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Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. I. Band.

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flössen war, zu erklären. Die große nationale Einheit, welche aus Angeln,
Sachsen und Nordmannen in Britannien erwuchs, hat diese Besiedelung der
Erde in immer größeren Verhältnissen bis zur Gegenwart fortgeführt.

Auch die deutschen Germanen haben seit der Völkerwanderung nicht
aufgehört, die Fremde zu durchfahren. Sie vorzugsweise haben den euro¬
päischen Osten mit Stationen deutschen Lebens überzogen, zum Theil völlig
germanisirt, haben einzelne Reisende und kleine Haufen in jedem Jahrhunderte
des Mittelalters durch fast alle Länder der bekannten Erde gesandt. Auch
seit die Kreuzfahrten und großen Römerzuge aufhörten, dauerte das Wandern
der Deutschen nach Italien, Nowogorod, dem heiligen Lande; und nicht nur die
hansischen Schiffer durchfuhren die Nordmeere bis zu den entlegensten Küsten,
auch die niedersächsischen Bauern bauten ihre Holzhäuser nahe am schwarzen
Meer, schwäbische Landleute pilgerten zum schwarzen Stern von Compostella,
und Männer von rittermäßigen Geschlecht suchten Schläge, Beute und Land¬
besitz im Reich von Byzanz und später an der Türkengrenze, in Italien,
Spanien und Portugal. Besonderes Interesse erhalten die Wanderungen
einzelner Söhne aus rittermäßigen Familien im 13. und 16. Jahrhundert;
denn seitdem unternehmen Manche von ihnen, ihre Erlebnisse niederzuschreiben
oder aufzeichnen zu lassen. An diesen Aufzeichnungen erkennen wir recht
genau den Wechsel in den leitenden Interessen, welche zur Reise lockten.
Zuerst ist es außer dem Gelübde und religiösen Verpflichtungen der alte
Wunsch. Rittersitte und Hosbrauch in der Fremde kennen zulernen, deutscher
Kampflust in einem Heidenkriege zu genügen und von einem fremden König
ein Stück Goldbrocat oder den Orden einer ritterlichen Gesellschaft zu
erhalten, weil solche Auszeichnungen in der Heimath Ansehen geben. Seit
dem Ende des 15. Jahrhunderts aber, wo die Fürstenmacht hoch steigt, die
moverne Politik der Regierungen beginnt, fangen unsere Junker allmälig
an, in die lateinische Schule zu gehen. Die alte Reiselust dauert, aber sie
ziehen j/tzt nicht nur nach Frankreich, Italien und Spanien, um welscher
Sitte mächtig zu werden, oder um als Landsknecht, Höfling und Reiter das
Glück zu suchen, sie beobachten auch die Fremde mit neuem Interesse, Kurio¬
sitäten alter Zeit, Seltsamkeiten der Natur, sie sprechen lateinisch, besuchen
wol auch Gelehrte, die Sammlungen von Kunstwerken großer Herren und
die Trümmer antiker Amphitheater, und schrieben römische Inschriften ab.

Seit den letzten Jahrzehnten des 16. .Jahrhunderts hat vielleicht keine
Landschaft Deutschlands so viele junge Adlige von einiger wissenschaftlicher
Bildung in die Fremde gesandt, als Schlesien. Zu diesen Wanderlustigen
gehört der Sohn eines alten schlesischen Geschlechts Erich Lassota, dessen
Tagebuch durch Herrn Dr. Schottin aus einem Manuscript der Gersdorff-
Weich'ichen Stifisbibliothek zu Bautzen herausgegeben wurde. Wir sind dem


flössen war, zu erklären. Die große nationale Einheit, welche aus Angeln,
Sachsen und Nordmannen in Britannien erwuchs, hat diese Besiedelung der
Erde in immer größeren Verhältnissen bis zur Gegenwart fortgeführt.

Auch die deutschen Germanen haben seit der Völkerwanderung nicht
aufgehört, die Fremde zu durchfahren. Sie vorzugsweise haben den euro¬
päischen Osten mit Stationen deutschen Lebens überzogen, zum Theil völlig
germanisirt, haben einzelne Reisende und kleine Haufen in jedem Jahrhunderte
des Mittelalters durch fast alle Länder der bekannten Erde gesandt. Auch
seit die Kreuzfahrten und großen Römerzuge aufhörten, dauerte das Wandern
der Deutschen nach Italien, Nowogorod, dem heiligen Lande; und nicht nur die
hansischen Schiffer durchfuhren die Nordmeere bis zu den entlegensten Küsten,
auch die niedersächsischen Bauern bauten ihre Holzhäuser nahe am schwarzen
Meer, schwäbische Landleute pilgerten zum schwarzen Stern von Compostella,
und Männer von rittermäßigen Geschlecht suchten Schläge, Beute und Land¬
besitz im Reich von Byzanz und später an der Türkengrenze, in Italien,
Spanien und Portugal. Besonderes Interesse erhalten die Wanderungen
einzelner Söhne aus rittermäßigen Familien im 13. und 16. Jahrhundert;
denn seitdem unternehmen Manche von ihnen, ihre Erlebnisse niederzuschreiben
oder aufzeichnen zu lassen. An diesen Aufzeichnungen erkennen wir recht
genau den Wechsel in den leitenden Interessen, welche zur Reise lockten.
Zuerst ist es außer dem Gelübde und religiösen Verpflichtungen der alte
Wunsch. Rittersitte und Hosbrauch in der Fremde kennen zulernen, deutscher
Kampflust in einem Heidenkriege zu genügen und von einem fremden König
ein Stück Goldbrocat oder den Orden einer ritterlichen Gesellschaft zu
erhalten, weil solche Auszeichnungen in der Heimath Ansehen geben. Seit
dem Ende des 15. Jahrhunderts aber, wo die Fürstenmacht hoch steigt, die
moverne Politik der Regierungen beginnt, fangen unsere Junker allmälig
an, in die lateinische Schule zu gehen. Die alte Reiselust dauert, aber sie
ziehen j/tzt nicht nur nach Frankreich, Italien und Spanien, um welscher
Sitte mächtig zu werden, oder um als Landsknecht, Höfling und Reiter das
Glück zu suchen, sie beobachten auch die Fremde mit neuem Interesse, Kurio¬
sitäten alter Zeit, Seltsamkeiten der Natur, sie sprechen lateinisch, besuchen
wol auch Gelehrte, die Sammlungen von Kunstwerken großer Herren und
die Trümmer antiker Amphitheater, und schrieben römische Inschriften ab.

