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Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. I. Band.

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Wer türlnsch^riechische Cotlstict.

Das Jahr schließt stürmisch im Wetter wie in der Politik: der kan-
diotische Aufstand droht, nachdem er eben im Verlöschen war, zum Ausgangs¬
punkt einer europäischen Verwickelung zu werden. Die Situation, aus welcher
derselbe hervorgegangen, ist im Anfang des verflossenen Jahres in diesen
Blättern ausführlich dargelegt (Die Lage im Orient, 1. Bd. S. 98. 156); was
ihr den ernsten Charakter gibt, ist, daß die beiden Parteien, die zunächst im
Spiele sind, bereits zu entschiedene Stellung genommen haben um noch mit
Ehren zurückzukommen.

Das Mährchen der Kreuzzeitung, wonach Graf Beust den ganzen Con¬
flict angezettelt, verdient keine ernsthafte Widerlegung; von allem Anderen
abgesehen sind Aali und Fuad Pascha keineswegs Leute, die sich von dem
Reichskanzler als Puppen brauchen lassen. Die Sache erklärt sich vielmehr
einfach so. Griechenland hatte während zweier Jahre im Widerspruch mit
allem Völkerrecht eine Jnsurrection auf dem Gebiet der Pforte offen unter¬
stützt und letztere hatte aus Rücksicht gegen die Schutzmächte unterlassen,
darauf durch scharfe Mittel zu erwidern. Ganz kürzlich nun, da der Aufstand
in Kandia fast zu Ende war, traten zwei bedeutsame Thatsachen ein. Es
wurde erstens in Griechenland eine neue Erpedition von Freiwilligen unter
Petrophoulakos ganz offen ausgerüstet; der zuverlässige Times-Correspondent
in Athen, M. Finlay, erzählt in seinem Briefe vom 10. December: "Ein
großes Corps dieser Abenteurer, die im Voraus bezahlt und auf öffentliche
Kosten ausgerüstet waren, aber Freiwillige genannt wurden, sammelte sich
in Athen. Petrophoulakos, welcher im letzten Jahre an der Spitze einer
Expedition nach Kreta stand, fuhr an dem Hause des ottomanischen Ge¬
sandten vorüber, umgeben von 150 seiner Freiwilligen in der neuen Uniform,
während vom Kutschbocke eine große Flagge geschwenkt ward." --

Die zweite Thatsache war, daß der griechische Pöbel die kandiotischen
Flüchtlinge wiederholt an der Rückkehr nach Kreta verhinderte. Diese Un¬
glücklichen hatten die Insel verlassen, weil sie dort zwischen Amboß und
Hammer gewesen; schlössen sie sich dem Aufstande an. so wurden sie dem¬
gemäß von den Türken behandelt, blieben sie ruhig, so wurden sie von den
Insurgenten als Vaterlandsverräther verfolgt: sie flüchteten deshalb auf den
Schiffen der Schutzmächte nach Griechenland, geriethen dort aber natürlich,
trotz der Unterstützung, welche sie erhielten, in großes Elend; es war sehr
begreiflich, daß sie wünschten in ihre Heimath zurückzukehren, sobald es dort
ruhiger geworden war. zumal auf Kandia die Olivenernte in diesem Herbst


GltNjboten I. 1869, 5

Wer türlnsch^riechische Cotlstict.

Das Jahr schließt stürmisch im Wetter wie in der Politik: der kan-
diotische Aufstand droht, nachdem er eben im Verlöschen war, zum Ausgangs¬
punkt einer europäischen Verwickelung zu werden. Die Situation, aus welcher
derselbe hervorgegangen, ist im Anfang des verflossenen Jahres in diesen
Blättern ausführlich dargelegt (Die Lage im Orient, 1. Bd. S. 98. 156); was
ihr den ernsten Charakter gibt, ist, daß die beiden Parteien, die zunächst im
Spiele sind, bereits zu entschiedene Stellung genommen haben um noch mit
Ehren zurückzukommen.

Das Mährchen der Kreuzzeitung, wonach Graf Beust den ganzen Con¬
flict angezettelt, verdient keine ernsthafte Widerlegung; von allem Anderen
abgesehen sind Aali und Fuad Pascha keineswegs Leute, die sich von dem
Reichskanzler als Puppen brauchen lassen. Die Sache erklärt sich vielmehr
einfach so. Griechenland hatte während zweier Jahre im Widerspruch mit
allem Völkerrecht eine Jnsurrection auf dem Gebiet der Pforte offen unter¬
stützt und letztere hatte aus Rücksicht gegen die Schutzmächte unterlassen,
darauf durch scharfe Mittel zu erwidern. Ganz kürzlich nun, da der Aufstand
in Kandia fast zu Ende war, traten zwei bedeutsame Thatsachen ein. Es
wurde erstens in Griechenland eine neue Erpedition von Freiwilligen unter
Petrophoulakos ganz offen ausgerüstet; der zuverlässige Times-Correspondent
in Athen, M. Finlay, erzählt in seinem Briefe vom 10. December: „Ein
großes Corps dieser Abenteurer, die im Voraus bezahlt und auf öffentliche
Kosten ausgerüstet waren, aber Freiwillige genannt wurden, sammelte sich
in Athen. Petrophoulakos, welcher im letzten Jahre an der Spitze einer
Expedition nach Kreta stand, fuhr an dem Hause des ottomanischen Ge¬
sandten vorüber, umgeben von 150 seiner Freiwilligen in der neuen Uniform,
während vom Kutschbocke eine große Flagge geschwenkt ward." —

Die zweite Thatsache war, daß der griechische Pöbel die kandiotischen
Flüchtlinge wiederholt an der Rückkehr nach Kreta verhinderte. Diese Un¬
glücklichen hatten die Insel verlassen, weil sie dort zwischen Amboß und
Hammer gewesen; schlössen sie sich dem Aufstande an. so wurden sie dem¬
gemäß von den Türken behandelt, blieben sie ruhig, so wurden sie von den
Insurgenten als Vaterlandsverräther verfolgt: sie flüchteten deshalb auf den
Schiffen der Schutzmächte nach Griechenland, geriethen dort aber natürlich,
trotz der Unterstützung, welche sie erhielten, in großes Elend; es war sehr
begreiflich, daß sie wünschten in ihre Heimath zurückzukehren, sobald es dort
ruhiger geworden war. zumal auf Kandia die Olivenernte in diesem Herbst


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_120192/43>, abgerufen am 28.09.2024.