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Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. I. Band.

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friedlicher und consolidirter Zustände kreuzen, höchstens darin ein Wechsel
eintreten, ob die öffentliche Meinung- vorzugsweise gegen die ersteren, oder
gegen die letzteren aufgewiegelt wird. Bratiano selbst hat in einer seinen
Wählern im Lauf dieses Winters gehaltenen Rede, die Nothwendigkeit
des Kampfs gegen die Türken und Magyaren, "diese beiden Abkömmlinge
eine und derselben barbarischen Race, welche, weil sie selbst keine Religion
hatten, hier den Deckmantel des Islam, dort den des Katholicismus zu
Hilfe nahm", als eine wesentliche Bedingung jeder nationalen rumänischen
Politik bezeichnet, und die Solidarität ihrer Interessen mit denen der "übrigen
christlichen Völker des Orients" ebenso unzweideutig hervorgehoben, wie den
Anspruch des rumänischen Staats auf Oberhoheit über die in Ungarn und
Siebenbürgen lebenden Stammesgenossen -- und das mit einer brutalen
Naivetät, die für den Bildungsstandpunkt des Redners und seiner Zuhörer
höchst bezeichnend ist: "Wenn ich sehe, daß ein Rumäne bedroht wird, daß
ein Fremder kommt, ihn niederzuschlagen, brauche ich da erst eine Alliance,
ein Tractat, um mich zu seinem Schutz zu erheben?"*)

Die Pesther Staatsmänner haben die Gefahr, welche ihnen von dieser
Seite her droht, schon seit lange ins Auge gefaßt und es ist bekannt, daß
ihre Stellung zur Sache an dem Sturz des Ministeriums Bratiano bedeu¬
tenden Antheil gehabt hat, -- wenn auch nur indirecten. Selbst inmitten
des wild bewegten Wahlkampfes, den die Deakpartei gegenwärtig auszufech-
ten hat, um ihre bisherige Machtstellung und mit dieser den Ausgleich von
1867 aufrecht zu erhalten, ist Graf Andrassy mit der orientalischen Frage
beschäftigt geblieben und haben die von ihm inspirirter Journale mit der
wiener Presse über das Programm gestritten, das am geeignetsten sei. dem
Panslavismus einen Damm zu ziehen. Die Ungarn haben die Stichhaltig¬
keit der alten Wiener Doctrin von der nothwendigen Erhaltung der türki¬
schen Integrität in Zweifel gezogen und die Meinung ausgesprochen, Ungarn
dürfe der verlorenen türkischen Sache nicht nur keine Opfer mehr bringen,
sondern thue am besten, sich schon gegenwärtig mit den Erben der Pforte,
und Trägern der Zukunft, den Serben, Bulgaren u. s. w., auf möglichst
guten Fuß zu setzen. Daß man in Oestreich von diesem Gesichtspunkte
für Beurtheilung der orientalischen Frage nicht viel wissen will, hat seinen



Auf den Zusammenhang zwischen Jean Brationo'S großrumänischen Aspirationen und
den pansluvistischen Bestrebungen in Rußland, an der Donau und aus der Balkanhalbiosel,
Weist u. A. eine in der panslavistischc" Bauhner Firma "Schmaler und Pech" in jüngster Zeit
erschienene Brochüre hin, welche unter dem Schein warmer Parteinahme für die preußisch-deut-
sche Sache, für Rußlands orientalische Politik und einen freien "Balkan-Bundesstaat" Propa¬
ganda machen will. "Die Balkanhalbinsel und ihre Völker vor der Lösung der
orientalischen Frag". Eine politisch - ethnographisch-militärische Skizze von Eduard
Nüffer" (Bautzen 1869.)

friedlicher und consolidirter Zustände kreuzen, höchstens darin ein Wechsel
eintreten, ob die öffentliche Meinung- vorzugsweise gegen die ersteren, oder
gegen die letzteren aufgewiegelt wird. Bratiano selbst hat in einer seinen
Wählern im Lauf dieses Winters gehaltenen Rede, die Nothwendigkeit
des Kampfs gegen die Türken und Magyaren, „diese beiden Abkömmlinge
eine und derselben barbarischen Race, welche, weil sie selbst keine Religion
hatten, hier den Deckmantel des Islam, dort den des Katholicismus zu
Hilfe nahm", als eine wesentliche Bedingung jeder nationalen rumänischen
Politik bezeichnet, und die Solidarität ihrer Interessen mit denen der „übrigen
christlichen Völker des Orients" ebenso unzweideutig hervorgehoben, wie den
Anspruch des rumänischen Staats auf Oberhoheit über die in Ungarn und
Siebenbürgen lebenden Stammesgenossen — und das mit einer brutalen
Naivetät, die für den Bildungsstandpunkt des Redners und seiner Zuhörer
höchst bezeichnend ist: „Wenn ich sehe, daß ein Rumäne bedroht wird, daß
ein Fremder kommt, ihn niederzuschlagen, brauche ich da erst eine Alliance,
ein Tractat, um mich zu seinem Schutz zu erheben?"*)

