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Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. I. Band.

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Der erste Band hat es mit der Geschichte Schwedens unter den fünf
ersten Fürsten aus dem Hause Wasa und den ersten 18 Regierungsjahren
Gustav Adolfs zu thun; er schließt mithin an demselben Punkt, von welchem
Helbigs verdienstvolles aus den dresdnern Archiven geschöpfte Buch (Gustav
Adolf und die Kurfürsten von Sachsen und Brandenburg, Leipzig 1854)
beginnt, und enthält eine in alle Details gehende Darstellung der einzelnen
Phasen der schwedischen Politik, seit Beginn des Resormationszeitalters,
so zu sagen die Vorgeschichte des Systems, welches Gustav Adolf verfolgte,
nachdem er auf deutschem Boden gelandet war. Damit ist zugleich gesagt,
daß der zu erwartende zweite Band den eigentlichen Schwerpunkt des Werks
bilden, und daß eine abschließende Beurtheilung desselben erst möglich sein wird,
wenn der Verf. zu den bisherigen Arbeiten über seines Helden deutsche Feld-
und Schachzüge Position genommen. All' die Controversen, welche über die
dem Schwedenkönige zu vindicirende Stellung in der deutschen Geschichte be¬
stehen, haben es mit dem kurzen Zeitraum zu thun, den derselbe auf deut¬
scher Erde verbrachte, seine Vorgeschichte wird von den Historikern gewöhnlich
nur nach den Resultaten, welche sie über die I. 1630--1632 gewonnen, also
retrospeetiv beurtheilt.

Droysens Arbeit sucht dagegen an der Betrachtung aller, der pommerschen
Landung vorhergehenden, Phasen von Gustav Adolf's Regierung den Aus¬
gangspunkt für das schließliche Urtheil über dieses Helden deutsche Politik
zu gewinnen und trägt schon aus diesem Grunde den Stempel der Selbstän¬
digkeit und Unabhängigkeit von früheren Forschungen. Seine Stellung zu
dem, was man gewöhnlich Gustav Adolf's deutsch-protestantische Mission nennt,
bezeichnet der Verfasser in der Vorrede so präcis, daß wir uns nur an
diese zu wenden brauchen, um mit dem letzten Wort des gesammten Werks
im Voraus bekannt zu werden. "Man hat sich daran gewöhnt", heißt es
a. a. O., "Gustav Adolf's welthistorische Bedeutung darin zu sehen, daß er
das Evangelium vom Rande des Untergangs rettete. Zwei Jahrhunderte
sind geschäftig gewesen, diese Anschauung zur herrschenden zu machen, so
sein Andenken gleichsam zu verklären. Die Ehrerbietung vor seinen Tugenden
hat sich mit der Bewunderung für seine Pläne und seine Thaten vermischt.
Weil er die evangelische Lehre geschützt, gerettet hat, will man, daß er aus.
gezogen sei. sie zu retten und zu schützen. Als der Heros des Protestantis¬
mus lebt er in der Erinnerung der evangelischen Welt, als der fromme Held
im Dienste des Glaubens. Wie man den Apostel Paulus abgebildet sieht,
mit der offenen Bibel in der Linken und dem bloßen Schwert in der Rech¬
ten, so steht der Nordländer vor dem Blick der bewundernden Nachwelt. --
Aber wenn es sich nun erweisen ließe, daß andere Gründe ihn zum Handeln
trieben und sein Handeln bestimmten, als der Wunsch, die Glaubensfreiheit


Grenzboten I. 1869. SO

Der erste Band hat es mit der Geschichte Schwedens unter den fünf
ersten Fürsten aus dem Hause Wasa und den ersten 18 Regierungsjahren
Gustav Adolfs zu thun; er schließt mithin an demselben Punkt, von welchem
Helbigs verdienstvolles aus den dresdnern Archiven geschöpfte Buch (Gustav
Adolf und die Kurfürsten von Sachsen und Brandenburg, Leipzig 1854)
beginnt, und enthält eine in alle Details gehende Darstellung der einzelnen
Phasen der schwedischen Politik, seit Beginn des Resormationszeitalters,
so zu sagen die Vorgeschichte des Systems, welches Gustav Adolf verfolgte,
nachdem er auf deutschem Boden gelandet war. Damit ist zugleich gesagt,
daß der zu erwartende zweite Band den eigentlichen Schwerpunkt des Werks
bilden, und daß eine abschließende Beurtheilung desselben erst möglich sein wird,
wenn der Verf. zu den bisherigen Arbeiten über seines Helden deutsche Feld-
und Schachzüge Position genommen. All' die Controversen, welche über die
dem Schwedenkönige zu vindicirende Stellung in der deutschen Geschichte be¬
stehen, haben es mit dem kurzen Zeitraum zu thun, den derselbe auf deut¬
scher Erde verbrachte, seine Vorgeschichte wird von den Historikern gewöhnlich
nur nach den Resultaten, welche sie über die I. 1630—1632 gewonnen, also
retrospeetiv beurtheilt.

