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Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. I. Band.

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pero Colonna zum Vorbild nahm. Ganz besonders aber klagte Guicciardini
über die fortdauernde Getheiltheit des Oberbefehls und drang vergebens
darauf, daß ein Generalkcipitain über die Armeen gesetzt würde. "Mir liegt
nichts daran, daß ich es bin", schreibt er an Giberto, "aber im entgegen¬
gesetzten Falle bin ich entschlossen, mich nicht länger für den Kirchenstaat ab¬
zumühen".

Auch die Unternehmung der Verbündeten auf Siena und auf Genua
mißlang. Als der Sommer hinging, äußerte der Mißerfolg die üblichen
Wirkungen auf die Liga. Es fehlte den italienischen Staaten zum Unab¬
hängigkeitskrieg die Einigkeit und die Ausdauer. Den Völkern war, da ihre
eigenen Landsleute nicht besser hausten als die Spanier, ihre Freude bald
in Haß und Verzweiflung verwandelt. Papst und Venetianer beklagten sich,
schon viel zu viel Geld zugeschossen zu haben, und mehr als sie seufzten die
Florentiner, auf welche der Papst fast die ganzen Kosten des lombardischen
Kriegs gewälzt hatte. Ueberdies kamen weder England noch Frankreich ihren
Verbindlichkeiten nach. Vergeblich waren die Ermahnungen Giucciardini's
und Giberto's. Der König Heinrich und Kardinal Woolsey, ein Jahr zuvor noch
so eifrig, pflegten zu sagen : "Uns gehen die italienischen Dinge nichts an, wir
wollen das nächste Jahr sehen, ob dieMacht des Kaisers uns bedrohlich sein kann."
Franz I. aber hatte gar kein Interesse an einer energischen Kriegführung, er wollte
die Auslieferung seiner Söhne und den gesicherten Besitz Burgunds viel lieber
durch Unterhandlungen erlangen. Ueberdies schienen seine eigennützigen Ab¬
sichten auf Mailand immer deutlicher sich zu enthüllen. Es war bereits so
weit, daß der Kanzler Giberto bereit war. dem König Mailand zu überlassen.
"Wir find," schrieb er, "mit Bedacht auf die platonische Republik losge-
gangen und wollten Italien befreien; statt dessen werden wir Sclaven mit
ihm, und ich sehe keine Rettung, als wir bezahlen dem König den begehrten
Preis." Wirklich ließ ihm der Papst -- und deutlicher konnte der Verfall
der Liga nicht bezeichnet werden -- außer Neapel auch noch Mailand an¬
bieten, freilich ohne Wissen der Venetianer. die immer noch die besten Ita¬
liener waren; ein Angebot, das Franz aus guten Gründen, aber mit der
heuchlerischen Ausrede ablehnte: er glaube, Gott habe ihm das Unglück der
Schlacht von Pavia gesandt, weil er zur Beunruhigung Italiens gekommen,
um welches beständig würde Krieg geführt werden, bis es einmal den Ita¬
lienern selbst gehöre.

Erst am 4. Sept. wurde die Liga officiell zur Kenntniß des Kaisers ge¬
bracht, zu einer Zeit, da sie längst aufgehört, ihm gefährlich zu sein und
ihm im Grunde nur noch übrig war, den Sieg zu verfolgen. Am empfind¬
lichsten war Karl über die Hartnäckigkeit des Papstes, dessen Minister Giberto
in der That die Seele des Unternehmens gewesen war. In Deutschland


pero Colonna zum Vorbild nahm. Ganz besonders aber klagte Guicciardini
über die fortdauernde Getheiltheit des Oberbefehls und drang vergebens
darauf, daß ein Generalkcipitain über die Armeen gesetzt würde. „Mir liegt
nichts daran, daß ich es bin", schreibt er an Giberto, „aber im entgegen¬
gesetzten Falle bin ich entschlossen, mich nicht länger für den Kirchenstaat ab¬
zumühen".

