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Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. I. Band.

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Reformbewegungen von 1848 tauchte so gelegentlich wol auch auf. aber
damals war die Zeit in keiner Weise dazu geschaffen, ihre durchschlagende
Wichtigkeit zu begreifen. Die Geschichte unserer Universitäten zeigt uns.
daß sie aus anfänglich ganz freien und selbstwüchsigen Institutionen zum
Betrieb und zur Weiterüberlieferung der Wissenschaft allmälig immer mehr
zu Staatsanstalten geworden sind, welche die Aufgabe haben, eine gewisse
Summe von Kenntnissen und Fertigkeiten zu überliefern, die der Staat zur
Vorbedingung der Verwendbarkeit in verschiedenen großen Zweigen der prak¬
tischen Thätigkeit, in der Kirche, der Schule, der Gesundheitspflege, der Ge¬
richts- und Verwaltungssphäre für nöthig hält. Aber unsere Universitäten
sind nur allmälig und mehr und mehr solche Staatsanstalten geworden,
während viele dem Namen und dem Ursprung nach gleiche Institute ander-
wärts, z. B. die französischen und italienischen Universitäten es vollständig
und nichts weiter als dies sind. Unsere Universitäten haben noch ein an¬
deres Gesicht. Sie gelten in der allgemeinen Auffassung noch als die Sitze
und Pflegstättcn der freien Wissenschaft, die nur um ihrer selbst willen da
ist. Man darf sogar behaupten, daß diese letztere Auffassung die populärere
ist, d. h. sie ist diejenige, welche unwillkürlich mit dem Namen der Sache
verbunden wird, und die, wenn es zu einer Discussion über sie und die
andere vorhin charakteristrte kommt, sicher darauf rechnen darf, von der
öffentlichen Meinung der gebildeten Deutschen bevorzugt zu werden.

So lange der Staat die Vorbildung seiner speciellen Diener den Uni¬
versitäten anvertraut, versteht es sich von selbst, daß er über die Zweckmäßig¬
keit derselben durch irgend eine Art von Controle sich zu vergewissern befugt
ist, wie auch, daß er die Pflicht hat. für den äußeren Bestand dieser Anstalten
zu sorgen d. h. die -Geldmittel aufzubringen, deren sie bedürfen. Denkt man
sich die Universitäten als bloße wissenschaftliche Lehranstalten in abstracto, so
fällt das Einmischungsrecht, aber auch die Erhaltungspflicht des Staates von
selbst fort. Wer also für die völlige Freiheit der Universitäten in diesem
Sinne eifert, der möge sich auch alle praktischen Consequenzen deutlich machen.
Dazu würde auch gehören, daß der Staat gegenüber ganz freien Universi¬
täten befugt und genöthigt wäre, eigene Fachanstalten auf seine Kosten zu
gründen, in denen die Vorbildung, die er für seine Diener nöthig hält, er¬
worben werden könnte. Er würde aber dann um so weniger geneigt sein,
für die eigentlichen von ihm cuan'cipirten freiwissenschaftlichen Anstalten
Etwas zu thun, und diese müßten sich dann auf andere financielle Grund¬
lagen zu stellen suchen, wozu freilich in unseren deutschen socialen und öeo-
nomischen Zuständen sehr wenig Aussicht ist.

Dazu tritt noch ein anderes Moment, um das Dilemma zu schärfen.
Das Maß der als Vorbereitung für den künftigen Beruf geforderten Bil-


Grenzbot-n I. 1869. 52

Reformbewegungen von 1848 tauchte so gelegentlich wol auch auf. aber
damals war die Zeit in keiner Weise dazu geschaffen, ihre durchschlagende
Wichtigkeit zu begreifen. Die Geschichte unserer Universitäten zeigt uns.
daß sie aus anfänglich ganz freien und selbstwüchsigen Institutionen zum
Betrieb und zur Weiterüberlieferung der Wissenschaft allmälig immer mehr
zu Staatsanstalten geworden sind, welche die Aufgabe haben, eine gewisse
Summe von Kenntnissen und Fertigkeiten zu überliefern, die der Staat zur
Vorbedingung der Verwendbarkeit in verschiedenen großen Zweigen der prak¬
tischen Thätigkeit, in der Kirche, der Schule, der Gesundheitspflege, der Ge¬
richts- und Verwaltungssphäre für nöthig hält. Aber unsere Universitäten
sind nur allmälig und mehr und mehr solche Staatsanstalten geworden,
während viele dem Namen und dem Ursprung nach gleiche Institute ander-
wärts, z. B. die französischen und italienischen Universitäten es vollständig
und nichts weiter als dies sind. Unsere Universitäten haben noch ein an¬
deres Gesicht. Sie gelten in der allgemeinen Auffassung noch als die Sitze
und Pflegstättcn der freien Wissenschaft, die nur um ihrer selbst willen da
ist. Man darf sogar behaupten, daß diese letztere Auffassung die populärere
ist, d. h. sie ist diejenige, welche unwillkürlich mit dem Namen der Sache
verbunden wird, und die, wenn es zu einer Discussion über sie und die
andere vorhin charakteristrte kommt, sicher darauf rechnen darf, von der
öffentlichen Meinung der gebildeten Deutschen bevorzugt zu werden.

