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Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. I. Band.

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deutschen Universitäten, Berlin ebenso sehr wie Gießen oder Freiburg, sind
in der That keine Universitäten mehr in jenem eminenten Sinne, den man
herkömmlich mit diesem Begriffe verbindet, und der auch bis vor dreißig,
vierzig Jahren im Ganzen eine Wahrheit gewesen ist. Es sind Complemente
verschiedener wissenschaftlicher Fächer, die durch das Band der alten Facul-
täten, das ja fast überall noch besteht, blos zufällig und äußerlich zusammen¬
gehalten werden. Von einer organischen oder systematischen Ausfüllung des
ganzen wissenschaftlichen Schemas, wie es sich bis zu dieser Stunde aus sich
selbst herausgearbeitet hat, ist keine Rede. Ueberall sind von diesem Stand¬
punkt aus gesehen, die empfindlichsten Lücken, und wird ja einmal eine aus¬
gefüllt, so klaffen sofort zehn neue.

Hier bleibt nur ein Entweder -- Oder, und es ist gut. sich darüber zu
verständigen. Entweder gehe man wieder auf die beschränkte Grundlage
der älteren Universitäten zurück, die freilich für ihre Zeit keine beschränkte war,
sondern wirklich das ganze vorhandene Wissen oder alle wissenschaftlich aus¬
gebildeten Gebiete des Lernens und Wissens umspannte. Man würde dann
den Vortheil haben, mit verhältnißmäßig geringen Mitteln innerhalb eines
engeren Gebietes Tüchtiges zu leisten. Die Universitäten wären dann dazu
bestimmt, unseren tüchtigen Geistlichen, Gymnasiallehrern, Aerzten, Richtern
und Verwaltungsbeamten ihre theoretisch wissenschaftliche Vorbildung zu geben.
Sie brauchten deshalb nicht zu Abrichtungsanstalten für die künftige Praxis
herabzusinken. So nahe die Gefahr auch läge, könnte sie doch vermieden
werden, wenn die Universitäten selbst diese ihre beschränkte Aufgabe von
möglichst hohem oder idealem d. h. dem eigentlich wissenschaftlichen Stand¬
punkt aus faßten. Die glänzendsten Beispiele der früheren Periode beweisen
es. Berlin in dem ersten Viertel dieses Jahrhunderts, Göttingen in der
zweiten Hälfte des vorigen und Jena um die Wende beider leisteten thatsächlich
nicht mehr, aber sie leisteten es so. daß die Wissenschaft, auch bei den höchsten
Anforderungen, die überhaupt damals möglich waren, nicht zu kurz kam.

Aber es ist immer schwer, von einem weiteren Zustand in einen engeren
überzugehen. Unsere Universitäten und die öffentltche Meinung würden eine
solche Beschränkung als eine empfindliche Degradation ansehen und sich mit
allen Kräften dagegen wahren. Und selbst wenn ihr Widerstand nieder¬
geschlagen würde, was nur durch schonungsloses Eingreifen der Staats¬
gewalt geschehen könnte, wäre damit nichts weiter gewonnen, als daß wir auf
einem andern Wege jenen Gegensatz von Akademie und Universität, oder von
freien umfassend wissenschaftlichen Anstalten und Specialabrichtungsschulen in
die Wirklichkeit eingeführt sehen. Sobald die jetzigen Universitäten auf den
Anspruch die Totalität des wissenschaftlichen Organismus darzustellen ver-
Sichten, müßten sich in Deutschland, wie es nun einmal ist, sofort andere ge-


deutschen Universitäten, Berlin ebenso sehr wie Gießen oder Freiburg, sind
in der That keine Universitäten mehr in jenem eminenten Sinne, den man
herkömmlich mit diesem Begriffe verbindet, und der auch bis vor dreißig,
vierzig Jahren im Ganzen eine Wahrheit gewesen ist. Es sind Complemente
verschiedener wissenschaftlicher Fächer, die durch das Band der alten Facul-
täten, das ja fast überall noch besteht, blos zufällig und äußerlich zusammen¬
gehalten werden. Von einer organischen oder systematischen Ausfüllung des
ganzen wissenschaftlichen Schemas, wie es sich bis zu dieser Stunde aus sich
selbst herausgearbeitet hat, ist keine Rede. Ueberall sind von diesem Stand¬
punkt aus gesehen, die empfindlichsten Lücken, und wird ja einmal eine aus¬
gefüllt, so klaffen sofort zehn neue.

