Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite
Polnischer Monatsbericht.

X

Obgleich die politischen Jahreszeiten mit denen des Kalenders schon seit
längerer Zeit nicht mehr zusammenfallen, hat der diesjährige Februar-Monat
ausgesprochener denn die meisten seiner Vorgänger den Frühjahrscharakter
getragen. Was es mit diesem auf sich hat, weiß Europa seit nunmehr drei
Jahren mit peinlicher Genauigkeit; Frühlingswetter und Kriegsbesorgnisse
sind für die Börsen, die diplomatischen und die journalistischen Schreibstuben
beinahe gleichbedeutend geworden. In diesem Jahre erscheinen diese verfrüh¬
ten Anzeichen französischer Unruhe besonders befremdlich, Der türkisch¬
griechische Conflict ist eben beigelegt und alle europäischen Großstaaten haben
gleichen Eifer gezeigt, die Gefahren, welche derselbe im Gefolge hatte, zu be¬
schwören; in Frankreich selbst ist es ruhiger oder doch stiller als sonst nach
mehrwochentlichen Beisammensein des gesetzgebenden Körpers, diesseit des
Rheins ist endlich Nichts geschehen, was die Eifersucht unserer französischen
Nachbarn entfernt verletzt, mit anderen Worten, jene Jsolirung der Süd¬
staaten beeinträchtigt hätte, welche für eine Stipulation des prager Friedens
ausgegeben wird. Und doch redet und declamirt die pariser Presse schon seit
längerer Zeit gerade so, als sei der erste April bereits erschienen und der
Plan für den Sommer gemacht. Zuerst war es die Sequestration der hessi¬
schen und hannöverschen Kriegs- und Agitationskassen, die die Pariser Offi¬
ziösen in Harnisch jagte; neuerdings hat die einfache Thatsache, daß Belgien
von seinem Hausrechte Gebrauch machte, zu dem Trommelwirbel Veranlassung
gegeben, der das einzige Stück zu sein scheint, das die inspirirte Presse der
französischen Hauptstadt xropria, "wen spielen darf.

Darüber, daß an eine wirkliche Kriegsgefahr nicht zu denken ist. scheint
alle Welt einig. Welcher Sinn ist dann aber den Fanfaren an der Seine
zuzuschreiben? Liegt einer jener vollkommenen Widersprüche vor. die für
Weise wie für Thoren gleich geheimnißvoll sein sollen, oder hat man es in
Paris nur darauf abgesehen, die Leute so oft irre zu machen, daß man sie


Grenzboten I. '.869. 41
Polnischer Monatsbericht.

X

Obgleich die politischen Jahreszeiten mit denen des Kalenders schon seit
längerer Zeit nicht mehr zusammenfallen, hat der diesjährige Februar-Monat
ausgesprochener denn die meisten seiner Vorgänger den Frühjahrscharakter
getragen. Was es mit diesem auf sich hat, weiß Europa seit nunmehr drei
Jahren mit peinlicher Genauigkeit; Frühlingswetter und Kriegsbesorgnisse
sind für die Börsen, die diplomatischen und die journalistischen Schreibstuben
beinahe gleichbedeutend geworden. In diesem Jahre erscheinen diese verfrüh¬
ten Anzeichen französischer Unruhe besonders befremdlich, Der türkisch¬
griechische Conflict ist eben beigelegt und alle europäischen Großstaaten haben
gleichen Eifer gezeigt, die Gefahren, welche derselbe im Gefolge hatte, zu be¬
schwören; in Frankreich selbst ist es ruhiger oder doch stiller als sonst nach
mehrwochentlichen Beisammensein des gesetzgebenden Körpers, diesseit des
Rheins ist endlich Nichts geschehen, was die Eifersucht unserer französischen
Nachbarn entfernt verletzt, mit anderen Worten, jene Jsolirung der Süd¬
staaten beeinträchtigt hätte, welche für eine Stipulation des prager Friedens
ausgegeben wird. Und doch redet und declamirt die pariser Presse schon seit
längerer Zeit gerade so, als sei der erste April bereits erschienen und der
Plan für den Sommer gemacht. Zuerst war es die Sequestration der hessi¬
schen und hannöverschen Kriegs- und Agitationskassen, die die Pariser Offi¬
ziösen in Harnisch jagte; neuerdings hat die einfache Thatsache, daß Belgien
von seinem Hausrechte Gebrauch machte, zu dem Trommelwirbel Veranlassung
gegeben, der das einzige Stück zu sein scheint, das die inspirirte Presse der
französischen Hauptstadt xropria, »wen spielen darf.