Seit den letzten Jahrzehnten des 16. .Jahrhunderts hat vielleicht keine
Landschaft Deutschlands so viele junge Adlige von einiger wissenschaftlicher
Bildung in die Fremde gesandt, als Schlesien. Zu diesen Wanderlustigen
gehört der Sohn eines alten schlesischen Geschlechts Erich Lassota, dessen
Tagebuch durch Herrn Dr. Schottin aus einem Manuscript der Gersdorff-
Weich'ichen Stifisbibliothek zu Bautzen herausgegeben wurde. Wir sind dem


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[0470] flössen war, zu erklären. Die große nationale Einheit, welche aus Angeln, Sachsen und Nordmannen in Britannien erwuchs, hat diese Besiedelung der Erde in immer größeren Verhältnissen bis zur Gegenwart fortgeführt. Auch die deutschen Germanen haben seit der Völkerwanderung nicht aufgehört, die Fremde zu durchfahren. Sie vorzugsweise haben den euro¬ päischen Osten mit Stationen deutschen Lebens überzogen, zum Theil völlig germanisirt, haben einzelne Reisende und kleine Haufen in jedem Jahrhunderte des Mittelalters durch fast alle Länder der bekannten Erde gesandt. Auch seit die Kreuzfahrten und großen Römerzuge aufhörten, dauerte das Wandern der Deutschen nach Italien, Nowogorod, dem heiligen Lande; und nicht nur die hansischen Schiffer durchfuhren die Nordmeere bis zu den entlegensten Küsten, auch die niedersächsischen Bauern bauten ihre Holzhäuser nahe am schwarzen Meer, schwäbische Landleute pilgerten zum schwarzen Stern von Compostella, und Männer von rittermäßigen Geschlecht suchten Schläge, Beute und Land¬ besitz im Reich von Byzanz und später an der Türkengrenze, in Italien, Spanien und Portugal. Besonderes Interesse erhalten die Wanderungen einzelner Söhne aus rittermäßigen Familien im 13. und 16. Jahrhundert; denn seitdem unternehmen Manche von ihnen, ihre Erlebnisse niederzuschreiben oder aufzeichnen zu lassen. An diesen Aufzeichnungen erkennen wir recht genau den Wechsel in den leitenden Interessen, welche zur Reise lockten. Zuerst ist es außer dem Gelübde und religiösen Verpflichtungen der alte Wunsch. Rittersitte und Hosbrauch in der Fremde kennen zulernen, deutscher Kampflust in einem Heidenkriege zu genügen und von einem fremden König ein Stück Goldbrocat oder den Orden einer ritterlichen Gesellschaft zu erhalten, weil solche Auszeichnungen in der Heimath Ansehen geben. Seit dem Ende des 15. Jahrhunderts aber, wo die Fürstenmacht hoch steigt, die moverne Politik der Regierungen beginnt, fangen unsere Junker allmälig an, in die lateinische Schule zu gehen. Die alte Reiselust dauert, aber sie ziehen j/tzt nicht nur nach Frankreich, Italien und Spanien, um welscher Sitte mächtig zu werden, oder um als Landsknecht, Höfling und Reiter das Glück zu suchen, sie beobachten auch die Fremde mit neuem Interesse, Kurio¬ sitäten alter Zeit, Seltsamkeiten der Natur, sie sprechen lateinisch, besuchen wol auch Gelehrte, die Sammlungen von Kunstwerken großer Herren und die Trümmer antiker Amphitheater, und schrieben römische Inschriften ab. Seit den letzten Jahrzehnten des 16. .Jahrhunderts hat vielleicht keine Landschaft Deutschlands so viele junge Adlige von einiger wissenschaftlicher Bildung in die Fremde gesandt, als Schlesien. Zu diesen Wanderlustigen gehört der Sohn eines alten schlesischen Geschlechts Erich Lassota, dessen Tagebuch durch Herrn Dr. Schottin aus einem Manuscript der Gersdorff- Weich'ichen Stifisbibliothek zu Bautzen herausgegeben wurde. Wir sind dem

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_120192/470>, abgerufen am 28.09.2024.