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Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. I. Band.

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Seiten der Majorität standen, die eine wahrhaft imposante Stärke entwickelte.
Damit war zugleich das Geschick der übrigen Vorlagen des Cultusministers
entschieden.

Wir müssen uns versagen auf all' die einzelnen Vorlagen näher einzu¬
gehen, welche während der letzten Wochen zur Discussion kamen; selbst die
Volkslehrer sind dieses Mal nicht leer ausgegangen. Von den noch aus¬
stehenden Beschlüssen wird -- da die Gesetze über eine neue Kreis- und Ge¬
meindeorganisation in dieser Session nicht vor das Plenum kommen, die
Entscheidung über das finanzielle Abkommen mit der Stadt Frankfurt das
allgemeinste Interesse haben. Noch sind die Verhandlungen zwischen der
Commune und dem Staat nicht geschlossen; obgleich sich die Aussichten auf,
eine Verständigung in den letzten Tagen gebessert haben, fahren die antina¬
tionalen Parteien des Südens mit unermüdlichem Eifer fort, die Vertretung
der weiland freien Reichsstadt zu möglichster Widerhaarigkeit zu reizen. Die
Gelegenheit, wieder einmal über "militärische" Regelung einer Rechtsfrage
klagen und den Weheruf erheben zu können: in Preußen gehe Gewalt noch
immer vor Recht -- sie ist zu verlockend, um unbenutzt zu bleiben. Man
will Frankfurt noch einmal bewegen, unter Verleugnung derjenigen seiner
Interessen, welche es wirklich zur Geltung bringen kann, für das Interesse
seiner falschen Freunde ins Feuer zu gehen. Die dreijährigen Erfahrungen, welche
man am Main mit der berliner Regierung gemacht hat, werden, wie zu hoffen
steht, nicht ganz verloren sein, und die Frankfurter vor dem Loose bewahren,
einer Sache zu dienen, die niemals die ihrige gewesen ist, und in deren Dienst
sie immer verloren, niemals gewonnen haben.

Mit dem Beginn des neuen Monats soll die Thätigkeit des preußischen
Landtages eine Unterbrechung erfahren; der Bundesrath ist bereits versam¬
melt, um die Vorlagen für den Reichstag zu prüfen und ihre fernere geschäft¬
liche Behandlung vorzubereiten, -- von wichtigen Landtagsgegenständen
wird neben der Dotationsangelegenheit wol nur noch das vielbesprochene
neue Hypothekengesetz zur Verhandlung und Annahme kommen. -- Ob¬
gleich das Herrenhaus sein traditionelles Geschick für Hemmung und Beein¬
trächtigung der vorschreitendem Gesetzgebungsarbeit auch Heuer bewährt hat,
kann die preußische Volksvertretung dieses Mal auf eine ersprießlichere,
reichere und dankbarere Thätigkeit zurücksehen, als seit vielen Jahren. Frei¬
lich ist von den großen organischen Gesetzen, nach denen das Land schon
lange verlangt, noch keines zur Verhandlung, geschweige denn zu vollständi¬
ger Regelung gekommen. Immerhin erscheint es als Gewinn, daß wenig¬
stens auf dem Gebiet der Rechtspflege den Bedürfnissen der Zeit Rechnung
getragen und einer Anzahl vielbeklagter Hemmungen des socialen und Ver¬
kehrslebens ein Ende gemacht worden ist.




Seiten der Majorität standen, die eine wahrhaft imposante Stärke entwickelte.
Damit war zugleich das Geschick der übrigen Vorlagen des Cultusministers
entschieden.

Wir müssen uns versagen auf all' die einzelnen Vorlagen näher einzu¬
gehen, welche während der letzten Wochen zur Discussion kamen; selbst die
Volkslehrer sind dieses Mal nicht leer ausgegangen. Von den noch aus¬
stehenden Beschlüssen wird — da die Gesetze über eine neue Kreis- und Ge¬
meindeorganisation in dieser Session nicht vor das Plenum kommen, die
Entscheidung über das finanzielle Abkommen mit der Stadt Frankfurt das
allgemeinste Interesse haben. Noch sind die Verhandlungen zwischen der
Commune und dem Staat nicht geschlossen; obgleich sich die Aussichten auf,
eine Verständigung in den letzten Tagen gebessert haben, fahren die antina¬
tionalen Parteien des Südens mit unermüdlichem Eifer fort, die Vertretung
der weiland freien Reichsstadt zu möglichster Widerhaarigkeit zu reizen. Die
Gelegenheit, wieder einmal über „militärische" Regelung einer Rechtsfrage
klagen und den Weheruf erheben zu können: in Preußen gehe Gewalt noch
immer vor Recht — sie ist zu verlockend, um unbenutzt zu bleiben. Man
will Frankfurt noch einmal bewegen, unter Verleugnung derjenigen seiner
Interessen, welche es wirklich zur Geltung bringen kann, für das Interesse
seiner falschen Freunde ins Feuer zu gehen. Die dreijährigen Erfahrungen, welche
man am Main mit der berliner Regierung gemacht hat, werden, wie zu hoffen
steht, nicht ganz verloren sein, und die Frankfurter vor dem Loose bewahren,
einer Sache zu dienen, die niemals die ihrige gewesen ist, und in deren Dienst
sie immer verloren, niemals gewonnen haben.

Mit dem Beginn des neuen Monats soll die Thätigkeit des preußischen
Landtages eine Unterbrechung erfahren; der Bundesrath ist bereits versam¬
melt, um die Vorlagen für den Reichstag zu prüfen und ihre fernere geschäft¬
liche Behandlung vorzubereiten, — von wichtigen Landtagsgegenständen
wird neben der Dotationsangelegenheit wol nur noch das vielbesprochene
neue Hypothekengesetz zur Verhandlung und Annahme kommen. — Ob¬
gleich das Herrenhaus sein traditionelles Geschick für Hemmung und Beein¬
trächtigung der vorschreitendem Gesetzgebungsarbeit auch Heuer bewährt hat,
kann die preußische Volksvertretung dieses Mal auf eine ersprießlichere,
reichere und dankbarere Thätigkeit zurücksehen, als seit vielen Jahren. Frei¬
lich ist von den großen organischen Gesetzen, nach denen das Land schon
lange verlangt, noch keines zur Verhandlung, geschweige denn zu vollständi¬
ger Regelung gekommen. Immerhin erscheint es als Gewinn, daß wenig¬
stens auf dem Gebiet der Rechtspflege den Bedürfnissen der Zeit Rechnung
getragen und einer Anzahl vielbeklagter Hemmungen des socialen und Ver¬
kehrslebens ein Ende gemacht worden ist.




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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_120192/348>, abgerufen am 28.09.2024.