Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. I. Band.sie da hinunter? Der Frate, der unserem Schauder die Frage ablas, s"gte Wir mußten noch mehr von dieser furchtbaren Bestattungsweise hören, Der Friedhof war von einer ziemlichen Anzahl Menschen der ärmsten Wir waren fortgegangen, weil wir uns im Stillen von unseren deutschen sie da hinunter? Der Frate, der unserem Schauder die Frage ablas, s«gte Wir mußten noch mehr von dieser furchtbaren Bestattungsweise hören, Der Friedhof war von einer ziemlichen Anzahl Menschen der ärmsten Wir waren fortgegangen, weil wir uns im Stillen von unseren deutschen <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0362" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/120551"/> <p xml:id="ID_1022" prev="#ID_1021"> sie da hinunter? Der Frate, der unserem Schauder die Frage ablas, s«gte<lb/> beruhigend: „Mit einem Strick."</p><lb/> <p xml:id="ID_1023"> Wir mußten noch mehr von dieser furchtbaren Bestattungsweise hören,<lb/> die uns auss Peinlichste überrascht hatte, und eilten nach dem einige hundert<lb/> Schritte entfernten alten Camposanto, den man ganz den Armen überlassen<lb/> hat. Hier traten wir in einen ähnlichen Hof; aber er war weit größer, als<lb/> jener, und hatte 19mal 19 der erwähnten Gewölböffnungen im Quadrat<lb/> geordnet. Ein anderer Hof enthält dann noch so viel Grüfte, daß ihre Zahl<lb/> im Ganzen derjenigen der Tage im Jahre gleichkommt. Jeden Abend wird<lb/> eine derselben geöffnet, um etwa vierzig Ankömmlinge aufzunehmen, und<lb/> dann bis zum nächsten Jahrestage geschlossen und verkittet. Ein Desinfec-<lb/> tionsmittel kommt nicht zur Anwendung, und dennoch bleibt bei dem dichten<lb/> Verschluß der Gewölbe die Luft gut; auch scheinen die Leichen mehr zu ver<lb/> trocknen, als zu verwesen.</p><lb/> <p xml:id="ID_1024"> Der Friedhof war von einer ziemlichen Anzahl Menschen der ärmsten<lb/> Klasse belebt, deren Thun und Treiben uns sehr rührend erschien. Mehrere<lb/> beteten laut und dringend vor den rings an den Wänden angebrachten<lb/> Krucifixen, Andere knieten über den Gewölben, auf deren Deckel sie eine<lb/> Blume gelegt hatten; hie und da kauerte eine ganze Gruppe im Kreise um<lb/> eine solche unheimliche Thür. Leute, die sonst einander vielleicht fremd ge¬<lb/> wesen waren, aber durch jenen traurigen Abend verbunden wurden, an<lb/> welchem sie ihre Todten in die gemeinschaftliche Gruft hatten verschwinden<lb/> sehn. Damals hatte das Schicksal sie zu einer Todtenbruderschaft vereinigt,<lb/> wie ihre wohlhabenderen Mitbürger aus freien Stücken, nach eigener Wahl<lb/> solche Genossenschaften unter sich bilden. Allmälig wurde auch die Ernte<lb/> des Tages hereingebracht. Alte abgenutzte Särge, zuweilen mit einer Laterne<lb/> verziert, wurden von zwei Leuten auf den Köpfen herbeigetragen und einst¬<lb/> weilen an der Wand niedergesetzt. Es erschienen Wagen, in denen zwei und<lb/> mehr Särge standen; ein Begleiter präsentirte im Bureau einem Geistlichen<lb/> die Todtenscheine, die Namen wurden vermerkt, und nun lieferte er seine<lb/> Ladung ab. Er hatte nur auf die Rückgabe der Särge zu warten. Wir<lb/> fragten den Todtengräber, ob man auch hier sich eines Strickes zum Hinab¬<lb/> lassen der Körper bediene. „Ja," sagte er, „wenn die Angehörigen einen<lb/> mitbringen, sonst geht es al soprs, a>1 basso," und dabei machte er die Be¬<lb/> wegung des Hinabstürzens. Er forderte uns auf, Abends dem Begräbnisse<lb/> beizuwohnen, aber wir konnten es nicht über uns gewinnen und verließen<lb/> den Kirchhof, dem nun bei Dunkelwerden mehr und mehr Särge zugetragen<lb/> wurden, so eilig, als gälte es noch vor Nacht die Heimath zu erreichen.</p><lb/> <p xml:id="ID_1025" next="#ID_1026"> Wir waren fortgegangen, weil wir uns im Stillen von unseren deutschen<lb/> Voraussetzungen aus eine Scene der Verzweiflung vorstellten. Doch mußten</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0362]
sie da hinunter? Der Frate, der unserem Schauder die Frage ablas, s«gte
beruhigend: „Mit einem Strick."
