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Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. I. Band.

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Italien verzichten. Es sollte ein Heer zur Befreiung Italiens stellen, wofür
Italien nach erfolgter Befreiung seinerseits ein Heer zur Befreiung des ge¬
fangenen Königs Franz stellen würde. Italien -- der Name stand wirklich
in dem Bündnißvertrag der Fürsten, und unter dem Ruf: Italia! Italia!
erhob sich in denselben Tagen die Stadt Turin gegen die verhaßten Spanier.
Ueberall machte sich eine fröhliche Zuversicht geltend, daß es jetzt gelingen
werde, die Spanier zu vertreiben, die Franzosen fern zu halten und die
glücklichen Zeiten vor 1494 über Italien zurückzuführen. Selbst die Kunst
und die Literatur zeigen die Spuren dieses wieder erwachten National¬
gefühls.

Und noch eine Hoffnung leuchtete plötzlich auf, gewagt und verhängniß-
voll, aber bezeichnend für eine Zeit, da die Rechnung auf heimliche Ränke,
auf Ehrgeiz und Treulosigkeit immer noch sicherer zu sein schien, als aus
moralische Kräfte und Empfindungen. Die Verbündeten glaubten Ursache
zu haben, auf den Uebertritt des kaiserlichen Feldherrn Marquis von Pes-
cara rechnen zu dürfen. Morone setzte sich mit ihm in Verbindung, sortirte
ihn und machte ihm, dessen ausweichende Antworten günstig deutend, Mit¬
theilung von der ganzen Unternehmung. Es entspann sich jetzt jene Intrigue,
deren Mittelpunkt der Gemahl der Vittoria Colonna war, und deren Ver¬
lauf schon bei Ranke eine so meisterhafte Darstellung gesunden hat, daß de
Leva wenig Neues hinzuzufügen fand. Das Mittel, das den Verbündeten
vollends mühelos den Erfolg sichern sollte, schlug zum Verderb ihrer Sache
aus. Pescara benutzte den Morone ganz als Werkzeug. Die Verschworenen
mit leeren Worten hinhaltend, theilte er ihre Geheimnisse sofort Karl von
Bourbon und Antonio de Leva mit und stand in ununterbrochenem Verkehr
mit dem Kaiser, der nach de Leva's Darstellung durchaus als Mitverschworener
Pescara's zu betrachten ist, und überdies auch noch aus Rom und Frankreich
Nachrichten über die Plane der Italiener erhalten hatte. Selbst die Investitur,
welche Karl dem Herzog Franz wirklich ertheilte, war vielleicht nur dazu be¬
stimmt, die Verbündeten sicher zu machen. So zog Pescara um diese das
Netz immer dichter und wartete nur auf den rechten Moment, um den ent¬
scheidenden Schlag gegen sie zu führen.

Die eifrigsten im Bunde waren die Venetianer. Als man sranzösischer-
seits mit der Unterzeichnung der verabredeten Artikel zögerte, schlugen sie
vor, daß wenigstens unter den italienischen Staaten auch ohne die Franzosen
ein Defensivbündniß abgeschlossen werden solle. Der Papst war zwar etwas
ängstlich und vorsichtig, er wollte zuvor eine ausdrückliche Erklärung des
Pescara haben, schickte aber doch einen Vertrauten an ihn ab, der ihm --
als Preis des vermeintlichen Verraths -- die Zusage des Königreichs Ne¬
apel und des Oberbefehls der consöderirten Armee verbriefte. Dem Bündniß


Italien verzichten. Es sollte ein Heer zur Befreiung Italiens stellen, wofür
Italien nach erfolgter Befreiung seinerseits ein Heer zur Befreiung des ge¬
fangenen Königs Franz stellen würde. Italien — der Name stand wirklich
in dem Bündnißvertrag der Fürsten, und unter dem Ruf: Italia! Italia!
erhob sich in denselben Tagen die Stadt Turin gegen die verhaßten Spanier.
Ueberall machte sich eine fröhliche Zuversicht geltend, daß es jetzt gelingen
werde, die Spanier zu vertreiben, die Franzosen fern zu halten und die
glücklichen Zeiten vor 1494 über Italien zurückzuführen. Selbst die Kunst
und die Literatur zeigen die Spuren dieses wieder erwachten National¬
gefühls.

