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Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. I. Band.

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nen Sprecher. Gleich zu Anfang der Abstimmung sah "nan. daß die Ent¬
scheidung von einer Stimme abhängen werde und auf diese waren alle Blicke
gerichtet. Der Krieg hing bereits als unheilschwangere Wolke über dem Lande,
und der Süden glaubte, des noch zweifelhaften Vertreters von Maryland
sicher zu sein. Davis war nicht anwesend, als die Abstimmung begann, und
die Stimmen standen sich gleich, als er eintrat; mit Siegeshoffnung begrüßte
ihn die eine, mit banger Erwartung die andere Partei; -- er stimmt für
die letztere, und der republikanische Sprecher war erwählt.

Das geschah, während Davis' Heimath der Sitz der Sclavenpropaganda
war, und die Aristokratie dieses- Staates, zu welcher alle seine persönlichen
Freunde zählten, enthusiastisch für die Rechte des Südens schwärmte. -- In
Maryland brach ein förmlicher Sturm der Entrüstung gegen ihn los; die Legis¬
lative dieses Staats schickte ihm ein Tadelsvotum, und in verschiedenen Zu¬
schriften wurde er geradezu aufgefordert, abzudanken. Aber inmitten dieses
Sturmes ging Davis noch weiter. Als der Pöbel Baltimore's im April 1861
die ersten Freiwilligen von Massachusets, welche zum Schutz der Bundeshaupt¬
stadt gegen die Rebellen herbeieilten, -in dieser Stadt angriff, als der Ver¬
rath .sich in allen Salons breit machte, jeder Patriot in der guten Gesell¬
schaft geächtet war, als durch Treue gegen die Union Nichts zu gewinnen,
aber Alles zu verlieren war, als sich selbst diejenigen Politiker scheu zurück¬
zogen, welche aus gröberem Stoff geformt waren, sammelte er die zerstreu¬
ten Patrioten , meistens Arbeiter, zu einer Partei, durchzog Stadt und Land^
nach allen Richtungen, um unter steten persönlichen Gefahren, die Unteil¬
barkeit der Union zu predigen. Als dann die Grenz-Sclavenstaaten zum
Lohn dafür, daß sie nicht abgefallen seien, um gesetzlichen Schutz für ihre
Sclaveninteressen baten, organisirte er in Marhland die Partei, welche sofor¬
tige Emancipation proklamirte und durchsetzte. Und als endlich das ganze
Land glaubte, mit Befreiung der Neger sei es abgethan, erklärte Davis sich
zum momentanen Schrecken einer großen Anzahl seiner Parteigenossen für all¬
gemeines Stimmrecht, und machte diese Frage zum Schiboleth der neuange¬
brochenen Aera.

Jetzt begann seine große oratorische und staatsmännische Thätigkeit.

Als Redner konnte sich Henry Winter Davis eines Namens rühmen,
wie ihn seiner Zeit neben ihm im Congreß Niemand, selbst nicht Thciddeus
Stevens besessen. Seine Reden gehören der amerikanischen Literatur an.
Die charakteristischen Züge seines oratorischen Styls waren hohe Eleganz,
klare Logik, lapioare Kürze. Jeder Gedanke sprang klar und gut einge¬
kleidet über seine Lippen. jede Idee wurde von ihm so ausgedrückt, daß sie
wie ein fein geschliffner Diamant nach allen Seiten hinglänzte.


Grenzboten I. 18V9. 49

nen Sprecher. Gleich zu Anfang der Abstimmung sah «nan. daß die Ent¬
scheidung von einer Stimme abhängen werde und auf diese waren alle Blicke
gerichtet. Der Krieg hing bereits als unheilschwangere Wolke über dem Lande,
und der Süden glaubte, des noch zweifelhaften Vertreters von Maryland
sicher zu sein. Davis war nicht anwesend, als die Abstimmung begann, und
die Stimmen standen sich gleich, als er eintrat; mit Siegeshoffnung begrüßte
ihn die eine, mit banger Erwartung die andere Partei; — er stimmt für
die letztere, und der republikanische Sprecher war erwählt.

