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Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. I. Band.

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Wendung zu nehmen scheinen, der Marquis de Lavalette in Paris an
Moustier's Stelle tritt. Letzterer kennt zwar die orientalischen Dinge auch
genau und stand für sich immer auf Seiten der Pforte, aber er war ver¬
braucht und hatte sich durch sein zu entzündbares Herz in Paris in ähnliche
unangenehme persönliche Beziehungen verstricken lassen wie es in Berlin und
Wien der Fall gewesen, sein Abgang stand daher schon seit einiger Zeit sest

Aber die Wahl des Nachfolgers ist bezeichnend. Man sagt wohl, die
Minister bedeuteten unter dem persönlichen Regiment Nichts; aber dies ist
nur insofern wahr, als sie nicht in Folge von parlamentarischen Niederlagen
wechseln, sondern nach Gutdünken des Kaisers. Der Wechsel selbst erfolgt
doch jedesmal mit genauer Berücksichtigung der Persönlichkeiten. Nach der
Niederlage der französischen Politik von 1866 war für die Zeit der Sammlung
und Vorbereitung eine neutrale Persönlichkeit im auswärtigen Amte geboten.
Diese fand sich in Moustier, der bei seiner clericalen Richtung durch die
Wendung, welche die römische Frage im Herbst 1867 nahm, sich neu befestigte
und seinen Collegen Lavalette, welcher um sein Portefeuille warb, zum
Weichen zwang. Jetzt tritt dieser an seine Stelle und man wird wohl thun,
sich zu erinnern, welche prononcirte Rolle Lord Stratford im Anfang
der orientalischen Wirren 1832 als Botschafter in Constantinopel spielte.
Es klingt kaum sehr beruhigend, wenn das Blatt, welches für am meisten
inspirirt über die auswärtige Politik gelten darf, die France, Lavalette's Aus¬
gabe dahin präcisirt, nicht ausschließlich die Fortdauer des Friedens zu
sichern, sondern auch die Bedingungen zu einem dauernden und festen Frieden
zu schaffen. Worte von einer verdächtigen Elasticität.

Mit diesem Ministerwechsel trifft der in Downing Street zusammen.
Daß Lord Clarendon nicht gesonnen ist, die viel gepriesene und wenig bewährte
Stanley'sche Politik der Nichtintervention um jeden Preis einfach fortzusetzen,
beweist schon der ganz geänderte Ton der Regierungspresse, die zwar gegen
einen zweiten Krimkrieg protestirt, aber eben so nachdrücklich erklärt, daß
die Flotten der Westmächte Rußland nicht gestatten würden, zu Gunsten
Griechenlands zu interveniren. Lord Stanley hat seinem Nachfolger ein
böses Vermächtniß durch seine Rede in Kings Lynn hinterlassen, welche in
seiner Stellung als Wink für die Feinde der Pforte ausgelegt werden mußte,
daß England einem Angriff auf dieselbe ruhig zusehen würde. Lord Clarendon
wird diese Erbschaft, trotzdem Bright jetzt sein College ist, eum denööeio
inventarii antreten und sich erinnern, daß für den Orient die französische
Allianz sich als die sicherste Stütze der englischen Politik bewährt hat; grade
auf diesem Gebiet dürften die persönlichen Beziehungen wichtig werden, welche
er mit Napoleon hat und die vom Krimkrieg datiren.

Keiner Großmacht konnte diese Verwickelung ungelegener kommen


Wendung zu nehmen scheinen, der Marquis de Lavalette in Paris an
Moustier's Stelle tritt. Letzterer kennt zwar die orientalischen Dinge auch
genau und stand für sich immer auf Seiten der Pforte, aber er war ver¬
braucht und hatte sich durch sein zu entzündbares Herz in Paris in ähnliche
unangenehme persönliche Beziehungen verstricken lassen wie es in Berlin und
Wien der Fall gewesen, sein Abgang stand daher schon seit einiger Zeit sest

Aber die Wahl des Nachfolgers ist bezeichnend. Man sagt wohl, die
Minister bedeuteten unter dem persönlichen Regiment Nichts; aber dies ist
nur insofern wahr, als sie nicht in Folge von parlamentarischen Niederlagen
wechseln, sondern nach Gutdünken des Kaisers. Der Wechsel selbst erfolgt
doch jedesmal mit genauer Berücksichtigung der Persönlichkeiten. Nach der
Niederlage der französischen Politik von 1866 war für die Zeit der Sammlung
und Vorbereitung eine neutrale Persönlichkeit im auswärtigen Amte geboten.
Diese fand sich in Moustier, der bei seiner clericalen Richtung durch die
Wendung, welche die römische Frage im Herbst 1867 nahm, sich neu befestigte
und seinen Collegen Lavalette, welcher um sein Portefeuille warb, zum
Weichen zwang. Jetzt tritt dieser an seine Stelle und man wird wohl thun,
sich zu erinnern, welche prononcirte Rolle Lord Stratford im Anfang
der orientalischen Wirren 1832 als Botschafter in Constantinopel spielte.
Es klingt kaum sehr beruhigend, wenn das Blatt, welches für am meisten
inspirirt über die auswärtige Politik gelten darf, die France, Lavalette's Aus¬
gabe dahin präcisirt, nicht ausschließlich die Fortdauer des Friedens zu
sichern, sondern auch die Bedingungen zu einem dauernden und festen Frieden
zu schaffen. Worte von einer verdächtigen Elasticität.

