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Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. I. Band.

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wir uns nun sagen, daß eine solche Begräbnißweise sich nicht zu halten ver¬
möchte, wenn das Volk etwas Verletzendes dann sähe. Bei uns freilich
würde sie, wenn sie aus irgend einem Grunde eingeführt würde, sofort einen
Aufruhr hervorrufen, aber hier, wo die Armen auf der Straße so eng ver¬
bunden mit einander leben, daß man nie Familie von Familie zu unter¬
scheiden vermag, gereicht es ihnen zum Troste, daß auch ihre Abgeschiedenen
hübsch bei einander bleiben; und daß sie mit einem salto morwlg -- im
eigentlichsten Sinne -- zu ihrer Ruhestatt gelangen, hat sür ihren beweg¬
lichen muntern Sinn nichts Beleidigendes. Und was uns dabei am Meisten
verletzt, die grelle Unterscheidung und Sonderung von Arm und Reich und
die Verleugnung aller Individualität, das nimmt der Neapolitaner auch hier
als etwas Selbstverständliches hin, wie er es in so vielen anderen Beziehungen
thut. Wer weiß denn auch, ob unsere Sentimentalität nicht etwas sehr
Krankhaftes und der Ausrottung werth sei?




Am 18. Januar wohnten wir dem Stapellauf einer Dampfcorvette
in Castellamare bei. Auf dem Wege vom Bahnhofe zu den Werften
wurde das anwesende kronprinzliche Paar mit lebhaften Zurufen begrüßt, auf
dem Platze selbst von dem aufgestellten Marinepersonal feierlich empfangen.
Ehe die Arbeit an den Stützen des Schiffes begann, umwandelte ein
Geistlicher mit einem Weihwedel den ganzen Bau; zwei Lazzaroni trugen
ihm einen Weihkessel voll des Elementes nach, dem der Täufling demnächst
übergeben werden sollte. Ich konnte nicht bemerken, daß irgend Jemand bei
diesem feierlichen Acte mehr empfand, als das schwarze nunmehr geheiligte
Ungethüm selbst. Lebendiger schon wurden die Empfindungen, als jetzt der
bekannte Marsch aus der schönen Helena das Murmeln des Priesters ab-
löste, und nun fing auch das Hämmern, Stoßen und Ziehen an und ver-
setzte uns in die größte Spannung. Als das Schiff nur noch auf dem
Schlosse ruhte, wurde ein reizendes, noch unerwachsenes junges Mädchen,
die Tochter des Herzogs von Arpino, zum Gerüst hinaufgeführt, um dem
Schiffe den Namen und das Zeichen zu seiner Abfahrt zu geben. Die Be¬
wegung, welche dabei im Publicum entstand, schien noch einen anderen
Grund als den allerdings freundlichen Anblick zu haben. Auf unsere Fragen
erfuhren wir denn auch, daß sich in diesem Acte und in der Wahl der jungen
Dame gewissermaßen die, wenn auch nur poetische Sühne eines schrecklichen
Ereignisses früherer Zeiten vollziehe. Dies junge Mädchen sei die Urenkelin
jenes würdigen Admirals Carracciuolo, der in der fürchterlichen Reaction
des Jahres 1799 auf Befehl der Königin Karoline und unter Mitwirkung


wir uns nun sagen, daß eine solche Begräbnißweise sich nicht zu halten ver¬
möchte, wenn das Volk etwas Verletzendes dann sähe. Bei uns freilich
würde sie, wenn sie aus irgend einem Grunde eingeführt würde, sofort einen
Aufruhr hervorrufen, aber hier, wo die Armen auf der Straße so eng ver¬
bunden mit einander leben, daß man nie Familie von Familie zu unter¬
scheiden vermag, gereicht es ihnen zum Troste, daß auch ihre Abgeschiedenen
hübsch bei einander bleiben; und daß sie mit einem salto morwlg — im
eigentlichsten Sinne — zu ihrer Ruhestatt gelangen, hat sür ihren beweg¬
lichen muntern Sinn nichts Beleidigendes. Und was uns dabei am Meisten
verletzt, die grelle Unterscheidung und Sonderung von Arm und Reich und
die Verleugnung aller Individualität, das nimmt der Neapolitaner auch hier
als etwas Selbstverständliches hin, wie er es in so vielen anderen Beziehungen
thut. Wer weiß denn auch, ob unsere Sentimentalität nicht etwas sehr
Krankhaftes und der Ausrottung werth sei?




Am 18. Januar wohnten wir dem Stapellauf einer Dampfcorvette
in Castellamare bei. Auf dem Wege vom Bahnhofe zu den Werften
wurde das anwesende kronprinzliche Paar mit lebhaften Zurufen begrüßt, auf
dem Platze selbst von dem aufgestellten Marinepersonal feierlich empfangen.
Ehe die Arbeit an den Stützen des Schiffes begann, umwandelte ein
Geistlicher mit einem Weihwedel den ganzen Bau; zwei Lazzaroni trugen
ihm einen Weihkessel voll des Elementes nach, dem der Täufling demnächst
übergeben werden sollte. Ich konnte nicht bemerken, daß irgend Jemand bei
diesem feierlichen Acte mehr empfand, als das schwarze nunmehr geheiligte
Ungethüm selbst. Lebendiger schon wurden die Empfindungen, als jetzt der
bekannte Marsch aus der schönen Helena das Murmeln des Priesters ab-
löste, und nun fing auch das Hämmern, Stoßen und Ziehen an und ver-
setzte uns in die größte Spannung. Als das Schiff nur noch auf dem
Schlosse ruhte, wurde ein reizendes, noch unerwachsenes junges Mädchen,
die Tochter des Herzogs von Arpino, zum Gerüst hinaufgeführt, um dem
Schiffe den Namen und das Zeichen zu seiner Abfahrt zu geben. Die Be¬
wegung, welche dabei im Publicum entstand, schien noch einen anderen
Grund als den allerdings freundlichen Anblick zu haben. Auf unsere Fragen
erfuhren wir denn auch, daß sich in diesem Acte und in der Wahl der jungen
Dame gewissermaßen die, wenn auch nur poetische Sühne eines schrecklichen
Ereignisses früherer Zeiten vollziehe. Dies junge Mädchen sei die Urenkelin
jenes würdigen Admirals Carracciuolo, der in der fürchterlichen Reaction
des Jahres 1799 auf Befehl der Königin Karoline und unter Mitwirkung


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_120192/363>, abgerufen am 28.09.2024.