Die Pesther Staatsmänner haben die Gefahr, welche ihnen von dieser
Seite her droht, schon seit lange ins Auge gefaßt und es ist bekannt, daß
ihre Stellung zur Sache an dem Sturz des Ministeriums Bratiano bedeu¬
tenden Antheil gehabt hat, — wenn auch nur indirecten. Selbst inmitten
des wild bewegten Wahlkampfes, den die Deakpartei gegenwärtig auszufech-
ten hat, um ihre bisherige Machtstellung und mit dieser den Ausgleich von
1867 aufrecht zu erhalten, ist Graf Andrassy mit der orientalischen Frage
beschäftigt geblieben und haben die von ihm inspirirter Journale mit der
wiener Presse über das Programm gestritten, das am geeignetsten sei. dem
Panslavismus einen Damm zu ziehen. Die Ungarn haben die Stichhaltig¬
keit der alten Wiener Doctrin von der nothwendigen Erhaltung der türki¬
schen Integrität in Zweifel gezogen und die Meinung ausgesprochen, Ungarn
dürfe der verlorenen türkischen Sache nicht nur keine Opfer mehr bringen,
sondern thue am besten, sich schon gegenwärtig mit den Erben der Pforte,
und Trägern der Zukunft, den Serben, Bulgaren u. s. w., auf möglichst
guten Fuß zu setzen. Daß man in Oestreich von diesem Gesichtspunkte
für Beurtheilung der orientalischen Frage nicht viel wissen will, hat seinen



Auf den Zusammenhang zwischen Jean Brationo'S großrumänischen Aspirationen und
den pansluvistischen Bestrebungen in Rußland, an der Donau und aus der Balkanhalbiosel,
Weist u. A. eine in der panslavistischc» Bauhner Firma „Schmaler und Pech" in jüngster Zeit
erschienene Brochüre hin, welche unter dem Schein warmer Parteinahme für die preußisch-deut-
sche Sache, für Rußlands orientalische Politik und einen freien „Balkan-Bundesstaat" Propa¬
ganda machen will. „Die Balkanhalbinsel und ihre Völker vor der Lösung der
orientalischen Frag«. Eine politisch - ethnographisch-militärische Skizze von Eduard
Nüffer" (Bautzen 1869.)
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[0337] friedlicher und consolidirter Zustände kreuzen, höchstens darin ein Wechsel eintreten, ob die öffentliche Meinung- vorzugsweise gegen die ersteren, oder gegen die letzteren aufgewiegelt wird. Bratiano selbst hat in einer seinen Wählern im Lauf dieses Winters gehaltenen Rede, die Nothwendigkeit des Kampfs gegen die Türken und Magyaren, „diese beiden Abkömmlinge eine und derselben barbarischen Race, welche, weil sie selbst keine Religion hatten, hier den Deckmantel des Islam, dort den des Katholicismus zu Hilfe nahm", als eine wesentliche Bedingung jeder nationalen rumänischen Politik bezeichnet, und die Solidarität ihrer Interessen mit denen der „übrigen christlichen Völker des Orients" ebenso unzweideutig hervorgehoben, wie den Anspruch des rumänischen Staats auf Oberhoheit über die in Ungarn und Siebenbürgen lebenden Stammesgenossen — und das mit einer brutalen Naivetät, die für den Bildungsstandpunkt des Redners und seiner Zuhörer höchst bezeichnend ist: „Wenn ich sehe, daß ein Rumäne bedroht wird, daß ein Fremder kommt, ihn niederzuschlagen, brauche ich da erst eine Alliance, ein Tractat, um mich zu seinem Schutz zu erheben?"*) Die Pesther Staatsmänner haben die Gefahr, welche ihnen von dieser Seite her droht, schon seit lange ins Auge gefaßt und es ist bekannt, daß ihre Stellung zur Sache an dem Sturz des Ministeriums Bratiano bedeu¬ tenden Antheil gehabt hat, — wenn auch nur indirecten. Selbst inmitten des wild bewegten Wahlkampfes, den die Deakpartei gegenwärtig auszufech- ten hat, um ihre bisherige Machtstellung und mit dieser den Ausgleich von 1867 aufrecht zu erhalten, ist Graf Andrassy mit der orientalischen Frage beschäftigt geblieben und haben die von ihm inspirirter Journale mit der wiener Presse über das Programm gestritten, das am geeignetsten sei. dem Panslavismus einen Damm zu ziehen. Die Ungarn haben die Stichhaltig¬ keit der alten Wiener Doctrin von der nothwendigen Erhaltung der türki¬ schen Integrität in Zweifel gezogen und die Meinung ausgesprochen, Ungarn dürfe der verlorenen türkischen Sache nicht nur keine Opfer mehr bringen, sondern thue am besten, sich schon gegenwärtig mit den Erben der Pforte, und Trägern der Zukunft, den Serben, Bulgaren u. s. w., auf möglichst guten Fuß zu setzen. Daß man in Oestreich von diesem Gesichtspunkte für Beurtheilung der orientalischen Frage nicht viel wissen will, hat seinen Auf den Zusammenhang zwischen Jean Brationo'S großrumänischen Aspirationen und den pansluvistischen Bestrebungen in Rußland, an der Donau und aus der Balkanhalbiosel, Weist u. A. eine in der panslavistischc» Bauhner Firma „Schmaler und Pech" in jüngster Zeit erschienene Brochüre hin, welche unter dem Schein warmer Parteinahme für die preußisch-deut- sche Sache, für Rußlands orientalische Politik und einen freien „Balkan-Bundesstaat" Propa¬ ganda machen will. „Die Balkanhalbinsel und ihre Völker vor der Lösung der orientalischen Frag«. Eine politisch - ethnographisch-militärische Skizze von Eduard Nüffer" (Bautzen 1869.)

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_120192/337>, abgerufen am 28.09.2024.