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Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. I. Band.

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vom 19. November 1808 in ihrem Grundgedanken noch dahin rühmend
charakterisiren zu können : "die Städte sollen selbständig, aber nicht, wie vor
Alters, Staat im Staate sein, darum sollen sie wiedererhalten, wo man
ihnen diesen genommen hat, ihren Haushalt, sie sollen abgeben, was des
Staates ist, "Polizei und Justiz" (Bd. I. S. 223). Heute sind wir
endlich so weit, uns mit solchen Sätzen nicht mehr zu begnügen, und die
praktische Erfahrung zu verzeichnen, daß der Staat mit seiner Polizei den
Städten auch den besten Theil ihres Haushaltsrechts confiscire, ihnen die
Selbständigkeit verkümmert, und die Landespolizeibehörden ebenso ungeschickte,
wie anmaßliche und herrische Vormünder der Städte sind. Die Frage isUm
Uebrigen gleich wichtig für Städte unter, wie über 1000 Einwohnern, für die
getrennte, wie die mit der Gemeindegewalt vermischte Lokalpolizei, und wird
eine klare Lösung erst von der Seite einer radikalen Reform der staatlichen
Verwaltungsbehörden überhaupt erwarten können.

Inzwischen werden die Städte der Herzogthümer unter ihrer neuen
Ordnung diese problematische Zukunft sehr viel geduldiger abwarten können,
als ihre Schwestern in den alten Landen. Das Städteleben in Schleswig-
Holstein ist an sich schwächer entwickelt, als das der Flecken und Landge¬
meinden Gegen Flecken, wie Wandsbeck, Flachhorn, Neumünster in Hol¬
stein, stehen in der Einwohnerzahl und im Wohlstand die wenigen kleinen
Städte, wie Itzehoe, Oldesloe, Pinneberg, selbst Glückstadt und Rendsburg
erheblich zurück. In Schleswig erhalten die Städte durch die nationalen
Gegensätze etwas mehr politische Bedeutung. Doch läßt sich im Ganzen
wol behaupten, daß neben Flensburg und vielleicht Schleswig, neben Kiel
und vielleicht Altona ein selbständiges, kräftiges, wirkendes Städtewesen bei
uns nicht eigentlich zu Hause ist. Und Altona, gerade die volkreichste Stadt
beider Herzogthümer ist durch die Ereignisse des Jahres 1866 in eine so
seltsame Krisis hineingedrängt worden, daß ich sehr zweifele, ob diesem Ge¬
meinwesen in seiner ganz sonderbaren Eigenart noch irgend eine Städte-
ordnung der Welt helfen kann.

Altona hat keine natürliche Lebenskraft -- darüber kann man heute schnell
mit sich ins Reine kommen. Durch allerlei Privilegien und Immunitäten
begünstigt, hat sich die Stadt parasitenartig an das Gebiet der Hansestadt
Hamburg angenistet, und ist mit und durch Hamburg zu einer trügerischen,
mehr aufgedunsenen, als substantiellen Größe emporgekommen. Sie hat heute
mit dem als Vorstadt verbundenen Ottensen und Neumühlen gegen 75,000
Einwohner, und liegt nach dem Strome zu mit der Hamburger Vorstadt
Se. Pauli so vollkommen im Gemenge, daß in den fortlaufenden Straßen
nur noch ein Laternenpfahl die imaginäre Territorialgrenze den Eingeweihten
andeutet. Solange diese Grenze die dänische Staatshoheit von der deutschen


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vom 19. November 1808 in ihrem Grundgedanken noch dahin rühmend
charakterisiren zu können : „die Städte sollen selbständig, aber nicht, wie vor
Alters, Staat im Staate sein, darum sollen sie wiedererhalten, wo man
ihnen diesen genommen hat, ihren Haushalt, sie sollen abgeben, was des
Staates ist, „Polizei und Justiz" (Bd. I. S. 223). Heute sind wir
endlich so weit, uns mit solchen Sätzen nicht mehr zu begnügen, und die
praktische Erfahrung zu verzeichnen, daß der Staat mit seiner Polizei den
Städten auch den besten Theil ihres Haushaltsrechts confiscire, ihnen die
Selbständigkeit verkümmert, und die Landespolizeibehörden ebenso ungeschickte,
wie anmaßliche und herrische Vormünder der Städte sind. Die Frage isUm
Uebrigen gleich wichtig für Städte unter, wie über 1000 Einwohnern, für die
getrennte, wie die mit der Gemeindegewalt vermischte Lokalpolizei, und wird
eine klare Lösung erst von der Seite einer radikalen Reform der staatlichen
Verwaltungsbehörden überhaupt erwarten können.

