Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. I. Band.fassung der faktischen Zustände, und demgemäß auch von seinen Reformvor¬ Zuvörderst bezeugen wir mit Genugthuung, daß der Anonymus fassung der faktischen Zustände, und demgemäß auch von seinen Reformvor¬ Zuvörderst bezeugen wir mit Genugthuung, daß der Anonymus <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0420" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/120609"/> <p xml:id="ID_1230" prev="#ID_1229"> fassung der faktischen Zustände, und demgemäß auch von seinen Reformvor¬<lb/> schlägen. Unsere Empfehlung schließt also eine Kritik keineswegs aus, viel¬<lb/> mehr soll sie recht eigentlich eine solche sein, so weit sie sich nach Ort und<lb/> Zeit überhaupt anbringen läßt. Denn auf eine gründliche Auseinander¬<lb/> setzung kann es hier nicht abgesehen sein; aber es wird der Sache doch immer<lb/> Nutzen bringen, wenn sie sich dem Publikum sofort von mehr als einer<lb/> Seite darstellt. Unsere eigene Berechtigung stützen wir aber auf dieselbe Le¬<lb/> gitimität wie der Anonymus. Er ist durch seinen Beruf verpflichtet, Genauestes<lb/> von deutschen Universitäten zu wissen, wir auch.</p><lb/> <p xml:id="ID_1231" next="#ID_1232"> Zuvörderst bezeugen wir mit Genugthuung, daß der Anonymus<lb/> trefflich die Feder zu führen versteht. Das Buch ist von Anfang bis<lb/> zu Ende, wir wollen nicht sagen, glänzend, aber durchsichtig, lebendig,<lb/> sachgemäß einfach geschrieben. Ein gelinder Anflug von Humor schadet<lb/> ebenso wenig, wie die Blume dem guten Wein. Der Kern ist doch ernst<lb/> und positiv. Denn der Anonymus liebt die deutschen Universitäten und<lb/> glaubt an sie. Auch er will eine Reformation an Haupt und Gliedern, aber<lb/> eine wirkliche Reformation, wo die vorhandenen und geschichtlich heraus¬<lb/> gewachsenen Gebilde nur von dem allmälig darauf gelagerten Staub ge¬<lb/> reinigt, etwas zurecht gerückt und vielleicht ein wenig mit sanftem Finger-<lb/> druck umgeformt zu werden brauchen, um wieder in angeborener Güte und<lb/> Schönheit dazustehn. Dies zu beweisen, führt er das Durchschnittsleben<lb/> einer heutigen Universität in allen seinen wesentlichsten^ Symptomen vor, zu¬<lb/> erst die Studenten, dann die Professoren; sogar, was auf den ersten Blick<lb/> stutzig machen könnte, Pedelle, Universitätsrichter, Kuratoren. Dann geht es<lb/> von den Personen ab zu den eigentlichen Zuständen, eingeleitet durch ein mit dem<lb/> kurzen aber bedeutsamen „Wohin?" überschriebenes Capitel. Die Berufungen,<lb/> der Lehrvortrag selbst, oder wie es hier frischer heißt „auf dem Katheder",<lb/> die Promotionen, akademischen Beneficien, endlich die Examina, mit beson¬<lb/> derer Rücksichtnahme auf die juristischen und kameralistischen — weil diese in<lb/> neuester Zeit trotz der sonstigen Stagnation der Reform doch zu weitgreifen¬<lb/> den Veränderungen Anlaß gegeben haben — damit wäre der Rahmen dessen,<lb/> was hier überhaupt besprochen werden kann und soll, auch nach unserer Mei¬<lb/> nung hinlänglich ausgefüllt, und mehr ohne Zweifel vom Uebel, namentlich<lb/> in den Augen des größeren Publicums. — Der Angelpunkt des Ganzen liegt,<lb/> wie sichs gehört, auch räumlich in der Mitte des Buches, in dem lakonischer<lb/> „Wohin?" Damit ist die momentan wichtigste Frage über die Stellung<lb/> der Universitäten zu unserem gesammten nationalen und öffentlichen Leben<lb/> gemeint, die vielfach schon, weil sie offenbar in der Lust liegt, berührt, aber<lb/> noch niemals^aus Gründen, die wir vorhin kurz registrirten, eigentlich dis-<lb/> cutirt, viel weniger theoretisch entschieden worden ist. Bei den großartigen</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0420]
