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Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. I. Band.

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des Antrags auf Einführung des allgemeinen und directen Stimmrechts und
seit dem Beginn der Schulgesetzverhandlungen in weiteren Kreisen Interesse
erregt hat, ist keine Februarwoche vergangen, die nicht mehrere wichtige Be¬
schlüsse der Versammlung am Döhnhofsplatz zu registriren gehabt hätte.
Kurz vor Beschluß des vorigen Monats wurde dem Abgeordnetenhause die
wichtige, langerwartete Vorlage wegen Sequestration der Güter der Depossidirten
übergeben. Das Geschick dieser Vorlage war entschieden, noch bevor das erste
Wort über dieselbe gesprochen worden; die bloße Erinnerung an die Behandlung,
welche das Abfindungsgesetz im Februar vorigen Jahres fand, genügte zu
der Ueberzeugung, daß die Volksvertretung keinen Anstand nehmen werde,
den Intriguanten von Hitzing und Prag die Mittel zur Fortführung ihrer
agitatorischen Thätigkeit zu entziehen. Fraglich konnte höchstens sein, ob
und in wieweit die Wünsche der Linken für Verwandlung des Sequesters in
eine förmliche Confiscation zur Geltung kommen würden. Was die
Herren von Windthorst-Meppen und von Malinkrodt zu Gunsten König
Georgs und des hessischen Kurfürsten war wenig geeignet, das öffentliche
Interesse für diese im Voraus abgethane Angelegenheit zu beleben. Ihre
Wichtigkeit gewann die Sache erst durch die Erörterungen, welche Graf
Bismarck an dieselbe knüpfte, um alle Zweifel darüber auszuschließen, daß
die preußische Regierung zu dem äußersten Mittel erst gegriffen habe, nach¬
dem alle übrigen den Dienst versagt. Der Macht seiner Gründe konnte selbst
das Herrenhaus nicht widerstehen, so schwer es demselben auch ankam, seine
Sympathien für die Sache zu verleugnen, welche der konservativen Partei
noch vor wenigen Jahren mit ihrer eigenen identisch war. Besonderes Ge-
' wicht ist auf das Versprechen des Ministers zu legen, daß die Renten der
den Exfürsten von Hessen und Hannover bewilligten Millionen weder auf¬
gespart, noch bloß zur Ueberwachung derselben verwendet werden, sondern
den Provinzen zu Gut kommen sollten, welche lange genug unter der Eng¬
herzigkeit und dem Egoismus der kleinstaatlichen Souveräne gelitten. Auf
diese Weise ist das Interesse der neubegründeten Ordnung mit dem jener Land¬
schaften verknüpft worden, welche ihr bisher widerstrebt hatten, und wenig¬
stens zum Theil, den Umtrieben der Expossedirten entgegen gekommen waren.
Wenn die Regierung sich auf ihren Vortheil versteht, so wird sie die Be¬
fürchtungen vor maßloser Verstärkung der geheimen Fonds Lügen zu strafen,
und den Provinzen Hessen und Hannover möglichst große Beträge aus den
sequestrirten Capitalien zuzuwenden wissen.

Unter den übrigen zu Gesetzen erhobenen Vorlagen ist die neue schleswig¬
holsteinische Städteordnung die wichtigste, vielleicht auch die interessanteste.
Bei ihrer Behandlung trat auss neue jener Gegensatz zwischen alt- und neu¬
preußischen Anschauungen hervor, auf dessen Wichtigkeit und weitgehende


des Antrags auf Einführung des allgemeinen und directen Stimmrechts und
seit dem Beginn der Schulgesetzverhandlungen in weiteren Kreisen Interesse
erregt hat, ist keine Februarwoche vergangen, die nicht mehrere wichtige Be¬
schlüsse der Versammlung am Döhnhofsplatz zu registriren gehabt hätte.
Kurz vor Beschluß des vorigen Monats wurde dem Abgeordnetenhause die
wichtige, langerwartete Vorlage wegen Sequestration der Güter der Depossidirten
übergeben. Das Geschick dieser Vorlage war entschieden, noch bevor das erste
Wort über dieselbe gesprochen worden; die bloße Erinnerung an die Behandlung,
welche das Abfindungsgesetz im Februar vorigen Jahres fand, genügte zu
der Ueberzeugung, daß die Volksvertretung keinen Anstand nehmen werde,
den Intriguanten von Hitzing und Prag die Mittel zur Fortführung ihrer
agitatorischen Thätigkeit zu entziehen. Fraglich konnte höchstens sein, ob
und in wieweit die Wünsche der Linken für Verwandlung des Sequesters in
eine förmliche Confiscation zur Geltung kommen würden. Was die
Herren von Windthorst-Meppen und von Malinkrodt zu Gunsten König
Georgs und des hessischen Kurfürsten war wenig geeignet, das öffentliche
Interesse für diese im Voraus abgethane Angelegenheit zu beleben. Ihre
Wichtigkeit gewann die Sache erst durch die Erörterungen, welche Graf
Bismarck an dieselbe knüpfte, um alle Zweifel darüber auszuschließen, daß
die preußische Regierung zu dem äußersten Mittel erst gegriffen habe, nach¬
dem alle übrigen den Dienst versagt. Der Macht seiner Gründe konnte selbst
das Herrenhaus nicht widerstehen, so schwer es demselben auch ankam, seine
Sympathien für die Sache zu verleugnen, welche der konservativen Partei
noch vor wenigen Jahren mit ihrer eigenen identisch war. Besonderes Ge-
' wicht ist auf das Versprechen des Ministers zu legen, daß die Renten der
den Exfürsten von Hessen und Hannover bewilligten Millionen weder auf¬
gespart, noch bloß zur Ueberwachung derselben verwendet werden, sondern
den Provinzen zu Gut kommen sollten, welche lange genug unter der Eng¬
herzigkeit und dem Egoismus der kleinstaatlichen Souveräne gelitten. Auf
diese Weise ist das Interesse der neubegründeten Ordnung mit dem jener Land¬
schaften verknüpft worden, welche ihr bisher widerstrebt hatten, und wenig¬
stens zum Theil, den Umtrieben der Expossedirten entgegen gekommen waren.
Wenn die Regierung sich auf ihren Vortheil versteht, so wird sie die Be¬
fürchtungen vor maßloser Verstärkung der geheimen Fonds Lügen zu strafen,
und den Provinzen Hessen und Hannover möglichst große Beträge aus den
sequestrirten Capitalien zuzuwenden wissen.

Unter den übrigen zu Gesetzen erhobenen Vorlagen ist die neue schleswig¬
holsteinische Städteordnung die wichtigste, vielleicht auch die interessanteste.
Bei ihrer Behandlung trat auss neue jener Gegensatz zwischen alt- und neu¬
preußischen Anschauungen hervor, auf dessen Wichtigkeit und weitgehende


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_120192/346>, abgerufen am 28.09.2024.