Mit diesem Ministerwechsel trifft der in Downing Street zusammen.
Daß Lord Clarendon nicht gesonnen ist, die viel gepriesene und wenig bewährte
Stanley'sche Politik der Nichtintervention um jeden Preis einfach fortzusetzen,
beweist schon der ganz geänderte Ton der Regierungspresse, die zwar gegen
einen zweiten Krimkrieg protestirt, aber eben so nachdrücklich erklärt, daß
die Flotten der Westmächte Rußland nicht gestatten würden, zu Gunsten
Griechenlands zu interveniren. Lord Stanley hat seinem Nachfolger ein
böses Vermächtniß durch seine Rede in Kings Lynn hinterlassen, welche in
seiner Stellung als Wink für die Feinde der Pforte ausgelegt werden mußte,
daß England einem Angriff auf dieselbe ruhig zusehen würde. Lord Clarendon
wird diese Erbschaft, trotzdem Bright jetzt sein College ist, eum denööeio
inventarii antreten und sich erinnern, daß für den Orient die französische
Allianz sich als die sicherste Stütze der englischen Politik bewährt hat; grade
auf diesem Gebiet dürften die persönlichen Beziehungen wichtig werden, welche
er mit Napoleon hat und die vom Krimkrieg datiren.

Keiner Großmacht konnte diese Verwickelung ungelegener kommen


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[0046] Wendung zu nehmen scheinen, der Marquis de Lavalette in Paris an Moustier's Stelle tritt. Letzterer kennt zwar die orientalischen Dinge auch genau und stand für sich immer auf Seiten der Pforte, aber er war ver¬ braucht und hatte sich durch sein zu entzündbares Herz in Paris in ähnliche unangenehme persönliche Beziehungen verstricken lassen wie es in Berlin und Wien der Fall gewesen, sein Abgang stand daher schon seit einiger Zeit sest Aber die Wahl des Nachfolgers ist bezeichnend. Man sagt wohl, die Minister bedeuteten unter dem persönlichen Regiment Nichts; aber dies ist nur insofern wahr, als sie nicht in Folge von parlamentarischen Niederlagen wechseln, sondern nach Gutdünken des Kaisers. Der Wechsel selbst erfolgt doch jedesmal mit genauer Berücksichtigung der Persönlichkeiten. Nach der Niederlage der französischen Politik von 1866 war für die Zeit der Sammlung und Vorbereitung eine neutrale Persönlichkeit im auswärtigen Amte geboten. Diese fand sich in Moustier, der bei seiner clericalen Richtung durch die Wendung, welche die römische Frage im Herbst 1867 nahm, sich neu befestigte und seinen Collegen Lavalette, welcher um sein Portefeuille warb, zum Weichen zwang. Jetzt tritt dieser an seine Stelle und man wird wohl thun, sich zu erinnern, welche prononcirte Rolle Lord Stratford im Anfang der orientalischen Wirren 1832 als Botschafter in Constantinopel spielte. Es klingt kaum sehr beruhigend, wenn das Blatt, welches für am meisten inspirirt über die auswärtige Politik gelten darf, die France, Lavalette's Aus¬ gabe dahin präcisirt, nicht ausschließlich die Fortdauer des Friedens zu sichern, sondern auch die Bedingungen zu einem dauernden und festen Frieden zu schaffen. Worte von einer verdächtigen Elasticität. Mit diesem Ministerwechsel trifft der in Downing Street zusammen. Daß Lord Clarendon nicht gesonnen ist, die viel gepriesene und wenig bewährte Stanley'sche Politik der Nichtintervention um jeden Preis einfach fortzusetzen, beweist schon der ganz geänderte Ton der Regierungspresse, die zwar gegen einen zweiten Krimkrieg protestirt, aber eben so nachdrücklich erklärt, daß die Flotten der Westmächte Rußland nicht gestatten würden, zu Gunsten Griechenlands zu interveniren. Lord Stanley hat seinem Nachfolger ein böses Vermächtniß durch seine Rede in Kings Lynn hinterlassen, welche in seiner Stellung als Wink für die Feinde der Pforte ausgelegt werden mußte, daß England einem Angriff auf dieselbe ruhig zusehen würde. Lord Clarendon wird diese Erbschaft, trotzdem Bright jetzt sein College ist, eum denööeio inventarii antreten und sich erinnern, daß für den Orient die französische Allianz sich als die sicherste Stütze der englischen Politik bewährt hat; grade auf diesem Gebiet dürften die persönlichen Beziehungen wichtig werden, welche er mit Napoleon hat und die vom Krimkrieg datiren. Keiner Großmacht konnte diese Verwickelung ungelegener kommen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_120192/46>, abgerufen am 28.09.2024.