern glühende Kohlen und warme Stuben, auch Hunde waren, ein
Zeichen, daß kurz vorher Leute daselbst gewesen. Darauf habe ich den Dol¬
metsch, dem ich eine stattliche Verehrung zugesagt, und Johann Förster
wiederum eilends fortgeschickt, aber das Schreiben an Iwan Andreowitsch
habe ich ihnen nicht mitgegeben. Denn als ich hörte, daß keine Leute in
den Dörfern waren, hat mir nichts Gutes geahnt. Zu meinem sonderlichen
Unglück war an demselben Tage, wo ich an das Land kam, nämlich den
16. Oktober, der Waffenstillstand zwischen Russen und Schweden aufgekündigt,
die Russen hatten sich wiederum in die Festungen begeben, und die Schweden
waren mit ziemlicher Feldstärke ins Land gefallen und hatten dasselbe auf etliche
Meilen durchstreift. Als meine Diener solches von den Schweden, die sie
auf dem Wege trafen, erfuhren, entschlossen sie sich, in die deutsche Stadt
Narva zu gehen und daselbst gründlichen Bericht in der Stille einzuziehen.
Als sie dort ankamen und erfuhren, daß es ganz unmöglich sei, in eine russi¬
sche Festung zu kommen, ersann der Dolmetsch einen anderen Anschlag,
welcher gar nicht so schlecht gewesen wäre, wenn das Glück nur ein wenig
hätte dienen wollen. Denn er meldete sich bei dem schwedischen Admiral,
gab vor, daß er mit einem deutschen Schiff und einer Ladung Bier, Aepfel
und anderem Proviant ein paar Meilen außerhalb der Mündung auf den
Sand gelaufen, und bat deshalb, ihm eine Schule zu gönnen, damit er von
dem Schiff etwas abladen und dasselbe erleichtern könne. Dies hat der Admiral
ohne Widerrede bewilligt. Es ist aber des Dolmetsch Intention gewesen,
mit der Schule an die Stelle zu kommen, wo ich mich versteckt hielt, damit
ich selbst mit dem Schiffer abschlösse, daß er mich mit Dienern und Gepäck
auf des Königs von Polen Gebiet, etwa nach Pernau führte und dort ab¬
setzte. Sie bekamen die Schule, aber der Wind wollte sich zum Auslaufen
nicht fügen. Da ersahen sie für rathsam, daß Hans Förster sich auf der
russischen Seite absetzen ließe, um mir den Anschlag wegen der Schule zu


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_120192/472>, abgerufen am 28.09.2024.