fassung der faktischen Zustände, und demgemäß auch von seinen Reformvor¬
schlägen. Unsere Empfehlung schließt also eine Kritik keineswegs aus, viel¬
mehr soll sie recht eigentlich eine solche sein, so weit sie sich nach Ort und
Zeit überhaupt anbringen läßt. Denn auf eine gründliche Auseinander¬
setzung kann es hier nicht abgesehen sein; aber es wird der Sache doch immer
Nutzen bringen, wenn sie sich dem Publikum sofort von mehr als einer
Seite darstellt. Unsere eigene Berechtigung stützen wir aber auf dieselbe Le¬
gitimität wie der Anonymus. Er ist durch seinen Beruf verpflichtet, Genauestes
von deutschen Universitäten zu wissen, wir auch.
Zuvörderst bezeugen wir mit Genugthuung, daß der Anonymus
trefflich die Feder zu führen versteht. Das Buch ist von Anfang bis
zu Ende, wir wollen nicht sagen, glänzend, aber durchsichtig, lebendig,
sachgemäß einfach geschrieben. Ein gelinder Anflug von Humor schadet
ebenso wenig, wie die Blume dem guten Wein. Der Kern ist doch ernst
und positiv. Denn der Anonymus liebt die deutschen Universitäten und
glaubt an sie. Auch er will eine Reformation an Haupt und Gliedern, aber
eine wirkliche Reformation, wo die vorhandenen und geschichtlich heraus¬
gewachsenen Gebilde nur von dem allmälig darauf gelagerten Staub ge¬
reinigt, etwas zurecht gerückt und vielleicht ein wenig mit sanftem Finger-
druck umgeformt zu werden brauchen, um wieder in angeborener Güte und
Schönheit dazustehn. Dies zu beweisen, führt er das Durchschnittsleben
einer heutigen Universität in allen seinen wesentlichsten^ Symptomen vor, zu¬
erst die Studenten, dann die Professoren; sogar, was auf den ersten Blick
stutzig machen könnte, Pedelle, Universitätsrichter, Kuratoren. Dann geht es
von den Personen ab zu den eigentlichen Zuständen, eingeleitet durch ein mit dem
kurzen aber bedeutsamen „Wohin?" überschriebenes Capitel. Die Berufungen,
der Lehrvortrag selbst, oder wie es hier frischer heißt „auf dem Katheder",
die Promotionen, akademischen Beneficien, endlich die Examina, mit beson¬
derer Rücksichtnahme auf die juristischen und kameralistischen — weil diese in
neuester Zeit trotz der sonstigen Stagnation der Reform doch zu weitgreifen¬
den Veränderungen Anlaß gegeben haben — damit wäre der Rahmen dessen,
was hier überhaupt besprochen werden kann und soll, auch nach unserer Mei¬
nung hinlänglich ausgefüllt, und mehr ohne Zweifel vom Uebel, namentlich
in den Augen des größeren Publicums. — Der Angelpunkt des Ganzen liegt,
wie sichs gehört, auch räumlich in der Mitte des Buches, in dem lakonischer
„Wohin?" Damit ist die momentan wichtigste Frage über die Stellung
der Universitäten zu unserem gesammten nationalen und öffentlichen Leben
gemeint, die vielfach schon, weil sie offenbar in der Lust liegt, berührt, aber
noch niemals^aus Gründen, die wir vorhin kurz registrirten, eigentlich dis-
cutirt, viel weniger theoretisch entschieden worden ist. Bei den großartigen
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