So lange der Staat die Vorbildung seiner speciellen Diener den Uni¬
versitäten anvertraut, versteht es sich von selbst, daß er über die Zweckmäßig¬
keit derselben durch irgend eine Art von Controle sich zu vergewissern befugt
ist, wie auch, daß er die Pflicht hat. für den äußeren Bestand dieser Anstalten
zu sorgen d. h. die -Geldmittel aufzubringen, deren sie bedürfen. Denkt man
sich die Universitäten als bloße wissenschaftliche Lehranstalten in abstracto, so
fällt das Einmischungsrecht, aber auch die Erhaltungspflicht des Staates von
selbst fort. Wer also für die völlige Freiheit der Universitäten in diesem
Sinne eifert, der möge sich auch alle praktischen Consequenzen deutlich machen.
Dazu würde auch gehören, daß der Staat gegenüber ganz freien Universi¬
täten befugt und genöthigt wäre, eigene Fachanstalten auf seine Kosten zu
gründen, in denen die Vorbildung, die er für seine Diener nöthig hält, er¬
worben werden könnte. Er würde aber dann um so weniger geneigt sein,
für die eigentlichen von ihm cuan'cipirten freiwissenschaftlichen Anstalten
Etwas zu thun, und diese müßten sich dann auf andere financielle Grund¬
lagen zu stellen suchen, wozu freilich in unseren deutschen socialen und öeo-
nomischen Zuständen sehr wenig Aussicht ist.

Dazu tritt noch ein anderes Moment, um das Dilemma zu schärfen.
Das Maß der als Vorbereitung für den künftigen Beruf geforderten Bil-


Grenzbot-n I. 1869. 52
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[0421] Reformbewegungen von 1848 tauchte so gelegentlich wol auch auf. aber damals war die Zeit in keiner Weise dazu geschaffen, ihre durchschlagende Wichtigkeit zu begreifen. Die Geschichte unserer Universitäten zeigt uns. daß sie aus anfänglich ganz freien und selbstwüchsigen Institutionen zum Betrieb und zur Weiterüberlieferung der Wissenschaft allmälig immer mehr zu Staatsanstalten geworden sind, welche die Aufgabe haben, eine gewisse Summe von Kenntnissen und Fertigkeiten zu überliefern, die der Staat zur Vorbedingung der Verwendbarkeit in verschiedenen großen Zweigen der prak¬ tischen Thätigkeit, in der Kirche, der Schule, der Gesundheitspflege, der Ge¬ richts- und Verwaltungssphäre für nöthig hält. Aber unsere Universitäten sind nur allmälig und mehr und mehr solche Staatsanstalten geworden, während viele dem Namen und dem Ursprung nach gleiche Institute ander- wärts, z. B. die französischen und italienischen Universitäten es vollständig und nichts weiter als dies sind. Unsere Universitäten haben noch ein an¬ deres Gesicht. Sie gelten in der allgemeinen Auffassung noch als die Sitze und Pflegstättcn der freien Wissenschaft, die nur um ihrer selbst willen da ist. Man darf sogar behaupten, daß diese letztere Auffassung die populärere ist, d. h. sie ist diejenige, welche unwillkürlich mit dem Namen der Sache verbunden wird, und die, wenn es zu einer Discussion über sie und die andere vorhin charakteristrte kommt, sicher darauf rechnen darf, von der öffentlichen Meinung der gebildeten Deutschen bevorzugt zu werden. So lange der Staat die Vorbildung seiner speciellen Diener den Uni¬ versitäten anvertraut, versteht es sich von selbst, daß er über die Zweckmäßig¬ keit derselben durch irgend eine Art von Controle sich zu vergewissern befugt ist, wie auch, daß er die Pflicht hat. für den äußeren Bestand dieser Anstalten zu sorgen d. h. die -Geldmittel aufzubringen, deren sie bedürfen. Denkt man sich die Universitäten als bloße wissenschaftliche Lehranstalten in abstracto, so fällt das Einmischungsrecht, aber auch die Erhaltungspflicht des Staates von selbst fort. Wer also für die völlige Freiheit der Universitäten in diesem Sinne eifert, der möge sich auch alle praktischen Consequenzen deutlich machen. Dazu würde auch gehören, daß der Staat gegenüber ganz freien Universi¬ täten befugt und genöthigt wäre, eigene Fachanstalten auf seine Kosten zu gründen, in denen die Vorbildung, die er für seine Diener nöthig hält, er¬ worben werden könnte. Er würde aber dann um so weniger geneigt sein, für die eigentlichen von ihm cuan'cipirten freiwissenschaftlichen Anstalten Etwas zu thun, und diese müßten sich dann auf andere financielle Grund¬ lagen zu stellen suchen, wozu freilich in unseren deutschen socialen und öeo- nomischen Zuständen sehr wenig Aussicht ist. Dazu tritt noch ein anderes Moment, um das Dilemma zu schärfen. Das Maß der als Vorbereitung für den künftigen Beruf geforderten Bil- Grenzbot-n I. 1869. 52

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_120192/421>, abgerufen am 28.09.2024.