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Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. I. Band.

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Zweidrittelsmehrheit von der vorigen Kammer genehmigt, suchte man ver¬
gebens in einem Antrag von dieser Seite niedergelegt. Um so größer aber
war nun die Mannigfaltigkeit der Meinungen, in welchen je nach Laune und
Temperament der Aerger über diese Verträge seinen Ausdruck fand. Ueber¬
haupt zeigte sich auch bei dieser Gelegenheit, wie uneigentlich der Particularis-
mus beständig von der Einmüthigkeit des schwäbischen Volkes redet. Jeden¬
falls war diese bei den Vertretern dieses schwäbischen Volks nicht zu finden,
und nicht einmal unter den Mitgliedern der Linken selbst. Von den National¬
liberalen wurden die Verträge als Basis und Ausgangspunkt der bundes¬
staatlichen Einigung mit dem Norden verstanden, von der Regierungspartei
die loyale und pflichtmäßige Beobachtung derselben betont, aber zugleich ihre
Weiterentwicklung abgewiesen, nach dem Wahlspruch eines ihrer Mitglieder:
"ich sehe nicht weiter". Der Referent sah sich später gleichfalls genöthigt
für die Giltigkeit der Verträge und ihre loyale Beobachtung eine Lanze zu
brechen, suchte aber zugleich ihren Inhalt abzuschwächen, wobei er sich auf
die Commentare der Minister in der vorigen Session berief. Vorsichtig meinte
Oesterlen, die Verträge seien allerdings zu halten, so lange sie bestehen. Der
obenerwähnte Professor der Staatsweisheit bestand darauf, daß sie einer legi¬
timen Revision unterzogen werden müßten. Ammermüller: der Allianzver-
trag ist rechtlich ungiltig, übrigens werthlos. Hopf endlich: ich erkenne über¬
haupt gar keine Verträge an. Das war eine recht ansehnliche Stufenleiter
von Gefühlen gegenüber einem Vertrage, der wenigstens für den Kriegsfall
eine nothdürftige Einheit gegenüber dem Ausland herstellt. Das Wort legi¬
time Revision schien eine ganz besonders glückliche Erfindung, um dem Wider¬
willen gegen die nationale Pflicht eine einigermaßen anständige Form zu geben.
Sie kehrte deßwegen in mehreren Reden wieder, bis dann doch von nationaler
Seite mit scharfen Worten gesagt wurde, was der einzig mögliche Sinn dieser
zweideutigen Phrase sei.

Um die Wahrheit zu sagen: auch die Reden der nationalen zeigten ver¬
schiedene Nuancen. Begnügte sich der eine, wie der neugewählte oberschwä¬
bische Abgeordnete Schmid, mit der Kritik des Südbunds, so schonte andrer¬
seits Römer auch das Ministerium nicht und verlangte mit seinem gewohnten
Feuer den Eintritt in den norddeutschen Bund. Die retrospectiven Studien
über das Jahr 1866. in denen sich die Linke vorzüglich gefiel, insbesondere
Becher, der Reichsregent von 1849, der mit tugendhafter Entrüstung die
italienische Allianz brandmarkte und das Paraderoß der Usedomschen Note
ritt, gaben Elben und Holder willkommenen Anlaß zu schlagenden Entgegnun¬
gen, welche an der Hand der neuesten Enthüllungen die Mythologie über
Oestreichs damalige Politik zerstörten. Im Uebrigen zeichneten sich die Reden
der nationalen vortheilhaft vor denen der Linken durch ihren maßvollen und


Zweidrittelsmehrheit von der vorigen Kammer genehmigt, suchte man ver¬
gebens in einem Antrag von dieser Seite niedergelegt. Um so größer aber
war nun die Mannigfaltigkeit der Meinungen, in welchen je nach Laune und
Temperament der Aerger über diese Verträge seinen Ausdruck fand. Ueber¬
haupt zeigte sich auch bei dieser Gelegenheit, wie uneigentlich der Particularis-
mus beständig von der Einmüthigkeit des schwäbischen Volkes redet. Jeden¬
falls war diese bei den Vertretern dieses schwäbischen Volks nicht zu finden,
und nicht einmal unter den Mitgliedern der Linken selbst. Von den National¬
liberalen wurden die Verträge als Basis und Ausgangspunkt der bundes¬
staatlichen Einigung mit dem Norden verstanden, von der Regierungspartei
die loyale und pflichtmäßige Beobachtung derselben betont, aber zugleich ihre
Weiterentwicklung abgewiesen, nach dem Wahlspruch eines ihrer Mitglieder:
„ich sehe nicht weiter". Der Referent sah sich später gleichfalls genöthigt
für die Giltigkeit der Verträge und ihre loyale Beobachtung eine Lanze zu
brechen, suchte aber zugleich ihren Inhalt abzuschwächen, wobei er sich auf
die Commentare der Minister in der vorigen Session berief. Vorsichtig meinte
Oesterlen, die Verträge seien allerdings zu halten, so lange sie bestehen. Der
obenerwähnte Professor der Staatsweisheit bestand darauf, daß sie einer legi¬
timen Revision unterzogen werden müßten. Ammermüller: der Allianzver-
trag ist rechtlich ungiltig, übrigens werthlos. Hopf endlich: ich erkenne über¬
haupt gar keine Verträge an. Das war eine recht ansehnliche Stufenleiter
von Gefühlen gegenüber einem Vertrage, der wenigstens für den Kriegsfall
eine nothdürftige Einheit gegenüber dem Ausland herstellt. Das Wort legi¬
time Revision schien eine ganz besonders glückliche Erfindung, um dem Wider¬
willen gegen die nationale Pflicht eine einigermaßen anständige Form zu geben.
Sie kehrte deßwegen in mehreren Reden wieder, bis dann doch von nationaler
Seite mit scharfen Worten gesagt wurde, was der einzig mögliche Sinn dieser
zweideutigen Phrase sei.

