Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

leuten ausgehend eine Strömung immer entschiedener Bahn gebrochen, welche
auf den vollen und unbedingten Anschluß an die Freistadt Hamburg abzielt.
Lange wagte man nicht, das verhängnißvolle Wort auszusprechen. Als jedoch
Graf Bismarck bei einem neulichen Jagdbesuche in Holstein den Gedanken
sehr unbefangen aä reterenäuin aufnahm, wird das Projekt eines Aus¬
tausches Altonas gegen Kuxhafen und das Hamburger Landgebiet von allen
Klassen der altonaer Bevölkerung mit täglich wachsender Vorliebe erörtert.
Ich bin überzeugt, käme es heute in Altona zur Abstimmung über die An¬
schlußfrage, es würde sich ein fast einmüthiges Votum für den Anschluß
ergeben.

Solches Ergebniß, auch ich mache kein Hehl daraus, würde die beste
Städteordnung sein, die Altona zu Theil werden könnte. Ein kurzsichtiger
und engherziger preußischer Partikularismus wird den Gedanken vielleicht
abscheulich finden und ihn durch den mannhaften Wunsch, Hamburg durch
Preußen annectiren zu lassen, niederzuschlagen versuchen. Die nationale Partei
Norddeutschlands -wird sich aber hoffentlich nicht so schwierig zeigen. Was
Preußen aufgibt zu Gunsten des Bundesstaats ist für Preußen nicht ver-
loren, und für die Gesammtheit Gewinn. Es ist sehr wol möglich und
vielleicht wahrscheinlich, daß über kurz oder lang die dynastischen Partikula¬
ritäten des norddeutschen Bundes als unverträglich mit den Nationen In¬
teressen dem Einheitsstaate zum Opfer fallen. Eine gleiche Nothwendigkeit
kann an die Hansestädte vernünftiger Weise nicht herantreten, und es war
eine glückliche Fügung der Geschichte, daß sie im Jahre 1866 das Loos
Frankfurts nicht theilten. Ihre republikanische Souveränetät kann der natio¬
nalen Macht nie irgend welchen Abbruch thun, und der staatlichen Einheit
nie irgend welche Gefahren bereiten. Was ihnen im natürlichen Lauf der
Entwickelung, nachdem Post- und Eisenbahnwesen, die Hoheit auf dem Strome
und dem Meere, die Militärgewalt und Vertretung im Auslande, Münz¬
regal und Gerichtsbarkeit auf den Bund übergegangen sein werden, an Sou¬
veränetät übrig bleibt, und eigentlich schon heute nur noch übrig ist, ist eine
freie Munizipalverfassung, ein vollständiges Selfgovernement. wie es manche
große und kleine Stadt Altenglands durch Jahrhunderte hindurch un¬
behindert genossen haben. Das deutsche Bürgerthum hatte alle Ur¬
sache, ohne Scheelsucht und Mißgunst auf diese Freiheiten zu schauen,
ihnen allen Segen und alles Gedeihen zu wünschen, das die Epi¬
gonen der alten Hansa um ihrer glänzenden geschichtlichen Vergangenheit
und ihrer tüchtigen Leistungen im Welthandel der Gegenwart wol ver¬
dienen. Wir können zum Nutzen und Frommen der bürgerlichen Freiheit
in Deutschland die freien Städte noch recht lange brauchen. Und wenn eine
durch ihre Lage so fest an das freistädtische Gebiet gekittete Stadt, wie


leuten ausgehend eine Strömung immer entschiedener Bahn gebrochen, welche
auf den vollen und unbedingten Anschluß an die Freistadt Hamburg abzielt.
Lange wagte man nicht, das verhängnißvolle Wort auszusprechen. Als jedoch
Graf Bismarck bei einem neulichen Jagdbesuche in Holstein den Gedanken
sehr unbefangen aä reterenäuin aufnahm, wird das Projekt eines Aus¬
tausches Altonas gegen Kuxhafen und das Hamburger Landgebiet von allen
Klassen der altonaer Bevölkerung mit täglich wachsender Vorliebe erörtert.
Ich bin überzeugt, käme es heute in Altona zur Abstimmung über die An¬
schlußfrage, es würde sich ein fast einmüthiges Votum für den Anschluß
ergeben.

