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Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. I. Band.

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Wesen in Akarnanien zu steuern und wie die übrigen für neue griechische
Regierungen üblichen Ziele ehrenhafter Thätigkeit heißen, die gerade'so
lange befolgt werden, bis die Aufmerksamkeit der europäischen Diplomatie,
eingeschläfert oder anderweitig in Anspruch genommen ist. So gründlich die
Enttäuschung auch gewesen ist, welche das griechische Volk dieses Mal in
Bezug auf seine weltstürmenden Absichten durchzumachen gehabt, sie wird
schwerlich dazu ausreichen, jenes Volk auch nur für eine Weile darüber zu
belehren, daß es den elementarsten Forderungen einer civilisirten Existenz zu
genügen habe, ehe von seinem orientalischen Beruf die Rede sein kann.

Während Aller Augen auf Athen gerichtet waren, und die Diplomatie
sich ausschließlich mit den Nachrichten unterhielt, welche über die Mission
des Grafen Walewski einliefen, ist Rumänien, der bisherige Schauplatz
der Kriegsbefürchtungen des Ostens, auss Neue von leidenschaftlichen Partei¬
kämpfen zerrissen worden. Jean Bratiano, den man durch die Entlassung vom
Amt des Ministerpräsidenten ungefährlich gemacht glaubte, hat seine Herrschaft
über die moldau-wallachische Agitationspartei zu wiederholten Angriffen auf
das neue Cavinet ausgebeutet, und zunächst die Auflösung der in Bucharest
versammelten Kammern bewirkt. Daß die Einführung preußischer Exercier¬
reglements und die Reactivirung des General Macedonski bloße Vorwände
gewesen, steht außer Zweifel. Da die rumänische Armee einmal nach frem¬
dem Muster organisirt werden muß, hat der Streit darüber, ob man sich
preußischen oder französischen Vorbildern anschließen soll, ein blos technisches
Interesse, von welchem Bratiano's turbulente Freunde weit entfernt sind.
Der wahre Grund liegt in den Wünschen für Wiederaufnahme der gro߬
rumänischen Agitationspolitik, welche nicht nur des früheren Ministers Stärke
war, sondern für die der Zeitpunkt besonders geeignet erscheint, zumal seit
dem Ableben Fuad Paschas, des fähigsten und gebildetesten aller neueren
türkischen Staatsmänner. -- Die Nachricht von der Auflösung der Kammer
ist von einem großen Theil der Bevölkerung, namentlich einzelnen größeren
Städte mit Befriedigung aufgenommen worden, weil die wohlhabenden und
handeltreibenden Klassen der beständigen Aufregung müde sind, welche
Bratiano und dessen "demokratischer" Anhang hervorzurufen wußten. Bei der
bescheidenen Stellung aber, welche die gebildeten und arbeitenden Schichten in
diesem Staat einnehmen, der durch verfrühte Nachahmung constitutioneller
Formen um die Fähigkeit ruhiger und vernünftiger Entwickelung gebracht
worden ist, hat diese "Befriedigung" ebensowenig Aussicht auf dauernde
Herrschaft über die Gemüther, wie das gute Verhältniß, in welches die Re¬
gierung zur Pforte getreten ist. So lange Bratiano auch nur den geringsten
Einfluß auf den Gang der Dinge in Rumänien übt, wird das Kriegsgeschrei
gegen Türken und Magyaren fort und fort alle Bemühungen zur Begründung


Wesen in Akarnanien zu steuern und wie die übrigen für neue griechische
Regierungen üblichen Ziele ehrenhafter Thätigkeit heißen, die gerade'so
lange befolgt werden, bis die Aufmerksamkeit der europäischen Diplomatie,
eingeschläfert oder anderweitig in Anspruch genommen ist. So gründlich die
Enttäuschung auch gewesen ist, welche das griechische Volk dieses Mal in
Bezug auf seine weltstürmenden Absichten durchzumachen gehabt, sie wird
schwerlich dazu ausreichen, jenes Volk auch nur für eine Weile darüber zu
belehren, daß es den elementarsten Forderungen einer civilisirten Existenz zu
genügen habe, ehe von seinem orientalischen Beruf die Rede sein kann.

