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Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. I. Band.

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man hätte sich wol in die Gräberstraße von Pompeji versetzt wähnen
mögen.

Wir betraten ein Mausoleum, in dessen Tiefe wir einige Handwerker
arbeiten hörten; es gehörte einer der Todtenbrüderschaften an, deren es in
Neapel, ich glaube 160 gibt. Aus der Kapelle führt eine Treppe in ein
geräumiges Gewölbe hinab, das nach der einen Seite mehrere sehr hohe und
breite mit Marmor bekleidete Gänge entsendet, in die von Oben das Tages¬
licht hereinfällt. Diese sind nun ganz denjenigen der Katakomben nachge¬
bildet, nur daß sie Heller und freundlicher sind. Rechts und links dieselben
Schränke in den Wänden, mit Marmorplatten geschlossen, auf denen man
die Namen der Bestatteten liest. Wenn man in irgend einer Richtung die
Wände durchbräche, so würde man in ein benachbartes Gewölbe kommen;
man hat also auch hier Katakomben, aber sie sind, der modernen Richtung
entsprechend, in gesonderte Abtheilungen zerlegt. Unter der Erde ist man
an die altchristliche, über derselben an die römische Zeit erinnert, wie man
denn in allen Bereichen die Reste des Alten an den Anfängen des Neuen
vorbeiragen oder sich mit ihnen verbinden sieht.

Uebrigens werden nicht alle Leichname sofort in jene Schränke gebracht;
auf einige Hamletsfragen, die wir an den Todtengräber richteten, erfuhren
wir. daß man sie auch in die Erde begräbt, um ihre eingetrockneten Neste
nach fünfzehn Monaten wieder herauszunehmen und dann erst in jene Ge¬
wölbe zu bringen. Auf jene Weise erspart man das Balsamirer. Ob man
nicht auch im Alterthum mit solchen Leichen so verfuhr, die man nicht bal-
samiren. doch aber verbrennen wollte? -- Noch Unbemitteltere läßt man in
der Erde liegen, bis ihr Platz anderweitig beansprucht wird; vielleicht nach
drei Jahren wandern die Knochen in ein gemeinschaftliches Gewölbe. Doch
der großen Masse der Armen wartet noch ein ganz anderes Schicksal. Ein
Frate führte uns in einen großen mit Lava gepflasterten Hof. in welchem
wir etwa fünfzig mit Steinplatten verschlossene Kellerlöcher bemerkten. Ueber
einer derselben ragte das Ende eines starken Hebebaumes. "Dies ist, wie
jener Hof auf der anderen Seite, der neue Kirchhof der Armen." sagte der
Frate, "wollen Sie das Grab sehen, in welches der Letzte -- vor zwei Tagen
-- bestattet wurde?" Da wir bejahten, befestigte ein Arbeiter die Steinplatte
an die von dem Hebel herabhängenden drei Ketten, und alsbald schwebte
sie. nachdem er ihn niederdrückte, wie eine Wagschale empor. Welch ein An¬
blick ward uns! Unten in dem großen Gewölbe, das sich vor uns aufthat,
in einer Tiefe von vielleicht 30 Fuß. soviel ich schätzen konnte, lag ein
Haufen von Leichen unordentlich und wirr durch einander, die meisten in
Leinen gewickelt, viele in gewöhnlichem Anzüge, obenauf ein Greis, quer
über ihm ein Kind .... Doch ich beschreibe nicht weiter. Wie kommen


man hätte sich wol in die Gräberstraße von Pompeji versetzt wähnen
mögen.

Wir betraten ein Mausoleum, in dessen Tiefe wir einige Handwerker
arbeiten hörten; es gehörte einer der Todtenbrüderschaften an, deren es in
Neapel, ich glaube 160 gibt. Aus der Kapelle führt eine Treppe in ein
geräumiges Gewölbe hinab, das nach der einen Seite mehrere sehr hohe und
breite mit Marmor bekleidete Gänge entsendet, in die von Oben das Tages¬
licht hereinfällt. Diese sind nun ganz denjenigen der Katakomben nachge¬
bildet, nur daß sie Heller und freundlicher sind. Rechts und links dieselben
Schränke in den Wänden, mit Marmorplatten geschlossen, auf denen man
die Namen der Bestatteten liest. Wenn man in irgend einer Richtung die
Wände durchbräche, so würde man in ein benachbartes Gewölbe kommen;
man hat also auch hier Katakomben, aber sie sind, der modernen Richtung
entsprechend, in gesonderte Abtheilungen zerlegt. Unter der Erde ist man
an die altchristliche, über derselben an die römische Zeit erinnert, wie man
denn in allen Bereichen die Reste des Alten an den Anfängen des Neuen
vorbeiragen oder sich mit ihnen verbinden sieht.

