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Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. I. Band.

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müssen --, sondern nur constatiren, daß es gerade das Geschick des Verfassers
für die individuelle Charakteristik ist. das uns seine ausschließliche Vertiefung
in die diplomatischen Verhandlungen, den scheinbar von den Personen unab¬
hängigen Lauf der Dinge, bedauern läßt. Der kurze Abschnitt, der von des
Königs Person handelt, "die wie ein Nordlicht erscheinen mag -- so groß, so
wunderbar, so leuchtend und doch so kühl" entwirft ein so klares, in so festen
Zügen gezeichnetes Bild des Helden, daß uns unwillkürlich der Wunsch be¬
schleicht, der Verfasser hätte den Pinsel des Portraitmalers länger in Hän¬
den behalten und nicht sogleich gegen den Griffel des diplomatischen Geschichts¬
schreibers vertauscht.

Dieser Umstand macht sich auch in der Folge geltend, namentlich in den
Abschnitten, welche es mit Gustav Adolf's livländischen, gegen Polen und
Russen erfochtenen kriegerischen Erfolge zu thun haben und die zu Gunsten
der gleichzeitigen Verhandlungen mit dem pfälzer Hof und den General¬
staaten in einen allzuengen Rahmen zusammengeschoben sind. Daß der Ver¬
sasser auf des Königs eigenthümliches militairisches Talent und die unge¬
heuren Erfolge nicht näher eingeht, die derselbe gerade gegen Polen errang,
erklärt sich wieder aus dem Plan des Werks, das leider nur eine Geschichte
der schwedischen Politik jener Zeit sein will. Aber ohne Entfernung von diesem
Ziel wäre es doch wol möglich gewesen, der großen staatsmännischen Wirk¬
samkeit zu gedenken, die Gustav Adolf gerade in diesem Zeitpunkt als Orga¬
nisator der neu eroberten Provinzen seines Reichs entfaltete. Diese Seite sei¬
nes reichen politischen Talents hat Gustav Adolf nie glänzender und aus¬
giebiger zu zeigen vermocht, als gerade in den Jahren, welche der Erobe¬
rung Riga's folgten; außerdem ist die Methode, nach welcher er die durch
den polnisch-jesuitischen Druck verwilderten Länder der baltischen Küste pro¬
testantischer Cultur zurückzugewinnen, ihnen für Jahrhunderte die Bahn der
Entwickelung vorzuzeichnen wußte, ein Vorbild für das Verwaltungssystem,
dem der König während seiner deutschen Eroberungszüge huldigte.

Daß an diesem, immerhin bedeutungsvollen Abschnitt im Leben des
nordischen Helden vorüber gegangen wird, hat übrigens doppelte Gründe
und das relativ gute Recht derselben, liegt zu sehr auf der Hand, um verkannt
werden zu können; der Verfasser betrachtet die gesammte Thätigkeit Gustav
Adolf's unter dem Gesichtspunkte ihrer Bedeutung für den großen deut¬
schen Krieg, und er hat es ausschließlich mit Primairen Quellen, vor¬
wiegend mit denen zu thun, die er selbst erschlossen. Und diese Quellen
führen nach Westen, nicht nach Osten. Zu derselben Zeit, da Gustav Adolf
Livland unterwirft und siegreich durch Kurland nach Litthauen und Polen
vordringt, muß er Dänemark "den Vortanz" in den gegen Oestreich gerichteten
Bestrebungen überlassen und beginnen die Generalstaaten für den großen


müssen —, sondern nur constatiren, daß es gerade das Geschick des Verfassers
für die individuelle Charakteristik ist. das uns seine ausschließliche Vertiefung
in die diplomatischen Verhandlungen, den scheinbar von den Personen unab¬
hängigen Lauf der Dinge, bedauern läßt. Der kurze Abschnitt, der von des
Königs Person handelt, „die wie ein Nordlicht erscheinen mag — so groß, so
wunderbar, so leuchtend und doch so kühl" entwirft ein so klares, in so festen
Zügen gezeichnetes Bild des Helden, daß uns unwillkürlich der Wunsch be¬
schleicht, der Verfasser hätte den Pinsel des Portraitmalers länger in Hän¬
den behalten und nicht sogleich gegen den Griffel des diplomatischen Geschichts¬
schreibers vertauscht.

Dieser Umstand macht sich auch in der Folge geltend, namentlich in den
Abschnitten, welche es mit Gustav Adolf's livländischen, gegen Polen und
Russen erfochtenen kriegerischen Erfolge zu thun haben und die zu Gunsten
der gleichzeitigen Verhandlungen mit dem pfälzer Hof und den General¬
staaten in einen allzuengen Rahmen zusammengeschoben sind. Daß der Ver¬
sasser auf des Königs eigenthümliches militairisches Talent und die unge¬
heuren Erfolge nicht näher eingeht, die derselbe gerade gegen Polen errang,
erklärt sich wieder aus dem Plan des Werks, das leider nur eine Geschichte
der schwedischen Politik jener Zeit sein will. Aber ohne Entfernung von diesem
Ziel wäre es doch wol möglich gewesen, der großen staatsmännischen Wirk¬
samkeit zu gedenken, die Gustav Adolf gerade in diesem Zeitpunkt als Orga¬
nisator der neu eroberten Provinzen seines Reichs entfaltete. Diese Seite sei¬
nes reichen politischen Talents hat Gustav Adolf nie glänzender und aus¬
giebiger zu zeigen vermocht, als gerade in den Jahren, welche der Erobe¬
rung Riga's folgten; außerdem ist die Methode, nach welcher er die durch
den polnisch-jesuitischen Druck verwilderten Länder der baltischen Küste pro¬
testantischer Cultur zurückzugewinnen, ihnen für Jahrhunderte die Bahn der
Entwickelung vorzuzeichnen wußte, ein Vorbild für das Verwaltungssystem,
dem der König während seiner deutschen Eroberungszüge huldigte.

Daß an diesem, immerhin bedeutungsvollen Abschnitt im Leben des
nordischen Helden vorüber gegangen wird, hat übrigens doppelte Gründe
und das relativ gute Recht derselben, liegt zu sehr auf der Hand, um verkannt
werden zu können; der Verfasser betrachtet die gesammte Thätigkeit Gustav
Adolf's unter dem Gesichtspunkte ihrer Bedeutung für den großen deut¬
schen Krieg, und er hat es ausschließlich mit Primairen Quellen, vor¬
wiegend mit denen zu thun, die er selbst erschlossen. Und diese Quellen
führen nach Westen, nicht nach Osten. Zu derselben Zeit, da Gustav Adolf
Livland unterwirft und siegreich durch Kurland nach Litthauen und Polen
vordringt, muß er Dänemark „den Vortanz" in den gegen Oestreich gerichteten
Bestrebungen überlassen und beginnen die Generalstaaten für den großen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_120192/408>, abgerufen am 28.09.2024.