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Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. I. Band.

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lich nicht abzusehen -- noch weniger, wie das gegenwärtige Ministerium mit
dieser Maßregel fertig werden will, so lange Graf Taase Minister-Präsident
bleibt. In Oestreich selbst scheint man eine lebhafte Empfindung davon zu
haben, daß die mangelnde Solidität des parlamentarischen Unterbaus der
Hauptgrund für die Verzagtheit und Unsicherheit der Freunde, den Trotz und
die Widerhaarigkeit der Gegner ist. Selbst die Journale, welche ihre In¬
spirationen aus dem Cabinet holen und die moralischen Hauptstützen des
gegenwärtigen Systems bilden, machen kein Geheimniß daraus, daß die
Faxade desselben sehr viel glänzender als das Fundament aussieht, und das
beständige Drängen auf Ernennung eines definitiven Nachfolgers für den
feit nunmehr sechs Monaten ausgeschiedenen Fürsten Carlos Auersperg be¬
weist, daß der Mangel einer einheitlichen und energischen Leitung des cis-
leilhanischen Cabinets hon den ergebensten Freunden desselben am lebhaftesten
empfunden wird. -- Diese Unsicherheit der cisleithanischen Verfassungszustande
ist zugleich die Ursache davon, daß die Ansprüche der ungarischen Reichshälfte
fortwährend zunehmen, und daß diese sich als der stärkere und wichtigere
Theil der Monarchie fühlt, obgleich die Staatskosten ihrer Hauptschwere nach
auf den Schultern der deutschen und slavischen Steuerzahler ruhen, reichlich
ein Drittheil der ungarischen Soldaten auf Kosten der cisleithanischen Provinzen
erhalten und equipirt wird. -- Die Opposition der Bischöfe hat in letzter Zeit
von ihrer früheren Schneidigkeit verloren, macht der Regierung aber immer
noch zu schaffen; der Beginn der Fastenzeit hat dem Clerus neue Gelegen¬
heit geboten, die Kanzel zur Tribüne für staatsfeindliche Agitationen zu
machen. Rom verharrt in seiner früheren unversöhnlichen Haltung und be¬
zeichnet damit die Stellung, welche es von seinen Getreuen eingenommen
wissen will.

Seit der vorläufigen Abwickelung des türkisch-griechischen Conflicts ist
in der diplomatischen Thätigkeit des rührigen Staatskanzlers eine Unter¬
brechung eingetreten, von der wol angenommen werden kann, daß sie mit
Ungarn's Verstimmung über die specifisch-östreichische Auffassung und Be¬
handlung der orientalischen Frage in gewissem Zusammenhang steht. Auch
die Gerüchts von des Fürsten Richard Metternich französisch-italienischen
Alliancebestrebungen sind rasch, wie sie gekommen, wieder gegangen. Frank¬
reich kann sich auf wejt aussehende politische und militärische Schach - und
Feldzug" nicht einlassen, bevor die Regierung nicht über den Ausfall der
nächsten Wahlen beruhigt ist. Bis jetzt hat die Leichtfertigkeit und Zerfahren¬
heit der parlamentarischen Opposition freilich das Nöthige gethan, um Herrn
Rouher die Sache leicht zu machen. Der jämmerliche Ausgang der Jnter¬
pellation wegen der Kolonien hat wieder einmal deutlich gezeigt, daß der
Mangel sittlichen Ernstes und politischer Gewissenhaftigkeit, an dem die


lich nicht abzusehen — noch weniger, wie das gegenwärtige Ministerium mit
dieser Maßregel fertig werden will, so lange Graf Taase Minister-Präsident
bleibt. In Oestreich selbst scheint man eine lebhafte Empfindung davon zu
haben, daß die mangelnde Solidität des parlamentarischen Unterbaus der
Hauptgrund für die Verzagtheit und Unsicherheit der Freunde, den Trotz und
die Widerhaarigkeit der Gegner ist. Selbst die Journale, welche ihre In¬
spirationen aus dem Cabinet holen und die moralischen Hauptstützen des
gegenwärtigen Systems bilden, machen kein Geheimniß daraus, daß die
Faxade desselben sehr viel glänzender als das Fundament aussieht, und das
beständige Drängen auf Ernennung eines definitiven Nachfolgers für den
feit nunmehr sechs Monaten ausgeschiedenen Fürsten Carlos Auersperg be¬
weist, daß der Mangel einer einheitlichen und energischen Leitung des cis-
leilhanischen Cabinets hon den ergebensten Freunden desselben am lebhaftesten
empfunden wird. — Diese Unsicherheit der cisleithanischen Verfassungszustande
ist zugleich die Ursache davon, daß die Ansprüche der ungarischen Reichshälfte
fortwährend zunehmen, und daß diese sich als der stärkere und wichtigere
Theil der Monarchie fühlt, obgleich die Staatskosten ihrer Hauptschwere nach
auf den Schultern der deutschen und slavischen Steuerzahler ruhen, reichlich
ein Drittheil der ungarischen Soldaten auf Kosten der cisleithanischen Provinzen
erhalten und equipirt wird. — Die Opposition der Bischöfe hat in letzter Zeit
von ihrer früheren Schneidigkeit verloren, macht der Regierung aber immer
noch zu schaffen; der Beginn der Fastenzeit hat dem Clerus neue Gelegen¬
heit geboten, die Kanzel zur Tribüne für staatsfeindliche Agitationen zu
machen. Rom verharrt in seiner früheren unversöhnlichen Haltung und be¬
zeichnet damit die Stellung, welche es von seinen Getreuen eingenommen
wissen will.

Seit der vorläufigen Abwickelung des türkisch-griechischen Conflicts ist
in der diplomatischen Thätigkeit des rührigen Staatskanzlers eine Unter¬
brechung eingetreten, von der wol angenommen werden kann, daß sie mit
Ungarn's Verstimmung über die specifisch-östreichische Auffassung und Be¬
handlung der orientalischen Frage in gewissem Zusammenhang steht. Auch
die Gerüchts von des Fürsten Richard Metternich französisch-italienischen
Alliancebestrebungen sind rasch, wie sie gekommen, wieder gegangen. Frank¬
reich kann sich auf wejt aussehende politische und militärische Schach - und
Feldzug« nicht einlassen, bevor die Regierung nicht über den Ausfall der
nächsten Wahlen beruhigt ist. Bis jetzt hat die Leichtfertigkeit und Zerfahren¬
heit der parlamentarischen Opposition freilich das Nöthige gethan, um Herrn
Rouher die Sache leicht zu machen. Der jämmerliche Ausgang der Jnter¬
pellation wegen der Kolonien hat wieder einmal deutlich gezeigt, daß der
Mangel sittlichen Ernstes und politischer Gewissenhaftigkeit, an dem die


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_120192/340>, abgerufen am 28.09.2024.