Und noch eine Hoffnung leuchtete plötzlich auf, gewagt und verhängniß-
voll, aber bezeichnend für eine Zeit, da die Rechnung auf heimliche Ränke,
auf Ehrgeiz und Treulosigkeit immer noch sicherer zu sein schien, als aus
moralische Kräfte und Empfindungen. Die Verbündeten glaubten Ursache
zu haben, auf den Uebertritt des kaiserlichen Feldherrn Marquis von Pes-
cara rechnen zu dürfen. Morone setzte sich mit ihm in Verbindung, sortirte
ihn und machte ihm, dessen ausweichende Antworten günstig deutend, Mit¬
theilung von der ganzen Unternehmung. Es entspann sich jetzt jene Intrigue,
deren Mittelpunkt der Gemahl der Vittoria Colonna war, und deren Ver¬
lauf schon bei Ranke eine so meisterhafte Darstellung gesunden hat, daß de
Leva wenig Neues hinzuzufügen fand. Das Mittel, das den Verbündeten
vollends mühelos den Erfolg sichern sollte, schlug zum Verderb ihrer Sache
aus. Pescara benutzte den Morone ganz als Werkzeug. Die Verschworenen
mit leeren Worten hinhaltend, theilte er ihre Geheimnisse sofort Karl von
Bourbon und Antonio de Leva mit und stand in ununterbrochenem Verkehr
mit dem Kaiser, der nach de Leva's Darstellung durchaus als Mitverschworener
Pescara's zu betrachten ist, und überdies auch noch aus Rom und Frankreich
Nachrichten über die Plane der Italiener erhalten hatte. Selbst die Investitur,
welche Karl dem Herzog Franz wirklich ertheilte, war vielleicht nur dazu be¬
stimmt, die Verbündeten sicher zu machen. So zog Pescara um diese das
Netz immer dichter und wartete nur auf den rechten Moment, um den ent¬
scheidenden Schlag gegen sie zu führen.

Die eifrigsten im Bunde waren die Venetianer. Als man sranzösischer-
seits mit der Unterzeichnung der verabredeten Artikel zögerte, schlugen sie
vor, daß wenigstens unter den italienischen Staaten auch ohne die Franzosen
ein Defensivbündniß abgeschlossen werden solle. Der Papst war zwar etwas
ängstlich und vorsichtig, er wollte zuvor eine ausdrückliche Erklärung des
Pescara haben, schickte aber doch einen Vertrauten an ihn ab, der ihm —
als Preis des vermeintlichen Verraths — die Zusage des Königreichs Ne¬
apel und des Oberbefehls der consöderirten Armee verbriefte. Dem Bündniß


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[0313] Italien verzichten. Es sollte ein Heer zur Befreiung Italiens stellen, wofür Italien nach erfolgter Befreiung seinerseits ein Heer zur Befreiung des ge¬ fangenen Königs Franz stellen würde. Italien — der Name stand wirklich in dem Bündnißvertrag der Fürsten, und unter dem Ruf: Italia! Italia! erhob sich in denselben Tagen die Stadt Turin gegen die verhaßten Spanier. Ueberall machte sich eine fröhliche Zuversicht geltend, daß es jetzt gelingen werde, die Spanier zu vertreiben, die Franzosen fern zu halten und die glücklichen Zeiten vor 1494 über Italien zurückzuführen. Selbst die Kunst und die Literatur zeigen die Spuren dieses wieder erwachten National¬ gefühls. Und noch eine Hoffnung leuchtete plötzlich auf, gewagt und verhängniß- voll, aber bezeichnend für eine Zeit, da die Rechnung auf heimliche Ränke, auf Ehrgeiz und Treulosigkeit immer noch sicherer zu sein schien, als aus moralische Kräfte und Empfindungen. Die Verbündeten glaubten Ursache zu haben, auf den Uebertritt des kaiserlichen Feldherrn Marquis von Pes- cara rechnen zu dürfen. Morone setzte sich mit ihm in Verbindung, sortirte ihn und machte ihm, dessen ausweichende Antworten günstig deutend, Mit¬ theilung von der ganzen Unternehmung. Es entspann sich jetzt jene Intrigue, deren Mittelpunkt der Gemahl der Vittoria Colonna war, und deren Ver¬ lauf schon bei Ranke eine so meisterhafte Darstellung gesunden hat, daß de Leva wenig Neues hinzuzufügen fand. Das Mittel, das den Verbündeten vollends mühelos den Erfolg sichern sollte, schlug zum Verderb ihrer Sache aus. Pescara benutzte den Morone ganz als Werkzeug. Die Verschworenen mit leeren Worten hinhaltend, theilte er ihre Geheimnisse sofort Karl von Bourbon und Antonio de Leva mit und stand in ununterbrochenem Verkehr mit dem Kaiser, der nach de Leva's Darstellung durchaus als Mitverschworener Pescara's zu betrachten ist, und überdies auch noch aus Rom und Frankreich Nachrichten über die Plane der Italiener erhalten hatte. Selbst die Investitur, welche Karl dem Herzog Franz wirklich ertheilte, war vielleicht nur dazu be¬ stimmt, die Verbündeten sicher zu machen. So zog Pescara um diese das Netz immer dichter und wartete nur auf den rechten Moment, um den ent¬ scheidenden Schlag gegen sie zu führen. Die eifrigsten im Bunde waren die Venetianer. Als man sranzösischer- seits mit der Unterzeichnung der verabredeten Artikel zögerte, schlugen sie vor, daß wenigstens unter den italienischen Staaten auch ohne die Franzosen ein Defensivbündniß abgeschlossen werden solle. Der Papst war zwar etwas ängstlich und vorsichtig, er wollte zuvor eine ausdrückliche Erklärung des Pescara haben, schickte aber doch einen Vertrauten an ihn ab, der ihm — als Preis des vermeintlichen Verraths — die Zusage des Königreichs Ne¬ apel und des Oberbefehls der consöderirten Armee verbriefte. Dem Bündniß

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_120192/313>, abgerufen am 28.09.2024.