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Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. I. Band.

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jährigen Freiwilligendienstes manche Commilitonen zu einer geringfügigen
Aenderung in ihren Studien -- oder noch häufiger in ihrem Bummelgang
durch das Triennium veranlaßt.

Es liegt nahe mit diesem gegenwärtigen Stillleben unserer Universitäten,
ihr Verhalten in der letzten großen Epoche allgemeiner politischer und so¬
cialer Bewegung, während des Jahres 1848 zu vergleichen. Wir lassen die
grotesken Ausbrüche studentischen Revolutionsfiebers in München, Wien
oder auch in dem kleinen Weimar-Jena, ganz bei Seite, wir sprechen auch
nicht von den Professoren, Agitatoren, Volks- und Kammerrednern oder
Ministern. Wir erinnern nur an das, was damals von den Universitäten
selbst sür ihre eigene Umgestaltung aus der Grundlage der "zeitgemäßen"
Ideale geschehen ist. Denn trotz der in mehr als einem Sinne anstrengen¬
den, ja aufreibenden Forderungen, welche Vaterland und Volk damals an
die Blüthe seiner Geistesbildung auf dem Katheder und auf den Subsellien
der Hörsäle stellte, blieb doch noch auf eine jetzt kaum mehr begreifliche Weise
diesem so tief und allseitig in Anspruch genommenen Elitecorps der Nation
Zeit und Kraft genug übrig, um die eigensten häuslichen Anlegenheiten mit
demselben Eifer zu fördern. Wie billig ging die Jugend mit der That
voran, und das Alter folgte nach. Damals, wo die Worte Parlament und
parlamentarisch noch den vollen Zauber eines neu importirten Fetisches be¬
saßen, mußte es natürlich auch ein Studentenparlament sein, welches die Ne-
formgedanken der Jugend zum Ausdruck brachte. Bekanntlich gehörte der
Sommer 1848 zu den schönsten, die jemals über das deutsche Land gezogen
sind, aber auch zu den heißesten, und man weiß, welchen Einfluß diese beiden
Eigenschaften auf die großen weltgeschichtlichen Actionen der Zeit von
der pariser Februar- bis zu der wiener Octoberrevolution geäußert haben.
Das deutsche Studentenparlament tagte in der allerschönsten und allerheißesten
Woche jenes Sommers an einem Orte, den die Natur selbst sür solches
Wetter zu einer Art von idyllischem Paradies bestimmt zu haben scheint, in
Eisenach oder auf der Wartburg, mehr in den himmlisch kühlen Schluch¬
ten und Waldgehängen um dieselbe sammt den dazu gehörigen Felsenkellern
als oben auf dem alten romantischesten aller heißen Felsenneste, oder in der
schwülen und altbürgerlichen Stadt selbst. Demgemäß konnte es auch nicht
verwundern, daß Verhandlungen und Beschlüsse dieses eisenacher Parla¬
mentes einigermaßen die Atmosphäre, welcher sie ih.e Entstehung verdankten,
erkennen lassen. Selbst die Führer der Majorität, die doch als Sieger mit
ihrem Werke zufrieden hätten sein sollen, waren dies, wie Jeder es hören
konnte, der wollte, nur in so weit, als die Tage in Eisenach zu einem herr¬
lichen "Ulk" in der Umgebung und als Staffage einer herrlichen Natur
Veranlassung gegeben hatten.


jährigen Freiwilligendienstes manche Commilitonen zu einer geringfügigen
Aenderung in ihren Studien — oder noch häufiger in ihrem Bummelgang
durch das Triennium veranlaßt.