Auch die Unternehmung der Verbündeten auf Siena und auf Genua
mißlang. Als der Sommer hinging, äußerte der Mißerfolg die üblichen
Wirkungen auf die Liga. Es fehlte den italienischen Staaten zum Unab¬
hängigkeitskrieg die Einigkeit und die Ausdauer. Den Völkern war, da ihre
eigenen Landsleute nicht besser hausten als die Spanier, ihre Freude bald
in Haß und Verzweiflung verwandelt. Papst und Venetianer beklagten sich,
schon viel zu viel Geld zugeschossen zu haben, und mehr als sie seufzten die
Florentiner, auf welche der Papst fast die ganzen Kosten des lombardischen
Kriegs gewälzt hatte. Ueberdies kamen weder England noch Frankreich ihren
Verbindlichkeiten nach. Vergeblich waren die Ermahnungen Giucciardini's
und Giberto's. Der König Heinrich und Kardinal Woolsey, ein Jahr zuvor noch
so eifrig, pflegten zu sagen : „Uns gehen die italienischen Dinge nichts an, wir
wollen das nächste Jahr sehen, ob dieMacht des Kaisers uns bedrohlich sein kann."
Franz I. aber hatte gar kein Interesse an einer energischen Kriegführung, er wollte
die Auslieferung seiner Söhne und den gesicherten Besitz Burgunds viel lieber
durch Unterhandlungen erlangen. Ueberdies schienen seine eigennützigen Ab¬
sichten auf Mailand immer deutlicher sich zu enthüllen. Es war bereits so
weit, daß der Kanzler Giberto bereit war. dem König Mailand zu überlassen.
„Wir find," schrieb er, „mit Bedacht auf die platonische Republik losge-
gangen und wollten Italien befreien; statt dessen werden wir Sclaven mit
ihm, und ich sehe keine Rettung, als wir bezahlen dem König den begehrten
Preis." Wirklich ließ ihm der Papst — und deutlicher konnte der Verfall
der Liga nicht bezeichnet werden — außer Neapel auch noch Mailand an¬
bieten, freilich ohne Wissen der Venetianer. die immer noch die besten Ita¬
liener waren; ein Angebot, das Franz aus guten Gründen, aber mit der
heuchlerischen Ausrede ablehnte: er glaube, Gott habe ihm das Unglück der
Schlacht von Pavia gesandt, weil er zur Beunruhigung Italiens gekommen,
um welches beständig würde Krieg geführt werden, bis es einmal den Ita¬
lienern selbst gehöre.

Erst am 4. Sept. wurde die Liga officiell zur Kenntniß des Kaisers ge¬
bracht, zu einer Zeit, da sie längst aufgehört, ihm gefährlich zu sein und
ihm im Grunde nur noch übrig war, den Sieg zu verfolgen. Am empfind¬
lichsten war Karl über die Hartnäckigkeit des Papstes, dessen Minister Giberto
in der That die Seele des Unternehmens gewesen war. In Deutschland


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[0318] pero Colonna zum Vorbild nahm. Ganz besonders aber klagte Guicciardini über die fortdauernde Getheiltheit des Oberbefehls und drang vergebens darauf, daß ein Generalkcipitain über die Armeen gesetzt würde. „Mir liegt nichts daran, daß ich es bin", schreibt er an Giberto, „aber im entgegen¬ gesetzten Falle bin ich entschlossen, mich nicht länger für den Kirchenstaat ab¬ zumühen". Auch die Unternehmung der Verbündeten auf Siena und auf Genua mißlang. Als der Sommer hinging, äußerte der Mißerfolg die üblichen Wirkungen auf die Liga. Es fehlte den italienischen Staaten zum Unab¬ hängigkeitskrieg die Einigkeit und die Ausdauer. Den Völkern war, da ihre eigenen Landsleute nicht besser hausten als die Spanier, ihre Freude bald in Haß und Verzweiflung verwandelt. Papst und Venetianer beklagten sich, schon viel zu viel Geld zugeschossen zu haben, und mehr als sie seufzten die Florentiner, auf welche der Papst fast die ganzen Kosten des lombardischen Kriegs gewälzt hatte. Ueberdies kamen weder England noch Frankreich ihren Verbindlichkeiten nach. Vergeblich waren die Ermahnungen Giucciardini's und Giberto's. Der König Heinrich und Kardinal Woolsey, ein Jahr zuvor noch so eifrig, pflegten zu sagen : „Uns gehen die italienischen Dinge nichts an, wir wollen das nächste Jahr sehen, ob dieMacht des Kaisers uns bedrohlich sein kann." Franz I. aber hatte gar kein Interesse an einer energischen Kriegführung, er wollte die Auslieferung seiner Söhne und den gesicherten Besitz Burgunds viel lieber durch Unterhandlungen erlangen. Ueberdies schienen seine eigennützigen Ab¬ sichten auf Mailand immer deutlicher sich zu enthüllen. Es war bereits so weit, daß der Kanzler Giberto bereit war. dem König Mailand zu überlassen. „Wir find," schrieb er, „mit Bedacht auf die platonische Republik losge- gangen und wollten Italien befreien; statt dessen werden wir Sclaven mit ihm, und ich sehe keine Rettung, als wir bezahlen dem König den begehrten Preis." Wirklich ließ ihm der Papst — und deutlicher konnte der Verfall der Liga nicht bezeichnet werden — außer Neapel auch noch Mailand an¬ bieten, freilich ohne Wissen der Venetianer. die immer noch die besten Ita¬ liener waren; ein Angebot, das Franz aus guten Gründen, aber mit der heuchlerischen Ausrede ablehnte: er glaube, Gott habe ihm das Unglück der Schlacht von Pavia gesandt, weil er zur Beunruhigung Italiens gekommen, um welches beständig würde Krieg geführt werden, bis es einmal den Ita¬ lienern selbst gehöre. Erst am 4. Sept. wurde die Liga officiell zur Kenntniß des Kaisers ge¬ bracht, zu einer Zeit, da sie längst aufgehört, ihm gefährlich zu sein und ihm im Grunde nur noch übrig war, den Sieg zu verfolgen. Am empfind¬ lichsten war Karl über die Hartnäckigkeit des Papstes, dessen Minister Giberto in der That die Seele des Unternehmens gewesen war. In Deutschland

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_120192/318>, abgerufen am 28.09.2024.