Droysens Arbeit sucht dagegen an der Betrachtung aller, der pommerschen
Landung vorhergehenden, Phasen von Gustav Adolf's Regierung den Aus¬
gangspunkt für das schließliche Urtheil über dieses Helden deutsche Politik
zu gewinnen und trägt schon aus diesem Grunde den Stempel der Selbstän¬
digkeit und Unabhängigkeit von früheren Forschungen. Seine Stellung zu
dem, was man gewöhnlich Gustav Adolf's deutsch-protestantische Mission nennt,
bezeichnet der Verfasser in der Vorrede so präcis, daß wir uns nur an
diese zu wenden brauchen, um mit dem letzten Wort des gesammten Werks
im Voraus bekannt zu werden. „Man hat sich daran gewöhnt", heißt es
a. a. O., „Gustav Adolf's welthistorische Bedeutung darin zu sehen, daß er
das Evangelium vom Rande des Untergangs rettete. Zwei Jahrhunderte
sind geschäftig gewesen, diese Anschauung zur herrschenden zu machen, so
sein Andenken gleichsam zu verklären. Die Ehrerbietung vor seinen Tugenden
hat sich mit der Bewunderung für seine Pläne und seine Thaten vermischt.
Weil er die evangelische Lehre geschützt, gerettet hat, will man, daß er aus.
gezogen sei. sie zu retten und zu schützen. Als der Heros des Protestantis¬
mus lebt er in der Erinnerung der evangelischen Welt, als der fromme Held
im Dienste des Glaubens. Wie man den Apostel Paulus abgebildet sieht,
mit der offenen Bibel in der Linken und dem bloßen Schwert in der Rech¬
ten, so steht der Nordländer vor dem Blick der bewundernden Nachwelt. —
Aber wenn es sich nun erweisen ließe, daß andere Gründe ihn zum Handeln
trieben und sein Handeln bestimmten, als der Wunsch, die Glaubensfreiheit


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[0405] Der erste Band hat es mit der Geschichte Schwedens unter den fünf ersten Fürsten aus dem Hause Wasa und den ersten 18 Regierungsjahren Gustav Adolfs zu thun; er schließt mithin an demselben Punkt, von welchem Helbigs verdienstvolles aus den dresdnern Archiven geschöpfte Buch (Gustav Adolf und die Kurfürsten von Sachsen und Brandenburg, Leipzig 1854) beginnt, und enthält eine in alle Details gehende Darstellung der einzelnen Phasen der schwedischen Politik, seit Beginn des Resormationszeitalters, so zu sagen die Vorgeschichte des Systems, welches Gustav Adolf verfolgte, nachdem er auf deutschem Boden gelandet war. Damit ist zugleich gesagt, daß der zu erwartende zweite Band den eigentlichen Schwerpunkt des Werks bilden, und daß eine abschließende Beurtheilung desselben erst möglich sein wird, wenn der Verf. zu den bisherigen Arbeiten über seines Helden deutsche Feld- und Schachzüge Position genommen. All' die Controversen, welche über die dem Schwedenkönige zu vindicirende Stellung in der deutschen Geschichte be¬ stehen, haben es mit dem kurzen Zeitraum zu thun, den derselbe auf deut¬ scher Erde verbrachte, seine Vorgeschichte wird von den Historikern gewöhnlich nur nach den Resultaten, welche sie über die I. 1630—1632 gewonnen, also retrospeetiv beurtheilt. Droysens Arbeit sucht dagegen an der Betrachtung aller, der pommerschen Landung vorhergehenden, Phasen von Gustav Adolf's Regierung den Aus¬ gangspunkt für das schließliche Urtheil über dieses Helden deutsche Politik zu gewinnen und trägt schon aus diesem Grunde den Stempel der Selbstän¬ digkeit und Unabhängigkeit von früheren Forschungen. Seine Stellung zu dem, was man gewöhnlich Gustav Adolf's deutsch-protestantische Mission nennt, bezeichnet der Verfasser in der Vorrede so präcis, daß wir uns nur an diese zu wenden brauchen, um mit dem letzten Wort des gesammten Werks im Voraus bekannt zu werden. „Man hat sich daran gewöhnt", heißt es a. a. O., „Gustav Adolf's welthistorische Bedeutung darin zu sehen, daß er das Evangelium vom Rande des Untergangs rettete. Zwei Jahrhunderte sind geschäftig gewesen, diese Anschauung zur herrschenden zu machen, so sein Andenken gleichsam zu verklären. Die Ehrerbietung vor seinen Tugenden hat sich mit der Bewunderung für seine Pläne und seine Thaten vermischt. Weil er die evangelische Lehre geschützt, gerettet hat, will man, daß er aus. gezogen sei. sie zu retten und zu schützen. Als der Heros des Protestantis¬ mus lebt er in der Erinnerung der evangelischen Welt, als der fromme Held im Dienste des Glaubens. Wie man den Apostel Paulus abgebildet sieht, mit der offenen Bibel in der Linken und dem bloßen Schwert in der Rech¬ ten, so steht der Nordländer vor dem Blick der bewundernden Nachwelt. — Aber wenn es sich nun erweisen ließe, daß andere Gründe ihn zum Handeln trieben und sein Handeln bestimmten, als der Wunsch, die Glaubensfreiheit Grenzboten I. 1869. SO

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_120192/405>, abgerufen am 28.09.2024.