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Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. I. Band.

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lehrte Institute bilden, welche diesen Beruf vertreten. Der Staat hätte damit
Nichts gewonnen, als daß er die einen wie die anderen unterhalten müßte,
dann mag man ihn noch so prosaisch-vernüchtert denken, in diesem einen
Punkte könnte er sich doch nicht dem Drängen des Volksgeistes entziehen.

Es bleibt also nur das Oder. Man erweitere und ergänze den Lehr¬
plan und die Lehrmittel unserer Universitäten in dem Maße, wie es der
gegenwärtige Stand der Wissenschaften verlangt. Dies ist freilich ein flüßiger
Begriff, wenn man auf die atomistischen Meinungen und Wünsche Bezug
nimmt, wie sie Jeder für sich und seine nach seinem Glauben einzig oder vor¬
zugsweise berechtigte Beschäftigung in petto hat Aber es wird in allen
Fällen sehr leicht sein, aus dem Wirrsal der einzelnen Stimmen einen Grund"
ton herauszuhören, und dieser müßte denn auch als solcher Geltung erhalten.
Auf diese Art kann Jeder, der sich im Besitz einer wirklich allgemein wissen¬
schaftlichen Bildung befindet, die thatsächlichen Bedürfnisse einer ihrem Be¬
griffe entsprechenden Universität ganz genau und richtig ermessen, und was
Jeder kann, werden auch die maßgebenden Kreise, die Universitätscorporatio-
nen selbst und unsere Unterrichtsministerien können. Natürlich mag im
Einzelnen nach der Oertlichkeit und den besonderen Verhältnissen auch Manches
sich individuell gestalten, und wir in Deutschland verzichten selbstverständlich
auf ein französisches Schablonensystem mit so und so viel Dutzend Professoren
für jede Facultät jeder Universität. Aber ein gewisses Minimum wird überall
eingehalten werden müssen, denn daß das Marimum nicht gar zu maßlos
sich gestalte, dafür ist schon von anderer Seite gesorgt.

Jedermann weiß wodurch: die Knappheit des Staatssäckels ist nicht
blos eine vorübergehende Eigenthümlichkeit dieser abnormen Uebergangs¬
periode, sondern sie wird mehr oder minder fortdauern, so lange bis nicht
das Geheimniß entdeckt ist, die Ertragsfähigkeit des deutschen Bodens beim
Aufwand des bisherigen Maßes von Betriebscapital auf das Drei- oder Vier¬
fache zu steigern, oder durch eine Verrückung der großen Straßen des Welt¬
handels wieder, wie einst im Mittelalter, Ströme von Gold in unser Vater-
land zu leiten. Wir sind im Vergleich mit England und Frankreich, noch
mehr mit Nordamerika äußerst arm, das darf man wol sagen, da unver¬
schuldete Armuth noch niemals den Einzelnen oder ein Volk geschändet hat.
Und wir müssen bei Allem, was wir unternehmen und planen, dies ominöse
Minus gehörig in Rechnung stellen, und es spielt auch in der Reform oder
in der Erweiterung unserer Universitäten die Hauptrolle. Denn wesentlich
daran liegt es, daß sie alle wol den guten Willen, aber nicht die Kraft an
den Tag gelegt haben, wirklich höchste Stätten des gesammten Wissenschaft-
licher Betriebes zu bleiben.

Die erste Vorbedingung wird demgemäß nichts Anderes sein, als eine


lehrte Institute bilden, welche diesen Beruf vertreten. Der Staat hätte damit
Nichts gewonnen, als daß er die einen wie die anderen unterhalten müßte,
dann mag man ihn noch so prosaisch-vernüchtert denken, in diesem einen
Punkte könnte er sich doch nicht dem Drängen des Volksgeistes entziehen.

Es bleibt also nur das Oder. Man erweitere und ergänze den Lehr¬
plan und die Lehrmittel unserer Universitäten in dem Maße, wie es der
gegenwärtige Stand der Wissenschaften verlangt. Dies ist freilich ein flüßiger
Begriff, wenn man auf die atomistischen Meinungen und Wünsche Bezug
nimmt, wie sie Jeder für sich und seine nach seinem Glauben einzig oder vor¬
zugsweise berechtigte Beschäftigung in petto hat Aber es wird in allen
Fällen sehr leicht sein, aus dem Wirrsal der einzelnen Stimmen einen Grund«
ton herauszuhören, und dieser müßte denn auch als solcher Geltung erhalten.
Auf diese Art kann Jeder, der sich im Besitz einer wirklich allgemein wissen¬
schaftlichen Bildung befindet, die thatsächlichen Bedürfnisse einer ihrem Be¬
griffe entsprechenden Universität ganz genau und richtig ermessen, und was
Jeder kann, werden auch die maßgebenden Kreise, die Universitätscorporatio-
nen selbst und unsere Unterrichtsministerien können. Natürlich mag im
Einzelnen nach der Oertlichkeit und den besonderen Verhältnissen auch Manches
sich individuell gestalten, und wir in Deutschland verzichten selbstverständlich
auf ein französisches Schablonensystem mit so und so viel Dutzend Professoren
für jede Facultät jeder Universität. Aber ein gewisses Minimum wird überall
eingehalten werden müssen, denn daß das Marimum nicht gar zu maßlos
sich gestalte, dafür ist schon von anderer Seite gesorgt.

Jedermann weiß wodurch: die Knappheit des Staatssäckels ist nicht
blos eine vorübergehende Eigenthümlichkeit dieser abnormen Uebergangs¬
periode, sondern sie wird mehr oder minder fortdauern, so lange bis nicht
das Geheimniß entdeckt ist, die Ertragsfähigkeit des deutschen Bodens beim
Aufwand des bisherigen Maßes von Betriebscapital auf das Drei- oder Vier¬
fache zu steigern, oder durch eine Verrückung der großen Straßen des Welt¬
handels wieder, wie einst im Mittelalter, Ströme von Gold in unser Vater-
land zu leiten. Wir sind im Vergleich mit England und Frankreich, noch
mehr mit Nordamerika äußerst arm, das darf man wol sagen, da unver¬
schuldete Armuth noch niemals den Einzelnen oder ein Volk geschändet hat.
Und wir müssen bei Allem, was wir unternehmen und planen, dies ominöse
Minus gehörig in Rechnung stellen, und es spielt auch in der Reform oder
in der Erweiterung unserer Universitäten die Hauptrolle. Denn wesentlich
daran liegt es, daß sie alle wol den guten Willen, aber nicht die Kraft an
den Tag gelegt haben, wirklich höchste Stätten des gesammten Wissenschaft-
licher Betriebes zu bleiben.

Die erste Vorbedingung wird demgemäß nichts Anderes sein, als eine


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_120192/426>, abgerufen am 28.09.2024.