Hier bleibt nur ein Entweder — Oder, und es ist gut. sich darüber zu
verständigen. Entweder gehe man wieder auf die beschränkte Grundlage
der älteren Universitäten zurück, die freilich für ihre Zeit keine beschränkte war,
sondern wirklich das ganze vorhandene Wissen oder alle wissenschaftlich aus¬
gebildeten Gebiete des Lernens und Wissens umspannte. Man würde dann
den Vortheil haben, mit verhältnißmäßig geringen Mitteln innerhalb eines
engeren Gebietes Tüchtiges zu leisten. Die Universitäten wären dann dazu
bestimmt, unseren tüchtigen Geistlichen, Gymnasiallehrern, Aerzten, Richtern
und Verwaltungsbeamten ihre theoretisch wissenschaftliche Vorbildung zu geben.
Sie brauchten deshalb nicht zu Abrichtungsanstalten für die künftige Praxis
herabzusinken. So nahe die Gefahr auch läge, könnte sie doch vermieden
werden, wenn die Universitäten selbst diese ihre beschränkte Aufgabe von
möglichst hohem oder idealem d. h. dem eigentlich wissenschaftlichen Stand¬
punkt aus faßten. Die glänzendsten Beispiele der früheren Periode beweisen
es. Berlin in dem ersten Viertel dieses Jahrhunderts, Göttingen in der
zweiten Hälfte des vorigen und Jena um die Wende beider leisteten thatsächlich
nicht mehr, aber sie leisteten es so. daß die Wissenschaft, auch bei den höchsten
Anforderungen, die überhaupt damals möglich waren, nicht zu kurz kam.

Aber es ist immer schwer, von einem weiteren Zustand in einen engeren
überzugehen. Unsere Universitäten und die öffentltche Meinung würden eine
solche Beschränkung als eine empfindliche Degradation ansehen und sich mit
allen Kräften dagegen wahren. Und selbst wenn ihr Widerstand nieder¬
geschlagen würde, was nur durch schonungsloses Eingreifen der Staats¬
gewalt geschehen könnte, wäre damit nichts weiter gewonnen, als daß wir auf
einem andern Wege jenen Gegensatz von Akademie und Universität, oder von
freien umfassend wissenschaftlichen Anstalten und Specialabrichtungsschulen in
die Wirklichkeit eingeführt sehen. Sobald die jetzigen Universitäten auf den
Anspruch die Totalität des wissenschaftlichen Organismus darzustellen ver-
Sichten, müßten sich in Deutschland, wie es nun einmal ist, sofort andere ge-


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[0425] deutschen Universitäten, Berlin ebenso sehr wie Gießen oder Freiburg, sind in der That keine Universitäten mehr in jenem eminenten Sinne, den man herkömmlich mit diesem Begriffe verbindet, und der auch bis vor dreißig, vierzig Jahren im Ganzen eine Wahrheit gewesen ist. Es sind Complemente verschiedener wissenschaftlicher Fächer, die durch das Band der alten Facul- täten, das ja fast überall noch besteht, blos zufällig und äußerlich zusammen¬ gehalten werden. Von einer organischen oder systematischen Ausfüllung des ganzen wissenschaftlichen Schemas, wie es sich bis zu dieser Stunde aus sich selbst herausgearbeitet hat, ist keine Rede. Ueberall sind von diesem Stand¬ punkt aus gesehen, die empfindlichsten Lücken, und wird ja einmal eine aus¬ gefüllt, so klaffen sofort zehn neue. Hier bleibt nur ein Entweder — Oder, und es ist gut. sich darüber zu verständigen. Entweder gehe man wieder auf die beschränkte Grundlage der älteren Universitäten zurück, die freilich für ihre Zeit keine beschränkte war, sondern wirklich das ganze vorhandene Wissen oder alle wissenschaftlich aus¬ gebildeten Gebiete des Lernens und Wissens umspannte. Man würde dann den Vortheil haben, mit verhältnißmäßig geringen Mitteln innerhalb eines engeren Gebietes Tüchtiges zu leisten. Die Universitäten wären dann dazu bestimmt, unseren tüchtigen Geistlichen, Gymnasiallehrern, Aerzten, Richtern und Verwaltungsbeamten ihre theoretisch wissenschaftliche Vorbildung zu geben. Sie brauchten deshalb nicht zu Abrichtungsanstalten für die künftige Praxis herabzusinken. So nahe die Gefahr auch läge, könnte sie doch vermieden werden, wenn die Universitäten selbst diese ihre beschränkte Aufgabe von möglichst hohem oder idealem d. h. dem eigentlich wissenschaftlichen Stand¬ punkt aus faßten. Die glänzendsten Beispiele der früheren Periode beweisen es. Berlin in dem ersten Viertel dieses Jahrhunderts, Göttingen in der zweiten Hälfte des vorigen und Jena um die Wende beider leisteten thatsächlich nicht mehr, aber sie leisteten es so. daß die Wissenschaft, auch bei den höchsten Anforderungen, die überhaupt damals möglich waren, nicht zu kurz kam. Aber es ist immer schwer, von einem weiteren Zustand in einen engeren überzugehen. Unsere Universitäten und die öffentltche Meinung würden eine solche Beschränkung als eine empfindliche Degradation ansehen und sich mit allen Kräften dagegen wahren. Und selbst wenn ihr Widerstand nieder¬ geschlagen würde, was nur durch schonungsloses Eingreifen der Staats¬ gewalt geschehen könnte, wäre damit nichts weiter gewonnen, als daß wir auf einem andern Wege jenen Gegensatz von Akademie und Universität, oder von freien umfassend wissenschaftlichen Anstalten und Specialabrichtungsschulen in die Wirklichkeit eingeführt sehen. Sobald die jetzigen Universitäten auf den Anspruch die Totalität des wissenschaftlichen Organismus darzustellen ver- Sichten, müßten sich in Deutschland, wie es nun einmal ist, sofort andere ge-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_120192/425>, abgerufen am 21.10.2024.