Darüber, daß an eine wirkliche Kriegsgefahr nicht zu denken ist. scheint
alle Welt einig. Welcher Sinn ist dann aber den Fanfaren an der Seine
zuzuschreiben? Liegt einer jener vollkommenen Widersprüche vor. die für
Weise wie für Thoren gleich geheimnißvoll sein sollen, oder hat man es in
Paris nur darauf abgesehen, die Leute so oft irre zu machen, daß man sie


Grenzboten I. '.869. 41
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0333" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/120522"/>
        </div>
        <div n="1">
          <head> Polnischer Monatsbericht.</head><lb/>
          <note type="byline"> X </note><lb/>
          <p xml:id="ID_953"> Obgleich die politischen Jahreszeiten mit denen des Kalenders schon seit<lb/>
längerer Zeit nicht mehr zusammenfallen, hat der diesjährige Februar-Monat<lb/>
ausgesprochener denn die meisten seiner Vorgänger den Frühjahrscharakter<lb/>
getragen. Was es mit diesem auf sich hat, weiß Europa seit nunmehr drei<lb/>
Jahren mit peinlicher Genauigkeit; Frühlingswetter und Kriegsbesorgnisse<lb/>
sind für die Börsen, die diplomatischen und die journalistischen Schreibstuben<lb/>
beinahe gleichbedeutend geworden. In diesem Jahre erscheinen diese verfrüh¬<lb/>
ten Anzeichen französischer Unruhe besonders befremdlich, Der türkisch¬<lb/>
griechische Conflict ist eben beigelegt und alle europäischen Großstaaten haben<lb/>
gleichen Eifer gezeigt, die Gefahren, welche derselbe im Gefolge hatte, zu be¬<lb/>
schwören; in Frankreich selbst ist es ruhiger oder doch stiller als sonst nach<lb/>
mehrwochentlichen Beisammensein des gesetzgebenden Körpers, diesseit des<lb/>
Rheins ist endlich Nichts geschehen, was die Eifersucht unserer französischen<lb/>
Nachbarn entfernt verletzt, mit anderen Worten, jene Jsolirung der Süd¬<lb/>
staaten beeinträchtigt hätte, welche für eine Stipulation des prager Friedens<lb/>
ausgegeben wird. Und doch redet und declamirt die pariser Presse schon seit<lb/>
längerer Zeit gerade so, als sei der erste April bereits erschienen und der<lb/>
Plan für den Sommer gemacht. Zuerst war es die Sequestration der hessi¬<lb/>
schen und hannöverschen Kriegs- und Agitationskassen, die die Pariser Offi¬<lb/>
ziösen in Harnisch jagte; neuerdings hat die einfache Thatsache, daß Belgien<lb/>
von seinem Hausrechte Gebrauch machte, zu dem Trommelwirbel Veranlassung<lb/>
gegeben, der das einzige Stück zu sein scheint, das die inspirirte Presse der<lb/>
französischen Hauptstadt xropria, »wen spielen darf.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_954" next="#ID_955"> Darüber, daß an eine wirkliche Kriegsgefahr nicht zu denken ist. scheint<lb/>
alle Welt einig. Welcher Sinn ist dann aber den Fanfaren an der Seine<lb/>
zuzuschreiben? Liegt einer jener vollkommenen Widersprüche vor. die für<lb/>
Weise wie für Thoren gleich geheimnißvoll sein sollen, oder hat man es in<lb/>
Paris nur darauf abgesehen, die Leute so oft irre zu machen, daß man sie</p><lb/>
          <fw type="sig" place="bottom"> Grenzboten I. '.869. 41</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0333] Polnischer Monatsbericht. X Obgleich die politischen Jahreszeiten mit denen des Kalenders schon seit längerer Zeit nicht mehr zusammenfallen, hat der diesjährige Februar-Monat ausgesprochener denn die meisten seiner Vorgänger den Frühjahrscharakter getragen. Was es mit diesem auf sich hat, weiß Europa seit nunmehr drei Jahren mit peinlicher Genauigkeit; Frühlingswetter und Kriegsbesorgnisse sind für die Börsen, die diplomatischen und die journalistischen Schreibstuben beinahe gleichbedeutend geworden. In diesem Jahre erscheinen diese verfrüh¬ ten Anzeichen französischer Unruhe besonders befremdlich, Der türkisch¬ griechische Conflict ist eben beigelegt und alle europäischen Großstaaten haben gleichen Eifer gezeigt, die Gefahren, welche derselbe im Gefolge hatte, zu be¬ schwören; in Frankreich selbst ist es ruhiger oder doch stiller als sonst nach mehrwochentlichen Beisammensein des gesetzgebenden Körpers, diesseit des Rheins ist endlich Nichts geschehen, was die Eifersucht unserer französischen Nachbarn entfernt verletzt, mit anderen Worten, jene Jsolirung der Süd¬ staaten beeinträchtigt hätte, welche für eine Stipulation des prager Friedens ausgegeben wird. Und doch redet und declamirt die pariser Presse schon seit längerer Zeit gerade so, als sei der erste April bereits erschienen und der Plan für den Sommer gemacht. Zuerst war es die Sequestration der hessi¬ schen und hannöverschen Kriegs- und Agitationskassen, die die Pariser Offi¬ ziösen in Harnisch jagte; neuerdings hat die einfache Thatsache, daß Belgien von seinem Hausrechte Gebrauch machte, zu dem Trommelwirbel Veranlassung gegeben, der das einzige Stück zu sein scheint, das die inspirirte Presse der französischen Hauptstadt xropria, »wen spielen darf. Darüber, daß an eine wirkliche Kriegsgefahr nicht zu denken ist. scheint alle Welt einig. Welcher Sinn ist dann aber den Fanfaren an der Seine zuzuschreiben? Liegt einer jener vollkommenen Widersprüche vor. die für Weise wie für Thoren gleich geheimnißvoll sein sollen, oder hat man es in Paris nur darauf abgesehen, die Leute so oft irre zu machen, daß man sie Grenzboten I. '.869. 41

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_120192
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_120192/333
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_120192/333>, abgerufen am 28.09.2024.