Solches Ergebniß, auch ich mache kein Hehl daraus, würde die beste
Städteordnung sein, die Altona zu Theil werden könnte. Ein kurzsichtiger
und engherziger preußischer Partikularismus wird den Gedanken vielleicht
abscheulich finden und ihn durch den mannhaften Wunsch, Hamburg durch
Preußen annectiren zu lassen, niederzuschlagen versuchen. Die nationale Partei
Norddeutschlands -wird sich aber hoffentlich nicht so schwierig zeigen. Was
Preußen aufgibt zu Gunsten des Bundesstaats ist für Preußen nicht ver-
loren, und für die Gesammtheit Gewinn. Es ist sehr wol möglich und
vielleicht wahrscheinlich, daß über kurz oder lang die dynastischen Partikula¬
ritäten des norddeutschen Bundes als unverträglich mit den Nationen In¬
teressen dem Einheitsstaate zum Opfer fallen. Eine gleiche Nothwendigkeit
kann an die Hansestädte vernünftiger Weise nicht herantreten, und es war
eine glückliche Fügung der Geschichte, daß sie im Jahre 1866 das Loos
Frankfurts nicht theilten. Ihre republikanische Souveränetät kann der natio¬
nalen Macht nie irgend welchen Abbruch thun, und der staatlichen Einheit
nie irgend welche Gefahren bereiten. Was ihnen im natürlichen Lauf der
Entwickelung, nachdem Post- und Eisenbahnwesen, die Hoheit auf dem Strome
und dem Meere, die Militärgewalt und Vertretung im Auslande, Münz¬
regal und Gerichtsbarkeit auf den Bund übergegangen sein werden, an Sou¬
veränetät übrig bleibt, und eigentlich schon heute nur noch übrig ist, ist eine
freie Munizipalverfassung, ein vollständiges Selfgovernement. wie es manche
große und kleine Stadt Altenglands durch Jahrhunderte hindurch un¬
behindert genossen haben. Das deutsche Bürgerthum hatte alle Ur¬
sache, ohne Scheelsucht und Mißgunst auf diese Freiheiten zu schauen,
ihnen allen Segen und alles Gedeihen zu wünschen, das die Epi¬
gonen der alten Hansa um ihrer glänzenden geschichtlichen Vergangenheit
und ihrer tüchtigen Leistungen im Welthandel der Gegenwart wol ver¬
dienen. Wir können zum Nutzen und Frommen der bürgerlichen Freiheit
in Deutschland die freien Städte noch recht lange brauchen. Und wenn eine
durch ihre Lage so fest an das freistädtische Gebiet gekittete Stadt, wie