Während Aller Augen auf Athen gerichtet waren, und die Diplomatie
sich ausschließlich mit den Nachrichten unterhielt, welche über die Mission
des Grafen Walewski einliefen, ist Rumänien, der bisherige Schauplatz
der Kriegsbefürchtungen des Ostens, auss Neue von leidenschaftlichen Partei¬
kämpfen zerrissen worden. Jean Bratiano, den man durch die Entlassung vom
Amt des Ministerpräsidenten ungefährlich gemacht glaubte, hat seine Herrschaft
über die moldau-wallachische Agitationspartei zu wiederholten Angriffen auf
das neue Cavinet ausgebeutet, und zunächst die Auflösung der in Bucharest
versammelten Kammern bewirkt. Daß die Einführung preußischer Exercier¬
reglements und die Reactivirung des General Macedonski bloße Vorwände
gewesen, steht außer Zweifel. Da die rumänische Armee einmal nach frem¬
dem Muster organisirt werden muß, hat der Streit darüber, ob man sich
preußischen oder französischen Vorbildern anschließen soll, ein blos technisches
Interesse, von welchem Bratiano's turbulente Freunde weit entfernt sind.
Der wahre Grund liegt in den Wünschen für Wiederaufnahme der gro߬
rumänischen Agitationspolitik, welche nicht nur des früheren Ministers Stärke
war, sondern für die der Zeitpunkt besonders geeignet erscheint, zumal seit
dem Ableben Fuad Paschas, des fähigsten und gebildetesten aller neueren
türkischen Staatsmänner. — Die Nachricht von der Auflösung der Kammer
ist von einem großen Theil der Bevölkerung, namentlich einzelnen größeren
Städte mit Befriedigung aufgenommen worden, weil die wohlhabenden und
handeltreibenden Klassen der beständigen Aufregung müde sind, welche
Bratiano und dessen „demokratischer" Anhang hervorzurufen wußten. Bei der
bescheidenen Stellung aber, welche die gebildeten und arbeitenden Schichten in
diesem Staat einnehmen, der durch verfrühte Nachahmung constitutioneller
Formen um die Fähigkeit ruhiger und vernünftiger Entwickelung gebracht
worden ist, hat diese „Befriedigung" ebensowenig Aussicht auf dauernde
Herrschaft über die Gemüther, wie das gute Verhältniß, in welches die Re¬
gierung zur Pforte getreten ist. So lange Bratiano auch nur den geringsten
Einfluß auf den Gang der Dinge in Rumänien übt, wird das Kriegsgeschrei
gegen Türken und Magyaren fort und fort alle Bemühungen zur Begründung


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[0336] Wesen in Akarnanien zu steuern und wie die übrigen für neue griechische Regierungen üblichen Ziele ehrenhafter Thätigkeit heißen, die gerade'so lange befolgt werden, bis die Aufmerksamkeit der europäischen Diplomatie, eingeschläfert oder anderweitig in Anspruch genommen ist. So gründlich die Enttäuschung auch gewesen ist, welche das griechische Volk dieses Mal in Bezug auf seine weltstürmenden Absichten durchzumachen gehabt, sie wird schwerlich dazu ausreichen, jenes Volk auch nur für eine Weile darüber zu belehren, daß es den elementarsten Forderungen einer civilisirten Existenz zu genügen habe, ehe von seinem orientalischen Beruf die Rede sein kann. Während Aller Augen auf Athen gerichtet waren, und die Diplomatie sich ausschließlich mit den Nachrichten unterhielt, welche über die Mission des Grafen Walewski einliefen, ist Rumänien, der bisherige Schauplatz der Kriegsbefürchtungen des Ostens, auss Neue von leidenschaftlichen Partei¬ kämpfen zerrissen worden. Jean Bratiano, den man durch die Entlassung vom Amt des Ministerpräsidenten ungefährlich gemacht glaubte, hat seine Herrschaft über die moldau-wallachische Agitationspartei zu wiederholten Angriffen auf das neue Cavinet ausgebeutet, und zunächst die Auflösung der in Bucharest versammelten Kammern bewirkt. Daß die Einführung preußischer Exercier¬ reglements und die Reactivirung des General Macedonski bloße Vorwände gewesen, steht außer Zweifel. Da die rumänische Armee einmal nach frem¬ dem Muster organisirt werden muß, hat der Streit darüber, ob man sich preußischen oder französischen Vorbildern anschließen soll, ein blos technisches Interesse, von welchem Bratiano's turbulente Freunde weit entfernt sind. Der wahre Grund liegt in den Wünschen für Wiederaufnahme der gro߬ rumänischen Agitationspolitik, welche nicht nur des früheren Ministers Stärke war, sondern für die der Zeitpunkt besonders geeignet erscheint, zumal seit dem Ableben Fuad Paschas, des fähigsten und gebildetesten aller neueren türkischen Staatsmänner. — Die Nachricht von der Auflösung der Kammer ist von einem großen Theil der Bevölkerung, namentlich einzelnen größeren Städte mit Befriedigung aufgenommen worden, weil die wohlhabenden und handeltreibenden Klassen der beständigen Aufregung müde sind, welche Bratiano und dessen „demokratischer" Anhang hervorzurufen wußten. Bei der bescheidenen Stellung aber, welche die gebildeten und arbeitenden Schichten in diesem Staat einnehmen, der durch verfrühte Nachahmung constitutioneller Formen um die Fähigkeit ruhiger und vernünftiger Entwickelung gebracht worden ist, hat diese „Befriedigung" ebensowenig Aussicht auf dauernde Herrschaft über die Gemüther, wie das gute Verhältniß, in welches die Re¬ gierung zur Pforte getreten ist. So lange Bratiano auch nur den geringsten Einfluß auf den Gang der Dinge in Rumänien übt, wird das Kriegsgeschrei gegen Türken und Magyaren fort und fort alle Bemühungen zur Begründung

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_120192/336>, abgerufen am 28.09.2024.