Das geschah, während Davis' Heimath der Sitz der Sclavenpropaganda
war, und die Aristokratie dieses- Staates, zu welcher alle seine persönlichen
Freunde zählten, enthusiastisch für die Rechte des Südens schwärmte. — In
Maryland brach ein förmlicher Sturm der Entrüstung gegen ihn los; die Legis¬
lative dieses Staats schickte ihm ein Tadelsvotum, und in verschiedenen Zu¬
schriften wurde er geradezu aufgefordert, abzudanken. Aber inmitten dieses
Sturmes ging Davis noch weiter. Als der Pöbel Baltimore's im April 1861
die ersten Freiwilligen von Massachusets, welche zum Schutz der Bundeshaupt¬
stadt gegen die Rebellen herbeieilten, -in dieser Stadt angriff, als der Ver¬
rath .sich in allen Salons breit machte, jeder Patriot in der guten Gesell¬
schaft geächtet war, als durch Treue gegen die Union Nichts zu gewinnen,
aber Alles zu verlieren war, als sich selbst diejenigen Politiker scheu zurück¬
zogen, welche aus gröberem Stoff geformt waren, sammelte er die zerstreu¬
ten Patrioten , meistens Arbeiter, zu einer Partei, durchzog Stadt und Land^
nach allen Richtungen, um unter steten persönlichen Gefahren, die Unteil¬
barkeit der Union zu predigen. Als dann die Grenz-Sclavenstaaten zum
Lohn dafür, daß sie nicht abgefallen seien, um gesetzlichen Schutz für ihre
Sclaveninteressen baten, organisirte er in Marhland die Partei, welche sofor¬
tige Emancipation proklamirte und durchsetzte. Und als endlich das ganze
Land glaubte, mit Befreiung der Neger sei es abgethan, erklärte Davis sich
zum momentanen Schrecken einer großen Anzahl seiner Parteigenossen für all¬
gemeines Stimmrecht, und machte diese Frage zum Schiboleth der neuange¬
brochenen Aera.

Jetzt begann seine große oratorische und staatsmännische Thätigkeit.

Als Redner konnte sich Henry Winter Davis eines Namens rühmen,
wie ihn seiner Zeit neben ihm im Congreß Niemand, selbst nicht Thciddeus
Stevens besessen. Seine Reden gehören der amerikanischen Literatur an.
Die charakteristischen Züge seines oratorischen Styls waren hohe Eleganz,
klare Logik, lapioare Kürze. Jeder Gedanke sprang klar und gut einge¬
kleidet über seine Lippen. jede Idee wurde von ihm so ausgedrückt, daß sie
wie ein fein geschliffner Diamant nach allen Seiten hinglänzte.


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[0397] nen Sprecher. Gleich zu Anfang der Abstimmung sah «nan. daß die Ent¬ scheidung von einer Stimme abhängen werde und auf diese waren alle Blicke gerichtet. Der Krieg hing bereits als unheilschwangere Wolke über dem Lande, und der Süden glaubte, des noch zweifelhaften Vertreters von Maryland sicher zu sein. Davis war nicht anwesend, als die Abstimmung begann, und die Stimmen standen sich gleich, als er eintrat; mit Siegeshoffnung begrüßte ihn die eine, mit banger Erwartung die andere Partei; — er stimmt für die letztere, und der republikanische Sprecher war erwählt. Das geschah, während Davis' Heimath der Sitz der Sclavenpropaganda war, und die Aristokratie dieses- Staates, zu welcher alle seine persönlichen Freunde zählten, enthusiastisch für die Rechte des Südens schwärmte. — In Maryland brach ein förmlicher Sturm der Entrüstung gegen ihn los; die Legis¬ lative dieses Staats schickte ihm ein Tadelsvotum, und in verschiedenen Zu¬ schriften wurde er geradezu aufgefordert, abzudanken. Aber inmitten dieses Sturmes ging Davis noch weiter. Als der Pöbel Baltimore's im April 1861 die ersten Freiwilligen von Massachusets, welche zum Schutz der Bundeshaupt¬ stadt gegen die Rebellen herbeieilten, -in dieser Stadt angriff, als der Ver¬ rath .sich in allen Salons breit machte, jeder Patriot in der guten Gesell¬ schaft geächtet war, als durch Treue gegen die Union Nichts zu gewinnen, aber Alles zu verlieren war, als sich selbst diejenigen Politiker scheu zurück¬ zogen, welche aus gröberem Stoff geformt waren, sammelte er die zerstreu¬ ten Patrioten , meistens Arbeiter, zu einer Partei, durchzog Stadt und Land^ nach allen Richtungen, um unter steten persönlichen Gefahren, die Unteil¬ barkeit der Union zu predigen. Als dann die Grenz-Sclavenstaaten zum Lohn dafür, daß sie nicht abgefallen seien, um gesetzlichen Schutz für ihre Sclaveninteressen baten, organisirte er in Marhland die Partei, welche sofor¬ tige Emancipation proklamirte und durchsetzte. Und als endlich das ganze Land glaubte, mit Befreiung der Neger sei es abgethan, erklärte Davis sich zum momentanen Schrecken einer großen Anzahl seiner Parteigenossen für all¬ gemeines Stimmrecht, und machte diese Frage zum Schiboleth der neuange¬ brochenen Aera. Jetzt begann seine große oratorische und staatsmännische Thätigkeit. Als Redner konnte sich Henry Winter Davis eines Namens rühmen, wie ihn seiner Zeit neben ihm im Congreß Niemand, selbst nicht Thciddeus Stevens besessen. Seine Reden gehören der amerikanischen Literatur an. Die charakteristischen Züge seines oratorischen Styls waren hohe Eleganz, klare Logik, lapioare Kürze. Jeder Gedanke sprang klar und gut einge¬ kleidet über seine Lippen. jede Idee wurde von ihm so ausgedrückt, daß sie wie ein fein geschliffner Diamant nach allen Seiten hinglänzte. Grenzboten I. 18V9. 49

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_120192/397>, abgerufen am 28.09.2024.