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0457" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/120646"/>
          <p xml:id="ID_1328" prev="#ID_1327"> leuten ausgehend eine Strömung immer entschiedener Bahn gebrochen, welche<lb/>
auf den vollen und unbedingten Anschluß an die Freistadt Hamburg abzielt.<lb/>
Lange wagte man nicht, das verhängnißvolle Wort auszusprechen. Als jedoch<lb/>
Graf Bismarck bei einem neulichen Jagdbesuche in Holstein den Gedanken<lb/>
sehr unbefangen aä reterenäuin aufnahm, wird das Projekt eines Aus¬<lb/>
tausches Altonas gegen Kuxhafen und das Hamburger Landgebiet von allen<lb/>
Klassen der altonaer Bevölkerung mit täglich wachsender Vorliebe erörtert.<lb/>
Ich bin überzeugt, käme es heute in Altona zur Abstimmung über die An¬<lb/>
schlußfrage, es würde sich ein fast einmüthiges Votum für den Anschluß<lb/>
ergeben.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1329" next="#ID_1330"> Solches Ergebniß, auch ich mache kein Hehl daraus, würde die beste<lb/>
Städteordnung sein, die Altona zu Theil werden könnte. Ein kurzsichtiger<lb/>
und engherziger preußischer Partikularismus wird den Gedanken vielleicht<lb/>
abscheulich finden und ihn durch den mannhaften Wunsch, Hamburg durch<lb/>
Preußen annectiren zu lassen, niederzuschlagen versuchen. Die nationale Partei<lb/>
Norddeutschlands -wird sich aber hoffentlich nicht so schwierig zeigen. Was<lb/>
Preußen aufgibt zu Gunsten des Bundesstaats ist für Preußen nicht ver-<lb/>
loren, und für die Gesammtheit Gewinn. Es ist sehr wol möglich und<lb/>
vielleicht wahrscheinlich, daß über kurz oder lang die dynastischen Partikula¬<lb/>
ritäten des norddeutschen Bundes als unverträglich mit den Nationen In¬<lb/>
teressen dem Einheitsstaate zum Opfer fallen. Eine gleiche Nothwendigkeit<lb/>
kann an die Hansestädte vernünftiger Weise nicht herantreten, und es war<lb/>
eine glückliche Fügung der Geschichte, daß sie im Jahre 1866 das Loos<lb/>
Frankfurts nicht theilten. Ihre republikanische Souveränetät kann der natio¬<lb/>
nalen Macht nie irgend welchen Abbruch thun, und der staatlichen Einheit<lb/>
nie irgend welche Gefahren bereiten. Was ihnen im natürlichen Lauf der<lb/>
Entwickelung, nachdem Post- und Eisenbahnwesen, die Hoheit auf dem Strome<lb/>
und dem Meere, die Militärgewalt und Vertretung im Auslande, Münz¬<lb/>
regal und Gerichtsbarkeit auf den Bund übergegangen sein werden, an Sou¬<lb/>
veränetät übrig bleibt, und eigentlich schon heute nur noch übrig ist, ist eine<lb/>
freie Munizipalverfassung, ein vollständiges Selfgovernement. wie es manche<lb/>
große und kleine Stadt Altenglands durch Jahrhunderte hindurch un¬<lb/>
behindert genossen haben. Das deutsche Bürgerthum hatte alle Ur¬<lb/>
sache, ohne Scheelsucht und Mißgunst auf diese Freiheiten zu schauen,<lb/>
ihnen allen Segen und alles Gedeihen zu wünschen, das die Epi¬<lb/>
gonen der alten Hansa um ihrer glänzenden geschichtlichen Vergangenheit<lb/>
und ihrer tüchtigen Leistungen im Welthandel der Gegenwart wol ver¬<lb/>
dienen. Wir können zum Nutzen und Frommen der bürgerlichen Freiheit<lb/>
in Deutschland die freien Städte noch recht lange brauchen. Und wenn eine<lb/>
durch ihre Lage so fest an das freistädtische Gebiet gekittete Stadt, wie</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0457] leuten ausgehend eine Strömung immer entschiedener Bahn gebrochen, welche auf den vollen und unbedingten Anschluß an die Freistadt Hamburg abzielt. Lange wagte man nicht, das verhängnißvolle Wort auszusprechen. Als jedoch Graf Bismarck bei einem neulichen Jagdbesuche in Holstein den Gedanken sehr unbefangen aä reterenäuin aufnahm, wird das Projekt eines Aus¬ tausches Altonas gegen Kuxhafen und das Hamburger Landgebiet von allen Klassen der altonaer Bevölkerung mit täglich wachsender Vorliebe erörtert. Ich bin überzeugt, käme es heute in Altona zur Abstimmung über die An¬ schlußfrage, es würde sich ein fast einmüthiges Votum für den Anschluß ergeben. Solches Ergebniß, auch ich mache kein Hehl daraus, würde die beste Städteordnung sein, die Altona zu Theil werden könnte. Ein kurzsichtiger und engherziger preußischer Partikularismus wird den Gedanken vielleicht abscheulich finden und ihn durch den mannhaften Wunsch, Hamburg durch Preußen annectiren zu lassen, niederzuschlagen versuchen. Die nationale Partei Norddeutschlands -wird sich aber hoffentlich nicht so schwierig zeigen. Was Preußen aufgibt zu Gunsten des Bundesstaats ist für Preußen nicht ver- loren, und für die Gesammtheit Gewinn. Es ist sehr wol möglich und vielleicht wahrscheinlich, daß über kurz oder lang die dynastischen Partikula¬ ritäten des norddeutschen Bundes als unverträglich mit den Nationen In¬ teressen dem Einheitsstaate zum Opfer fallen. Eine gleiche Nothwendigkeit kann an die Hansestädte vernünftiger Weise nicht herantreten, und es war eine glückliche Fügung der Geschichte, daß sie im Jahre 1866 das Loos Frankfurts nicht theilten. Ihre republikanische Souveränetät kann der natio¬ nalen Macht nie irgend welchen Abbruch thun, und der staatlichen Einheit nie irgend welche Gefahren bereiten. Was ihnen im natürlichen Lauf der Entwickelung, nachdem Post- und Eisenbahnwesen, die Hoheit auf dem Strome und dem Meere, die Militärgewalt und Vertretung im Auslande, Münz¬ regal und Gerichtsbarkeit auf den Bund übergegangen sein werden, an Sou¬ veränetät übrig bleibt, und eigentlich schon heute nur noch übrig ist, ist eine freie Munizipalverfassung, ein vollständiges Selfgovernement. wie es manche große und kleine Stadt Altenglands durch Jahrhunderte hindurch un¬ behindert genossen haben. Das deutsche Bürgerthum hatte alle Ur¬ sache, ohne Scheelsucht und Mißgunst auf diese Freiheiten zu schauen, ihnen allen Segen und alles Gedeihen zu wünschen, das die Epi¬ gonen der alten Hansa um ihrer glänzenden geschichtlichen Vergangenheit und ihrer tüchtigen Leistungen im Welthandel der Gegenwart wol ver¬ dienen. Wir können zum Nutzen und Frommen der bürgerlichen Freiheit in Deutschland die freien Städte noch recht lange brauchen. Und wenn eine durch ihre Lage so fest an das freistädtische Gebiet gekittete Stadt, wie

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_120192
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_120192/457
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_120192/457>, abgerufen am 28.09.2024.