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Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. I. Band.

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geräumige Halle füllte, aus der näheren Umgebung, so waren doch auch die
anderen und selbst die entferntesten Landestheile vertreten; es war wirklich
eine Landesversammlung. Und eS war, auch alle günstigen Momente in
Anschlag gebracht, eine Kundgebung, wie sie seit Jahren bedeutender von
keiner Partei ins Werk gesetzt worden ist. So war sie denn vor Allem ein
neues Zeugniß, daß die Volkspartei nicht, wie sie fortwährend vorgibt, die
alleinherrschende Meinung deS Landes vertritt, daß sie kein Recht hat, wie
sie täglich thut, sich mit dem "Volk- zu identificiren. Die Minderheit wagt
es wenigstens, auch ein Lebenszeichen zu geben, und sie hat die Genug¬
thuung, bei jeder neuen Musterung ihre Reihen verstärkt zu sehen. Sie ist
mit ihren 45,000 Stimmen bei den Zollparlamentswahlen unterlegen, und
sie hat bei den letzten Landtagswahlen nur 14 Abgeoronete der nationalen
Richtung, eine kleine Minderheit, durchgesetzt; allein es ist zu bezweifeln, ob
Herr v. Mittnacht dem Zollparlament sie wieder als ein kleines Häuflein
extremer Fanatiker schildern wird.

Die deutsche Partei hat sich wiederum zu ihrem alten Programm be¬
kannt: Eintritt in den norddeutschen Bund. Daß sie damit die¬
sen Eintritt nicht bewirken kann, nicht einmal, beschleunigt, wird sie natür¬
lich selbst am besten wissen. Aber es ist das kein Grund, ihre Propaganda
für dieses Ziel einzustellen, dem doch die Zukunft gehört. Seit dem Aus-
gang der ersten Zollparlamentssession und seit dem Fiasco des Südbundes
muß es ja doch auch widerspenstigen Köpfen allmälig eingehen, daß der ein¬
fache Beitritt zum norddeutschen Bunde der einzige Weg ist, wenn man
überhaupt ein deutsches Staatswesen will, und diejenigen, welche bisher der
Meinung waren, dieser Beitritt sei ja schließlich selbstverständlich, nur eile
es nicht sehr damit; je spröder sich der Süden zeige, um so bessere Bedin¬
gungen werde man ihm für den Eintritt bewilligen müssen, -- worin diese
"Bedingungen" bestehen sollen, weiß, beiläufig gesagt, freilich Niemand an¬
zugeben. -- alle diese müssen nicht wenig verdutzt sein, durch die Energie,
mit welcher der norddeutsche Bund seinen inneren Ausbau betreibt, so daß
das anfangs gestaltlose Ding ein immer fertigeres Aussehen gewinnt bis
zu dem Zeitpunkt, da es den Cismönanen bequem sein wird, beizutreten, und
damit selbstverständlich jede Möglichkeit des Paciscirens in immer nebel¬
grauere Ferne rückt. Ist es doch auch nicht anders jenseit des Oceans in
dem gepriesenen Musterland des Föderalismus, wo ja ein neuer Staat, der
sich der Union anschließen will, nicht erst gefragt wird, welche Beschwerden
er wider die constitution ok elf umteä states auf dem Herzen hat, damit
man dieselbe geschwind vorher den Stammeseigenthümlichkeiten von Texas
oder Californien anbequeme, sondern der neue Staat tritt in die Union ein,
wie sie ist, und damit Punktum.


geräumige Halle füllte, aus der näheren Umgebung, so waren doch auch die
anderen und selbst die entferntesten Landestheile vertreten; es war wirklich
eine Landesversammlung. Und eS war, auch alle günstigen Momente in
Anschlag gebracht, eine Kundgebung, wie sie seit Jahren bedeutender von
keiner Partei ins Werk gesetzt worden ist. So war sie denn vor Allem ein
neues Zeugniß, daß die Volkspartei nicht, wie sie fortwährend vorgibt, die
alleinherrschende Meinung deS Landes vertritt, daß sie kein Recht hat, wie
sie täglich thut, sich mit dem „Volk- zu identificiren. Die Minderheit wagt
es wenigstens, auch ein Lebenszeichen zu geben, und sie hat die Genug¬
thuung, bei jeder neuen Musterung ihre Reihen verstärkt zu sehen. Sie ist
mit ihren 45,000 Stimmen bei den Zollparlamentswahlen unterlegen, und
sie hat bei den letzten Landtagswahlen nur 14 Abgeoronete der nationalen
Richtung, eine kleine Minderheit, durchgesetzt; allein es ist zu bezweifeln, ob
Herr v. Mittnacht dem Zollparlament sie wieder als ein kleines Häuflein
extremer Fanatiker schildern wird.

Die deutsche Partei hat sich wiederum zu ihrem alten Programm be¬
kannt: Eintritt in den norddeutschen Bund. Daß sie damit die¬
sen Eintritt nicht bewirken kann, nicht einmal, beschleunigt, wird sie natür¬
lich selbst am besten wissen. Aber es ist das kein Grund, ihre Propaganda
für dieses Ziel einzustellen, dem doch die Zukunft gehört. Seit dem Aus-
gang der ersten Zollparlamentssession und seit dem Fiasco des Südbundes
muß es ja doch auch widerspenstigen Köpfen allmälig eingehen, daß der ein¬
fache Beitritt zum norddeutschen Bunde der einzige Weg ist, wenn man
überhaupt ein deutsches Staatswesen will, und diejenigen, welche bisher der
Meinung waren, dieser Beitritt sei ja schließlich selbstverständlich, nur eile
es nicht sehr damit; je spröder sich der Süden zeige, um so bessere Bedin¬
gungen werde man ihm für den Eintritt bewilligen müssen, — worin diese
„Bedingungen" bestehen sollen, weiß, beiläufig gesagt, freilich Niemand an¬
zugeben. — alle diese müssen nicht wenig verdutzt sein, durch die Energie,
mit welcher der norddeutsche Bund seinen inneren Ausbau betreibt, so daß
das anfangs gestaltlose Ding ein immer fertigeres Aussehen gewinnt bis
zu dem Zeitpunkt, da es den Cismönanen bequem sein wird, beizutreten, und
damit selbstverständlich jede Möglichkeit des Paciscirens in immer nebel¬
grauere Ferne rückt. Ist es doch auch nicht anders jenseit des Oceans in
dem gepriesenen Musterland des Föderalismus, wo ja ein neuer Staat, der
sich der Union anschließen will, nicht erst gefragt wird, welche Beschwerden
er wider die constitution ok elf umteä states auf dem Herzen hat, damit
man dieselbe geschwind vorher den Stammeseigenthümlichkeiten von Texas
oder Californien anbequeme, sondern der neue Staat tritt in die Union ein,
wie sie ist, und damit Punktum.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_120192/434>, abgerufen am 28.09.2024.