Wir mußten noch mehr von dieser furchtbaren Bestattungsweise hören,
die uns auss Peinlichste überrascht hatte, und eilten nach dem einige hundert
Schritte entfernten alten Camposanto, den man ganz den Armen überlassen
hat. Hier traten wir in einen ähnlichen Hof; aber er war weit größer, als
jener, und hatte 19mal 19 der erwähnten Gewölböffnungen im Quadrat
geordnet. Ein anderer Hof enthält dann noch so viel Grüfte, daß ihre Zahl
im Ganzen derjenigen der Tage im Jahre gleichkommt. Jeden Abend wird
eine derselben geöffnet, um etwa vierzig Ankömmlinge aufzunehmen, und
dann bis zum nächsten Jahrestage geschlossen und verkittet. Ein Desinfec-
tionsmittel kommt nicht zur Anwendung, und dennoch bleibt bei dem dichten
Verschluß der Gewölbe die Luft gut; auch scheinen die Leichen mehr zu ver
trocknen, als zu verwesen.
Der Friedhof war von einer ziemlichen Anzahl Menschen der ärmsten
Klasse belebt, deren Thun und Treiben uns sehr rührend erschien. Mehrere
beteten laut und dringend vor den rings an den Wänden angebrachten
Krucifixen, Andere knieten über den Gewölben, auf deren Deckel sie eine
Blume gelegt hatten; hie und da kauerte eine ganze Gruppe im Kreise um
eine solche unheimliche Thür. Leute, die sonst einander vielleicht fremd ge¬
wesen waren, aber durch jenen traurigen Abend verbunden wurden, an
welchem sie ihre Todten in die gemeinschaftliche Gruft hatten verschwinden
sehn. Damals hatte das Schicksal sie zu einer Todtenbruderschaft vereinigt,
wie ihre wohlhabenderen Mitbürger aus freien Stücken, nach eigener Wahl
solche Genossenschaften unter sich bilden. Allmälig wurde auch die Ernte
des Tages hereingebracht. Alte abgenutzte Särge, zuweilen mit einer Laterne
verziert, wurden von zwei Leuten auf den Köpfen herbeigetragen und einst¬
weilen an der Wand niedergesetzt. Es erschienen Wagen, in denen zwei und
mehr Särge standen; ein Begleiter präsentirte im Bureau einem Geistlichen
die Todtenscheine, die Namen wurden vermerkt, und nun lieferte er seine
Ladung ab. Er hatte nur auf die Rückgabe der Särge zu warten. Wir
fragten den Todtengräber, ob man auch hier sich eines Strickes zum Hinab¬
lassen der Körper bediene. „Ja," sagte er, „wenn die Angehörigen einen
mitbringen, sonst geht es al soprs, a>1 basso," und dabei machte er die Be¬
wegung des Hinabstürzens. Er forderte uns auf, Abends dem Begräbnisse
beizuwohnen, aber wir konnten es nicht über uns gewinnen und verließen
den Kirchhof, dem nun bei Dunkelwerden mehr und mehr Särge zugetragen
wurden, so eilig, als gälte es noch vor Nacht die Heimath zu erreichen.
Wir waren fortgegangen, weil wir uns im Stillen von unseren deutschen
Voraussetzungen aus eine Scene der Verzweiflung vorstellten. Doch mußten
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