Um die Wahrheit zu sagen: auch die Reden der nationalen zeigten ver¬
schiedene Nuancen. Begnügte sich der eine, wie der neugewählte oberschwä¬
bische Abgeordnete Schmid, mit der Kritik des Südbunds, so schonte andrer¬
seits Römer auch das Ministerium nicht und verlangte mit seinem gewohnten
Feuer den Eintritt in den norddeutschen Bund. Die retrospectiven Studien
über das Jahr 1866. in denen sich die Linke vorzüglich gefiel, insbesondere
Becher, der Reichsregent von 1849, der mit tugendhafter Entrüstung die
italienische Allianz brandmarkte und das Paraderoß der Usedomschen Note
ritt, gaben Elben und Holder willkommenen Anlaß zu schlagenden Entgegnun¬
gen, welche an der Hand der neuesten Enthüllungen die Mythologie über
Oestreichs damalige Politik zerstörten. Im Uebrigen zeichneten sich die Reden
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[0038] Zweidrittelsmehrheit von der vorigen Kammer genehmigt, suchte man ver¬ gebens in einem Antrag von dieser Seite niedergelegt. Um so größer aber war nun die Mannigfaltigkeit der Meinungen, in welchen je nach Laune und Temperament der Aerger über diese Verträge seinen Ausdruck fand. Ueber¬ haupt zeigte sich auch bei dieser Gelegenheit, wie uneigentlich der Particularis- mus beständig von der Einmüthigkeit des schwäbischen Volkes redet. Jeden¬ falls war diese bei den Vertretern dieses schwäbischen Volks nicht zu finden, und nicht einmal unter den Mitgliedern der Linken selbst. Von den National¬ liberalen wurden die Verträge als Basis und Ausgangspunkt der bundes¬ staatlichen Einigung mit dem Norden verstanden, von der Regierungspartei die loyale und pflichtmäßige Beobachtung derselben betont, aber zugleich ihre Weiterentwicklung abgewiesen, nach dem Wahlspruch eines ihrer Mitglieder: „ich sehe nicht weiter". Der Referent sah sich später gleichfalls genöthigt für die Giltigkeit der Verträge und ihre loyale Beobachtung eine Lanze zu brechen, suchte aber zugleich ihren Inhalt abzuschwächen, wobei er sich auf die Commentare der Minister in der vorigen Session berief. Vorsichtig meinte Oesterlen, die Verträge seien allerdings zu halten, so lange sie bestehen. Der obenerwähnte Professor der Staatsweisheit bestand darauf, daß sie einer legi¬ timen Revision unterzogen werden müßten. Ammermüller: der Allianzver- trag ist rechtlich ungiltig, übrigens werthlos. Hopf endlich: ich erkenne über¬ haupt gar keine Verträge an. Das war eine recht ansehnliche Stufenleiter von Gefühlen gegenüber einem Vertrage, der wenigstens für den Kriegsfall eine nothdürftige Einheit gegenüber dem Ausland herstellt. Das Wort legi¬ time Revision schien eine ganz besonders glückliche Erfindung, um dem Wider¬ willen gegen die nationale Pflicht eine einigermaßen anständige Form zu geben. Sie kehrte deßwegen in mehreren Reden wieder, bis dann doch von nationaler Seite mit scharfen Worten gesagt wurde, was der einzig mögliche Sinn dieser zweideutigen Phrase sei. Um die Wahrheit zu sagen: auch die Reden der nationalen zeigten ver¬ schiedene Nuancen. Begnügte sich der eine, wie der neugewählte oberschwä¬ bische Abgeordnete Schmid, mit der Kritik des Südbunds, so schonte andrer¬ seits Römer auch das Ministerium nicht und verlangte mit seinem gewohnten Feuer den Eintritt in den norddeutschen Bund. Die retrospectiven Studien über das Jahr 1866. in denen sich die Linke vorzüglich gefiel, insbesondere Becher, der Reichsregent von 1849, der mit tugendhafter Entrüstung die italienische Allianz brandmarkte und das Paraderoß der Usedomschen Note ritt, gaben Elben und Holder willkommenen Anlaß zu schlagenden Entgegnun¬ gen, welche an der Hand der neuesten Enthüllungen die Mythologie über Oestreichs damalige Politik zerstörten. Im Uebrigen zeichneten sich die Reden der nationalen vortheilhaft vor denen der Linken durch ihren maßvollen und

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_120192/38>, abgerufen am 28.09.2024.