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Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. I. Band.

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blick, als ein feindliches Votum der Kammer, dessen Folgen nicht vorherzu¬
sehen waren, noch wahrscheinlich war.

Am Schlüsse seiner Rede hatte Hr. v. Varnbüler vom Referenten Klar¬
heit über den Sinn seiner Adresse verlangt, Klarheit über die Verträge, über
den Südbund, über das versteckte Mißtrauensvotum. Und nun, auf diese
Aufforderung Red' und Antwort zu stehen, folgte eine Erwiderung Probst's,
die nur den peinlichsten Eindruck hervorbringen konnte. So viel Terrain
war bereits verloren, das hatte er erkannt, daß er dem Wortlaut des Ent¬
wurfs die allermildeste, unschuldigste Auslegung geben mußte. Und so
trug er denn kein Bedenken dessen Tendenz zu verleugnen, zu versichern,
es sei kein Südbund und kein Mißtrauensvotum beabsichtigt, aber diese
Erklärungen immer untermischt mit leidenschaftlichen Ausfällen gegen den
norddeutschen Militärstaat und gegen die Minister, die das Land immer
tiefer in die Abhängigkeit von demselben hineingetrieben hätten, und
am Ende kam denn vollends die ganze bittere Enttäuschung und Empfind¬
lichkeit darüber zum Ausbruch, daß das Ministerium die dargebotene Hand
der großdeutschen Linken verschmäht und anstatt mit ihr ein Bündniß zur
Aufrechterhaltung der Selbständigkeit des Landes einzugehen, anstatt ihr nur
irgend ein Zugeständniß zu machen, sich vielmehr der deutschen Partei zuge¬
wandt habe. Damit war die allgemeine Debatte beendigt. Es folgte die
Abstimmung, welcher von den 3 Entwürfen der Specialberathung zu Grunde
gelegt werden solle. Der Hölder'sche Entwurf wurde mit 64 gegen 23 Stim¬
men, der Sarwey'sche mit 51 gegen 36 Stimmen abgelehnt. Mit 46 gegen
41 Stimmen entschied sich die Kammer für den Entwurf Probst's. Bei
dieser Abstimmung fehlten der Rechten 4 Stimmen, darunter die des Präsi¬
denten und die der beiden Minister Varnbüler und Mittnacht, welche sich der
Abstimmung enthielten.

Mit dieser vorläufigen Entscheidung schien die Adresse überhaupt ge¬
sichert. Die Stärke der Parteien hatte sich gemessen ; es war nicht wohl denk¬
bar, daß deren Verhältniß sich anders gestalten werde. Oder war es viel¬
leicht doch noch möglich durch geschickte Taktik die Ungunst der Zahl zu be¬
siegen? Immerhin galt es wenigstens den Versuch, die Adresse noch in
mäßigendem Sinn zu amendiren. Glückte dies, so ließ sich vielleicht noch
das weitere Ziel erreichen, daß dann ein Theil der Linken den Geschmack an
ihr überhaupt verlor.

So begann in der Abendsitzung vom 19. December die Specialdebatte.
Die Volkspartei hakte den schüchternen Versuch gemacht eine Anzahl ver¬
schärfender Amendements in ihrem Sinn einzubringen, meist dem ursprünglichen
Probst'schen Entwurf entnommen. Sie zog jetzt diese Amendements als aus¬
sichtslos on divo zurück. Dagegen wurden nun von Sick und seinen Freun-


blick, als ein feindliches Votum der Kammer, dessen Folgen nicht vorherzu¬
sehen waren, noch wahrscheinlich war.

Am Schlüsse seiner Rede hatte Hr. v. Varnbüler vom Referenten Klar¬
heit über den Sinn seiner Adresse verlangt, Klarheit über die Verträge, über
den Südbund, über das versteckte Mißtrauensvotum. Und nun, auf diese
Aufforderung Red' und Antwort zu stehen, folgte eine Erwiderung Probst's,
die nur den peinlichsten Eindruck hervorbringen konnte. So viel Terrain
war bereits verloren, das hatte er erkannt, daß er dem Wortlaut des Ent¬
wurfs die allermildeste, unschuldigste Auslegung geben mußte. Und so
trug er denn kein Bedenken dessen Tendenz zu verleugnen, zu versichern,
es sei kein Südbund und kein Mißtrauensvotum beabsichtigt, aber diese
Erklärungen immer untermischt mit leidenschaftlichen Ausfällen gegen den
norddeutschen Militärstaat und gegen die Minister, die das Land immer
tiefer in die Abhängigkeit von demselben hineingetrieben hätten, und
am Ende kam denn vollends die ganze bittere Enttäuschung und Empfind¬
lichkeit darüber zum Ausbruch, daß das Ministerium die dargebotene Hand
der großdeutschen Linken verschmäht und anstatt mit ihr ein Bündniß zur
Aufrechterhaltung der Selbständigkeit des Landes einzugehen, anstatt ihr nur
irgend ein Zugeständniß zu machen, sich vielmehr der deutschen Partei zuge¬
wandt habe. Damit war die allgemeine Debatte beendigt. Es folgte die
Abstimmung, welcher von den 3 Entwürfen der Specialberathung zu Grunde
gelegt werden solle. Der Hölder'sche Entwurf wurde mit 64 gegen 23 Stim¬
men, der Sarwey'sche mit 51 gegen 36 Stimmen abgelehnt. Mit 46 gegen
41 Stimmen entschied sich die Kammer für den Entwurf Probst's. Bei
dieser Abstimmung fehlten der Rechten 4 Stimmen, darunter die des Präsi¬
denten und die der beiden Minister Varnbüler und Mittnacht, welche sich der
Abstimmung enthielten.

Mit dieser vorläufigen Entscheidung schien die Adresse überhaupt ge¬
sichert. Die Stärke der Parteien hatte sich gemessen ; es war nicht wohl denk¬
bar, daß deren Verhältniß sich anders gestalten werde. Oder war es viel¬
leicht doch noch möglich durch geschickte Taktik die Ungunst der Zahl zu be¬
siegen? Immerhin galt es wenigstens den Versuch, die Adresse noch in
mäßigendem Sinn zu amendiren. Glückte dies, so ließ sich vielleicht noch
das weitere Ziel erreichen, daß dann ein Theil der Linken den Geschmack an
ihr überhaupt verlor.

So begann in der Abendsitzung vom 19. December die Specialdebatte.
Die Volkspartei hakte den schüchternen Versuch gemacht eine Anzahl ver¬
schärfender Amendements in ihrem Sinn einzubringen, meist dem ursprünglichen
Probst'schen Entwurf entnommen. Sie zog jetzt diese Amendements als aus¬
sichtslos on divo zurück. Dagegen wurden nun von Sick und seinen Freun-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_120192/40>, abgerufen am 28.09.2024.