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Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. I. Band.

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reichen Organisation, welche die französischen Truppentransportschiffe besitzt,
hat das Landungscorps enorme Vortheile voraus, schon insofern, als jetzt
ein Zusammenwirken von Flotte und Landmacht nicht mehr zu den unberechen¬
baren Actionen gehört. Bereits im Krimkriege, wo doch nur ein Theil der
Transportflotte aus Dampfern bestand, wurden binnen wenigen Stunden
ganze Divisionen ans Land geworfen, die sofort, durch Tirailleurs gedeckt, in
die ihnen bezeichneten Stellungen auf dem Lande einrückten. Und heut um¬
habe die französische Transportflotte nicht weniger als 80 große Schiffe,
theils Linienschiffe, welche zum Kampf zu langsam oder sonst nicht mehr
tauglich erscheinen, theils große Barkschiffe mit zwei (weiß gestrichenen) Etagen
von nicht geringerer Länge als die Linienschiffe, neben denen sie z. B. in
Cherbourg Bord an Bord liegend zu sehen sind; diese Flotte vermag ein
Corps von nicht weniger als 40,000 Mann und 12,000 Pferden auf einmal
zu befördern. Vom Schutze der Nacht gedeckt kann diese Flotte, deren
Organisation bei den letzten Debatten über das Marinebudget durch den
Regierungscommissär, den berühmten Schiffsbauingenieur Dupuis de Löme
in das Licht gesetzt wurde, plötzlich an einem beliebigen Punkte der feind¬
lichen Küste erscheinen, der vielleicht von größeren Festungen und Marine¬
stationen weit entfernt liegt. Bei Tagesanbruch werden die Boote sofort
auf der Landseite ausgesetzt; sie brauchen nicht mehr wie früher einen großen
Theil ihres Raumes durch rudernde Matrosen zu besetzen, Dampfbarkassen
schleppen die Boote, die Mannschaften springen oder waten ans Land, die
ersten Bataillone rücken durch Tirailleure gedeckt in die besten Stellungen
vor; binnen wenigen Stunden sind die Mannschaften des ganzen Corps ge¬
landet, während auf den Schiffen aufgeführte zerlegbare Kanonenboote, aller¬
dings unter sehr bedeutendem Zeitverlust, für die Landung zusammengesetzt
werden, um die Landungsboote zu decken.

Bis Hieher waren alle Vortheile auf Seiten der Angreifer: jetzt aber
beginnen für sie die Schwierigkeiten, während für den Vertheidiger die
Chancen wachsen. Die Landung der Infanterie selbst war leicht und schnell
zu bewerkstelligen: aber Tagelang -- in der Krim vier Tage -- dauert es,
bis auch die Pferde und die Geschütze, der Train und all' das unzählige
Material gelandet ist, das heutzutage einer Armee für ihre Operationen un¬
entbehrlich ist, und de-r Armee die Möglichkeit gibt, von der Stelle zu rücken,
zumal gegen -einen Feind, der im eigenen Lande alle Hilfsquellen in der
Nähe hat. Und je weiter der Angreifer vorrückt, desto ungünstiger wird
seine Lage. Die Verbindungslinie zu seinem einzigen Depot, der Flotte
und ihren Ressourcen, wird immer länger und angreifbarer, die Flotte selbst
liegt ihm ferner. Die Schiffe ihrerseits sind unbeweglich an den Landungs¬
punkt gefesselt, um im Falle einer Niederlage die Truppen wieder ciufzu-


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reichen Organisation, welche die französischen Truppentransportschiffe besitzt,
hat das Landungscorps enorme Vortheile voraus, schon insofern, als jetzt
ein Zusammenwirken von Flotte und Landmacht nicht mehr zu den unberechen¬
baren Actionen gehört. Bereits im Krimkriege, wo doch nur ein Theil der
Transportflotte aus Dampfern bestand, wurden binnen wenigen Stunden
ganze Divisionen ans Land geworfen, die sofort, durch Tirailleurs gedeckt, in
die ihnen bezeichneten Stellungen auf dem Lande einrückten. Und heut um¬
habe die französische Transportflotte nicht weniger als 80 große Schiffe,
theils Linienschiffe, welche zum Kampf zu langsam oder sonst nicht mehr
tauglich erscheinen, theils große Barkschiffe mit zwei (weiß gestrichenen) Etagen
von nicht geringerer Länge als die Linienschiffe, neben denen sie z. B. in
Cherbourg Bord an Bord liegend zu sehen sind; diese Flotte vermag ein
Corps von nicht weniger als 40,000 Mann und 12,000 Pferden auf einmal
zu befördern. Vom Schutze der Nacht gedeckt kann diese Flotte, deren
Organisation bei den letzten Debatten über das Marinebudget durch den
Regierungscommissär, den berühmten Schiffsbauingenieur Dupuis de Löme
in das Licht gesetzt wurde, plötzlich an einem beliebigen Punkte der feind¬
lichen Küste erscheinen, der vielleicht von größeren Festungen und Marine¬
stationen weit entfernt liegt. Bei Tagesanbruch werden die Boote sofort
auf der Landseite ausgesetzt; sie brauchen nicht mehr wie früher einen großen
Theil ihres Raumes durch rudernde Matrosen zu besetzen, Dampfbarkassen
schleppen die Boote, die Mannschaften springen oder waten ans Land, die
ersten Bataillone rücken durch Tirailleure gedeckt in die besten Stellungen
vor; binnen wenigen Stunden sind die Mannschaften des ganzen Corps ge¬
landet, während auf den Schiffen aufgeführte zerlegbare Kanonenboote, aller¬
dings unter sehr bedeutendem Zeitverlust, für die Landung zusammengesetzt
werden, um die Landungsboote zu decken.

Bis Hieher waren alle Vortheile auf Seiten der Angreifer: jetzt aber
beginnen für sie die Schwierigkeiten, während für den Vertheidiger die
Chancen wachsen. Die Landung der Infanterie selbst war leicht und schnell
zu bewerkstelligen: aber Tagelang — in der Krim vier Tage — dauert es,
bis auch die Pferde und die Geschütze, der Train und all' das unzählige
Material gelandet ist, das heutzutage einer Armee für ihre Operationen un¬
entbehrlich ist, und de-r Armee die Möglichkeit gibt, von der Stelle zu rücken,
zumal gegen -einen Feind, der im eigenen Lande alle Hilfsquellen in der
Nähe hat. Und je weiter der Angreifer vorrückt, desto ungünstiger wird
seine Lage. Die Verbindungslinie zu seinem einzigen Depot, der Flotte
und ihren Ressourcen, wird immer länger und angreifbarer, die Flotte selbst
liegt ihm ferner. Die Schiffe ihrerseits sind unbeweglich an den Landungs¬
punkt gefesselt, um im Falle einer Niederlage die Truppen wieder ciufzu-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_120192/383>, abgerufen am 28.09.2024.