Es liegt nahe mit diesem gegenwärtigen Stillleben unserer Universitäten,
ihr Verhalten in der letzten großen Epoche allgemeiner politischer und so¬
cialer Bewegung, während des Jahres 1848 zu vergleichen. Wir lassen die
grotesken Ausbrüche studentischen Revolutionsfiebers in München, Wien
oder auch in dem kleinen Weimar-Jena, ganz bei Seite, wir sprechen auch
nicht von den Professoren, Agitatoren, Volks- und Kammerrednern oder
Ministern. Wir erinnern nur an das, was damals von den Universitäten
selbst sür ihre eigene Umgestaltung aus der Grundlage der „zeitgemäßen"
Ideale geschehen ist. Denn trotz der in mehr als einem Sinne anstrengen¬
den, ja aufreibenden Forderungen, welche Vaterland und Volk damals an
die Blüthe seiner Geistesbildung auf dem Katheder und auf den Subsellien
der Hörsäle stellte, blieb doch noch auf eine jetzt kaum mehr begreifliche Weise
diesem so tief und allseitig in Anspruch genommenen Elitecorps der Nation
Zeit und Kraft genug übrig, um die eigensten häuslichen Anlegenheiten mit
demselben Eifer zu fördern. Wie billig ging die Jugend mit der That
voran, und das Alter folgte nach. Damals, wo die Worte Parlament und
parlamentarisch noch den vollen Zauber eines neu importirten Fetisches be¬
saßen, mußte es natürlich auch ein Studentenparlament sein, welches die Ne-
formgedanken der Jugend zum Ausdruck brachte. Bekanntlich gehörte der
Sommer 1848 zu den schönsten, die jemals über das deutsche Land gezogen
sind, aber auch zu den heißesten, und man weiß, welchen Einfluß diese beiden
Eigenschaften auf die großen weltgeschichtlichen Actionen der Zeit von
der pariser Februar- bis zu der wiener Octoberrevolution geäußert haben.
Das deutsche Studentenparlament tagte in der allerschönsten und allerheißesten
Woche jenes Sommers an einem Orte, den die Natur selbst sür solches
Wetter zu einer Art von idyllischem Paradies bestimmt zu haben scheint, in
Eisenach oder auf der Wartburg, mehr in den himmlisch kühlen Schluch¬
ten und Waldgehängen um dieselbe sammt den dazu gehörigen Felsenkellern
als oben auf dem alten romantischesten aller heißen Felsenneste, oder in der
schwülen und altbürgerlichen Stadt selbst. Demgemäß konnte es auch nicht
verwundern, daß Verhandlungen und Beschlüsse dieses eisenacher Parla¬
mentes einigermaßen die Atmosphäre, welcher sie ih.e Entstehung verdankten,
erkennen lassen. Selbst die Führer der Majorität, die doch als Sieger mit
ihrem Werke zufrieden hätten sein sollen, waren dies, wie Jeder es hören
konnte, der wollte, nur in so weit, als die Tage in Eisenach zu einem herr¬
lichen „Ulk" in der Umgebung und als Staffage einer herrlichen Natur
Veranlassung gegeben hatten.


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[0414] jährigen Freiwilligendienstes manche Commilitonen zu einer geringfügigen Aenderung in ihren Studien — oder noch häufiger in ihrem Bummelgang durch das Triennium veranlaßt. Es liegt nahe mit diesem gegenwärtigen Stillleben unserer Universitäten, ihr Verhalten in der letzten großen Epoche allgemeiner politischer und so¬ cialer Bewegung, während des Jahres 1848 zu vergleichen. Wir lassen die grotesken Ausbrüche studentischen Revolutionsfiebers in München, Wien oder auch in dem kleinen Weimar-Jena, ganz bei Seite, wir sprechen auch nicht von den Professoren, Agitatoren, Volks- und Kammerrednern oder Ministern. Wir erinnern nur an das, was damals von den Universitäten selbst sür ihre eigene Umgestaltung aus der Grundlage der „zeitgemäßen" Ideale geschehen ist. Denn trotz der in mehr als einem Sinne anstrengen¬ den, ja aufreibenden Forderungen, welche Vaterland und Volk damals an die Blüthe seiner Geistesbildung auf dem Katheder und auf den Subsellien der Hörsäle stellte, blieb doch noch auf eine jetzt kaum mehr begreifliche Weise diesem so tief und allseitig in Anspruch genommenen Elitecorps der Nation Zeit und Kraft genug übrig, um die eigensten häuslichen Anlegenheiten mit demselben Eifer zu fördern. Wie billig ging die Jugend mit der That voran, und das Alter folgte nach. Damals, wo die Worte Parlament und parlamentarisch noch den vollen Zauber eines neu importirten Fetisches be¬ saßen, mußte es natürlich auch ein Studentenparlament sein, welches die Ne- formgedanken der Jugend zum Ausdruck brachte. Bekanntlich gehörte der Sommer 1848 zu den schönsten, die jemals über das deutsche Land gezogen sind, aber auch zu den heißesten, und man weiß, welchen Einfluß diese beiden Eigenschaften auf die großen weltgeschichtlichen Actionen der Zeit von der pariser Februar- bis zu der wiener Octoberrevolution geäußert haben. Das deutsche Studentenparlament tagte in der allerschönsten und allerheißesten Woche jenes Sommers an einem Orte, den die Natur selbst sür solches Wetter zu einer Art von idyllischem Paradies bestimmt zu haben scheint, in Eisenach oder auf der Wartburg, mehr in den himmlisch kühlen Schluch¬ ten und Waldgehängen um dieselbe sammt den dazu gehörigen Felsenkellern als oben auf dem alten romantischesten aller heißen Felsenneste, oder in der schwülen und altbürgerlichen Stadt selbst. Demgemäß konnte es auch nicht verwundern, daß Verhandlungen und Beschlüsse dieses eisenacher Parla¬ mentes einigermaßen die Atmosphäre, welcher sie ih.e Entstehung verdankten, erkennen lassen. Selbst die Führer der Majorität, die doch als Sieger mit ihrem Werke zufrieden hätten sein sollen, waren dies, wie Jeder es hören konnte, der wollte, nur in so weit, als die Tage in Eisenach zu einem herr¬ lichen „Ulk" in der Umgebung und als Staffage einer herrlichen Natur Veranlassung gegeben hatten.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_120192/414>, abgerufen am 28.09.2024.