Uebrigens werden nicht alle Leichname sofort in jene Schränke gebracht;
auf einige Hamletsfragen, die wir an den Todtengräber richteten, erfuhren
wir. daß man sie auch in die Erde begräbt, um ihre eingetrockneten Neste
nach fünfzehn Monaten wieder herauszunehmen und dann erst in jene Ge¬
wölbe zu bringen. Auf jene Weise erspart man das Balsamirer. Ob man
nicht auch im Alterthum mit solchen Leichen so verfuhr, die man nicht bal-
samiren. doch aber verbrennen wollte? — Noch Unbemitteltere läßt man in
der Erde liegen, bis ihr Platz anderweitig beansprucht wird; vielleicht nach
drei Jahren wandern die Knochen in ein gemeinschaftliches Gewölbe. Doch
der großen Masse der Armen wartet noch ein ganz anderes Schicksal. Ein
Frate führte uns in einen großen mit Lava gepflasterten Hof. in welchem
wir etwa fünfzig mit Steinplatten verschlossene Kellerlöcher bemerkten. Ueber
einer derselben ragte das Ende eines starken Hebebaumes. „Dies ist, wie
jener Hof auf der anderen Seite, der neue Kirchhof der Armen." sagte der
Frate, „wollen Sie das Grab sehen, in welches der Letzte — vor zwei Tagen
— bestattet wurde?" Da wir bejahten, befestigte ein Arbeiter die Steinplatte
an die von dem Hebel herabhängenden drei Ketten, und alsbald schwebte
sie. nachdem er ihn niederdrückte, wie eine Wagschale empor. Welch ein An¬
blick ward uns! Unten in dem großen Gewölbe, das sich vor uns aufthat,
in einer Tiefe von vielleicht 30 Fuß. soviel ich schätzen konnte, lag ein
Haufen von Leichen unordentlich und wirr durch einander, die meisten in
Leinen gewickelt, viele in gewöhnlichem Anzüge, obenauf ein Greis, quer
über ihm ein Kind .... Doch ich beschreibe nicht weiter. Wie kommen


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[0361] man hätte sich wol in die Gräberstraße von Pompeji versetzt wähnen mögen. Wir betraten ein Mausoleum, in dessen Tiefe wir einige Handwerker arbeiten hörten; es gehörte einer der Todtenbrüderschaften an, deren es in Neapel, ich glaube 160 gibt. Aus der Kapelle führt eine Treppe in ein geräumiges Gewölbe hinab, das nach der einen Seite mehrere sehr hohe und breite mit Marmor bekleidete Gänge entsendet, in die von Oben das Tages¬ licht hereinfällt. Diese sind nun ganz denjenigen der Katakomben nachge¬ bildet, nur daß sie Heller und freundlicher sind. Rechts und links dieselben Schränke in den Wänden, mit Marmorplatten geschlossen, auf denen man die Namen der Bestatteten liest. Wenn man in irgend einer Richtung die Wände durchbräche, so würde man in ein benachbartes Gewölbe kommen; man hat also auch hier Katakomben, aber sie sind, der modernen Richtung entsprechend, in gesonderte Abtheilungen zerlegt. Unter der Erde ist man an die altchristliche, über derselben an die römische Zeit erinnert, wie man denn in allen Bereichen die Reste des Alten an den Anfängen des Neuen vorbeiragen oder sich mit ihnen verbinden sieht. Uebrigens werden nicht alle Leichname sofort in jene Schränke gebracht; auf einige Hamletsfragen, die wir an den Todtengräber richteten, erfuhren wir. daß man sie auch in die Erde begräbt, um ihre eingetrockneten Neste nach fünfzehn Monaten wieder herauszunehmen und dann erst in jene Ge¬ wölbe zu bringen. Auf jene Weise erspart man das Balsamirer. Ob man nicht auch im Alterthum mit solchen Leichen so verfuhr, die man nicht bal- samiren. doch aber verbrennen wollte? — Noch Unbemitteltere läßt man in der Erde liegen, bis ihr Platz anderweitig beansprucht wird; vielleicht nach drei Jahren wandern die Knochen in ein gemeinschaftliches Gewölbe. Doch der großen Masse der Armen wartet noch ein ganz anderes Schicksal. Ein Frate führte uns in einen großen mit Lava gepflasterten Hof. in welchem wir etwa fünfzig mit Steinplatten verschlossene Kellerlöcher bemerkten. Ueber einer derselben ragte das Ende eines starken Hebebaumes. „Dies ist, wie jener Hof auf der anderen Seite, der neue Kirchhof der Armen." sagte der Frate, „wollen Sie das Grab sehen, in welches der Letzte — vor zwei Tagen — bestattet wurde?" Da wir bejahten, befestigte ein Arbeiter die Steinplatte an die von dem Hebel herabhängenden drei Ketten, und alsbald schwebte sie. nachdem er ihn niederdrückte, wie eine Wagschale empor. Welch ein An¬ blick ward uns! Unten in dem großen Gewölbe, das sich vor uns aufthat, in einer Tiefe von vielleicht 30 Fuß. soviel ich schätzen konnte, lag ein Haufen von Leichen unordentlich und wirr durch einander, die meisten in Leinen gewickelt, viele in gewöhnlichem Anzüge, obenauf ein Greis, quer über ihm ein Kind .... Doch ich beschreibe nicht weiter. Wie kommen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_120192/361>, abgerufen am 28.09.2024.