Inzwischen werden die Städte der Herzogthümer unter ihrer neuen
Ordnung diese problematische Zukunft sehr viel geduldiger abwarten können,
als ihre Schwestern in den alten Landen. Das Städteleben in Schleswig-
Holstein ist an sich schwächer entwickelt, als das der Flecken und Landge¬
meinden Gegen Flecken, wie Wandsbeck, Flachhorn, Neumünster in Hol¬
stein, stehen in der Einwohnerzahl und im Wohlstand die wenigen kleinen
Städte, wie Itzehoe, Oldesloe, Pinneberg, selbst Glückstadt und Rendsburg
erheblich zurück. In Schleswig erhalten die Städte durch die nationalen
Gegensätze etwas mehr politische Bedeutung. Doch läßt sich im Ganzen
wol behaupten, daß neben Flensburg und vielleicht Schleswig, neben Kiel
und vielleicht Altona ein selbständiges, kräftiges, wirkendes Städtewesen bei
uns nicht eigentlich zu Hause ist. Und Altona, gerade die volkreichste Stadt
beider Herzogthümer ist durch die Ereignisse des Jahres 1866 in eine so
seltsame Krisis hineingedrängt worden, daß ich sehr zweifele, ob diesem Ge¬
meinwesen in seiner ganz sonderbaren Eigenart noch irgend eine Städte-
ordnung der Welt helfen kann.

Altona hat keine natürliche Lebenskraft — darüber kann man heute schnell
mit sich ins Reine kommen. Durch allerlei Privilegien und Immunitäten
begünstigt, hat sich die Stadt parasitenartig an das Gebiet der Hansestadt
Hamburg angenistet, und ist mit und durch Hamburg zu einer trügerischen,
mehr aufgedunsenen, als substantiellen Größe emporgekommen. Sie hat heute
mit dem als Vorstadt verbundenen Ottensen und Neumühlen gegen 75,000
Einwohner, und liegt nach dem Strome zu mit der Hamburger Vorstadt
Se. Pauli so vollkommen im Gemenge, daß in den fortlaufenden Straßen
nur noch ein Laternenpfahl die imaginäre Territorialgrenze den Eingeweihten
andeutet. Solange diese Grenze die dänische Staatshoheit von der deutschen


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[0455] vom 19. November 1808 in ihrem Grundgedanken noch dahin rühmend charakterisiren zu können : „die Städte sollen selbständig, aber nicht, wie vor Alters, Staat im Staate sein, darum sollen sie wiedererhalten, wo man ihnen diesen genommen hat, ihren Haushalt, sie sollen abgeben, was des Staates ist, „Polizei und Justiz" (Bd. I. S. 223). Heute sind wir endlich so weit, uns mit solchen Sätzen nicht mehr zu begnügen, und die praktische Erfahrung zu verzeichnen, daß der Staat mit seiner Polizei den Städten auch den besten Theil ihres Haushaltsrechts confiscire, ihnen die Selbständigkeit verkümmert, und die Landespolizeibehörden ebenso ungeschickte, wie anmaßliche und herrische Vormünder der Städte sind. Die Frage isUm Uebrigen gleich wichtig für Städte unter, wie über 1000 Einwohnern, für die getrennte, wie die mit der Gemeindegewalt vermischte Lokalpolizei, und wird eine klare Lösung erst von der Seite einer radikalen Reform der staatlichen Verwaltungsbehörden überhaupt erwarten können. Inzwischen werden die Städte der Herzogthümer unter ihrer neuen Ordnung diese problematische Zukunft sehr viel geduldiger abwarten können, als ihre Schwestern in den alten Landen. Das Städteleben in Schleswig- Holstein ist an sich schwächer entwickelt, als das der Flecken und Landge¬ meinden Gegen Flecken, wie Wandsbeck, Flachhorn, Neumünster in Hol¬ stein, stehen in der Einwohnerzahl und im Wohlstand die wenigen kleinen Städte, wie Itzehoe, Oldesloe, Pinneberg, selbst Glückstadt und Rendsburg erheblich zurück. In Schleswig erhalten die Städte durch die nationalen Gegensätze etwas mehr politische Bedeutung. Doch läßt sich im Ganzen wol behaupten, daß neben Flensburg und vielleicht Schleswig, neben Kiel und vielleicht Altona ein selbständiges, kräftiges, wirkendes Städtewesen bei uns nicht eigentlich zu Hause ist. Und Altona, gerade die volkreichste Stadt beider Herzogthümer ist durch die Ereignisse des Jahres 1866 in eine so seltsame Krisis hineingedrängt worden, daß ich sehr zweifele, ob diesem Ge¬ meinwesen in seiner ganz sonderbaren Eigenart noch irgend eine Städte- ordnung der Welt helfen kann. Altona hat keine natürliche Lebenskraft — darüber kann man heute schnell mit sich ins Reine kommen. Durch allerlei Privilegien und Immunitäten begünstigt, hat sich die Stadt parasitenartig an das Gebiet der Hansestadt Hamburg angenistet, und ist mit und durch Hamburg zu einer trügerischen, mehr aufgedunsenen, als substantiellen Größe emporgekommen. Sie hat heute mit dem als Vorstadt verbundenen Ottensen und Neumühlen gegen 75,000 Einwohner, und liegt nach dem Strome zu mit der Hamburger Vorstadt Se. Pauli so vollkommen im Gemenge, daß in den fortlaufenden Straßen nur noch ein Laternenpfahl die imaginäre Territorialgrenze den Eingeweihten andeutet. Solange diese Grenze die dänische Staatshoheit von der deutschen 56"

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_120192/455>, abgerufen am 28.09.2024.