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Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. I. Band.

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liberale Minorität des Lorxs löZisIatik von je gekränkt, weder durch ora-
torisches Talent, noch durch künstlich erregte Leidenschaftlichkeit ersetzt wer¬
den kann. Die empfindliche Schlappe, welche Jules Simon nach seiner Rede
über die Vorgänge auf der Insel Reunion beigebracht worden, ist der par¬
lamentarische Vorgang, unter dessen Eindruck, Publikum, Kammer und Oppo¬
sition stehen, und diese letztere hat keine Aussicht, das verloren gegangene
Terrain so bald wieder zu erobern. Der Hauptschaden besteht freilich darin,
daß einzelne oratorische Erfolge oder Mißerfolge über die Stellung und den
Einfluß der einzigen französischen Partei entscheiden, welche die Ehre in An¬
spruch nimmt, für die faulen Früchte des gegenwärtigen Systems nicht mit¬
verantwortlich zu sein. Daran aber, daß dem so ist, tragen die Oppositions¬
männer einen beträchtlichen Schuldantheil; wo es den Führern eines Volkes
hauptsächlich an Tageserfolgen und Triumphen kleinlicher Eitelkeit gelegen
ist, kann man sich nicht wundern, wenn es den Massen an Verständniß
für Aufgabe und Wesen der Volksvertretung gebricht, und wenn die Tribüne
für einen Platz angesehen wird, den geschickte Leute dazu benutzen, bei Publi¬
kum oder Regierung Carriere zu machen. -- Von den noch ausstehenden
Interpellationen ist keine besonders viel versprechend, und da diese Inter¬
pellationen eigentlich die einzigen Gelegenheiten sind, bet denen die Oppo¬
sition dem Volke ihr Dasein in Erinnerung bringt, so kann leicht geschehen,
daß die Legislaturperiode, welche von den Thiers, Favre, Simon, Glaize u. s. w.
so vielversprechend eröffnet wurde, trotz der ungünstigen Wendung, welche das
Geschick des Kaisertums während derselben nahm, mit einer Baisse der Sache
der Freiheit schließt. Denn daß die von der Minorität beabsichtigte Herab¬
setzung des Präsenzstandes der Armee durchgeführt werde, wird wol von
diesen selbst nicht mehr geglaubt.,

Angesichts der Verkommenheit und Windigkeit des französischen Libera¬
lismus muß es als besonders erfreuliches Zeichen einer veränderten Stim¬
mung in Frankreich angesehen werden, daß ein nicht unbeträchtlicher
Theil der pariser Presse bei mehr wie einer Gelegenheit wirkliche Unabhängig¬
keit von den Pöbelgelüsten und Nationalalbernheiten gezeigt hat, welche von
der officiösen und seul- officiösen Journalistik absichtlich gehegt und gepflegt
werden. Schon der Ernst und die Schärfe, mit welcher der Temps und die
Debats zu Werke gingen, um über die unverantwortliche Leichtfertigkeit der
Simonschen Jnterpellation zu Gericht zu sitzen, contrastirte in wohlthuender
Weise zu den landesüblichen Rotomandaten, und mit denen sonst die
Schwächen des französischen Parlamentarismus von der Nationaleitelkeit zu¬
gedeckt zu werden pflegt. Als dann die Regierungsblätter in Veranlassung
der Bismarck'schen Reden über die Sequestrationsangelegenheit ihr urtheils-
und gedankenloses Geschrei über Rechtsbruch und Säbelherrschaft anstimmten,


Grenzboten I. 1869. 42

liberale Minorität des Lorxs löZisIatik von je gekränkt, weder durch ora-
torisches Talent, noch durch künstlich erregte Leidenschaftlichkeit ersetzt wer¬
den kann. Die empfindliche Schlappe, welche Jules Simon nach seiner Rede
über die Vorgänge auf der Insel Reunion beigebracht worden, ist der par¬
lamentarische Vorgang, unter dessen Eindruck, Publikum, Kammer und Oppo¬
sition stehen, und diese letztere hat keine Aussicht, das verloren gegangene
Terrain so bald wieder zu erobern. Der Hauptschaden besteht freilich darin,
daß einzelne oratorische Erfolge oder Mißerfolge über die Stellung und den
Einfluß der einzigen französischen Partei entscheiden, welche die Ehre in An¬
spruch nimmt, für die faulen Früchte des gegenwärtigen Systems nicht mit¬
verantwortlich zu sein. Daran aber, daß dem so ist, tragen die Oppositions¬
männer einen beträchtlichen Schuldantheil; wo es den Führern eines Volkes
hauptsächlich an Tageserfolgen und Triumphen kleinlicher Eitelkeit gelegen
ist, kann man sich nicht wundern, wenn es den Massen an Verständniß
für Aufgabe und Wesen der Volksvertretung gebricht, und wenn die Tribüne
für einen Platz angesehen wird, den geschickte Leute dazu benutzen, bei Publi¬
kum oder Regierung Carriere zu machen. — Von den noch ausstehenden
Interpellationen ist keine besonders viel versprechend, und da diese Inter¬
pellationen eigentlich die einzigen Gelegenheiten sind, bet denen die Oppo¬
sition dem Volke ihr Dasein in Erinnerung bringt, so kann leicht geschehen,
daß die Legislaturperiode, welche von den Thiers, Favre, Simon, Glaize u. s. w.
so vielversprechend eröffnet wurde, trotz der ungünstigen Wendung, welche das
Geschick des Kaisertums während derselben nahm, mit einer Baisse der Sache
der Freiheit schließt. Denn daß die von der Minorität beabsichtigte Herab¬
setzung des Präsenzstandes der Armee durchgeführt werde, wird wol von
diesen selbst nicht mehr geglaubt.,

Angesichts der Verkommenheit und Windigkeit des französischen Libera¬
lismus muß es als besonders erfreuliches Zeichen einer veränderten Stim¬
mung in Frankreich angesehen werden, daß ein nicht unbeträchtlicher
Theil der pariser Presse bei mehr wie einer Gelegenheit wirkliche Unabhängig¬
keit von den Pöbelgelüsten und Nationalalbernheiten gezeigt hat, welche von
der officiösen und seul- officiösen Journalistik absichtlich gehegt und gepflegt
werden. Schon der Ernst und die Schärfe, mit welcher der Temps und die
Debats zu Werke gingen, um über die unverantwortliche Leichtfertigkeit der
Simonschen Jnterpellation zu Gericht zu sitzen, contrastirte in wohlthuender
Weise zu den landesüblichen Rotomandaten, und mit denen sonst die
Schwächen des französischen Parlamentarismus von der Nationaleitelkeit zu¬
gedeckt zu werden pflegt. Als dann die Regierungsblätter in Veranlassung
der Bismarck'schen Reden über die Sequestrationsangelegenheit ihr urtheils-
und gedankenloses Geschrei über Rechtsbruch und Säbelherrschaft anstimmten,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_120192/341>, abgerufen am 28.09.2024.