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Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. I. Band.

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oder Tod beschieden wäre; denn ich weiß, daß wir von Natur berufen sind,
die Rettung des Vaterlands über alles Andere zu stellen."

Von Franz I. wurden die französischen Pläne mit neuer Kraft wieder
aufgenommen. Der glänzende Feldzug des Jahres ISIS brachte die ganze
Lombardei in die Hand der Franzosen. Die Schweizer zogen nach der Schlacht
von Marignano nach ihren Bergen zurück, nur 1S00 Mann Fußvolk als
Besatzung des Castells von Mailand zurücklassend, wo Sforza sich mit ihnen
einschloß. Die Stadt jubelte über seinen Sturz. Unsägliche Lasten hatten
der Bevölkerung auferlegt werden müssen, um die Fremden zu befriedigen,
die sich freuten, damit die nationale Regierung verhaßt zu machen. Der
Herzog Maximilian war wie eine Geisel von den Schweizern gehalten, und
unumschränkt hatte der grausame Cardinal Schimmer regiert, dem kein Mittel
das Volk auszupressen zu schlecht war. Im Juni hatte Maximilian eine
Steuer von 300,000 Goldthalern auferlegt und 3 Tage nachher ein Edict
erlassen, welches "im Einvernehmen mit den Herren Schweizern" Tod und
Gütereinziehung mittelst geheimer Inquisition jedem androhte, der sich an
heimlichen Versammlungen wider diese Steuer betheiligte. So war es kein
Wunder, daß die Franzosen- wie Befreier begrüßt wurden.

Das Castell, Maximilians einzige Zuflucht, wurde jetzt von den Fran¬
zosen belagert und unterminirt. Die Schweizer wurden mit jedem Tage
unzuverlässiger, Italiener waren nur in geringer Zahl unter der Besatzung,
die Uebergabe eine Nothwendigkeit. Aber sie geschah (am 4. Oct.) in der
schimpflichsten Weise. Anstatt für die furchtbar mitgenommene Stadt eine
Erleichterung auszubedingen, sicherte sich der Herzog eine Pension und die
Anwartschaft auf den Cardinalshut und ließ sich nach Frankreich führen,
wo er dann seine letzten Jahre in verdienter Vergessenheit verlebte. Mo-
rone fiel in die Hand des Feindes, aber entschlossen sich ihm nicht zu unter¬
werfen, und taub gegen ihre Anerbietungen finden wir ihn bald darauf im
Exil bei dem jetzigen Nominalherzog Francesco Maria, dem zweiten Sohne
Ludwig Moros, der in Trient auf günstigen Fahrwind für sein Schifflein
harrte.

Mit der Schlacht von Marignano waren die Fvanzosen die Herren
Italiens. Offen schien der Weg nach Neapel vor ihnen zu liegen, von neuem
drohte die Gefahr eines Alles verschlingenden Weltreichs. Dies war die
Lage, welche mit Nothwendigkeit eine erneute Koalition der italienischen
Staaten nach sich zog. Und wieder war es Morone, der mit aller Zähig¬
keit ein Bündniß gegen die Franzosen zu Stande zu bringen suchte. Schon
im December ISIS hatte ihn sein neuer Herzog beauftragt, für Geldmittel
zur Wiedererlangung der Herrschaft zu sorgen. Er sah sich dabei genöthigt,
sich an den Kaiser zu wenden. Aber er that es in der bewußten Absicht,


oder Tod beschieden wäre; denn ich weiß, daß wir von Natur berufen sind,
die Rettung des Vaterlands über alles Andere zu stellen."

Von Franz I. wurden die französischen Pläne mit neuer Kraft wieder
aufgenommen. Der glänzende Feldzug des Jahres ISIS brachte die ganze
Lombardei in die Hand der Franzosen. Die Schweizer zogen nach der Schlacht
von Marignano nach ihren Bergen zurück, nur 1S00 Mann Fußvolk als
Besatzung des Castells von Mailand zurücklassend, wo Sforza sich mit ihnen
einschloß. Die Stadt jubelte über seinen Sturz. Unsägliche Lasten hatten
der Bevölkerung auferlegt werden müssen, um die Fremden zu befriedigen,
die sich freuten, damit die nationale Regierung verhaßt zu machen. Der
Herzog Maximilian war wie eine Geisel von den Schweizern gehalten, und
unumschränkt hatte der grausame Cardinal Schimmer regiert, dem kein Mittel
das Volk auszupressen zu schlecht war. Im Juni hatte Maximilian eine
Steuer von 300,000 Goldthalern auferlegt und 3 Tage nachher ein Edict
erlassen, welches „im Einvernehmen mit den Herren Schweizern" Tod und
Gütereinziehung mittelst geheimer Inquisition jedem androhte, der sich an
heimlichen Versammlungen wider diese Steuer betheiligte. So war es kein
Wunder, daß die Franzosen- wie Befreier begrüßt wurden.

Das Castell, Maximilians einzige Zuflucht, wurde jetzt von den Fran¬
zosen belagert und unterminirt. Die Schweizer wurden mit jedem Tage
unzuverlässiger, Italiener waren nur in geringer Zahl unter der Besatzung,
die Uebergabe eine Nothwendigkeit. Aber sie geschah (am 4. Oct.) in der
schimpflichsten Weise. Anstatt für die furchtbar mitgenommene Stadt eine
Erleichterung auszubedingen, sicherte sich der Herzog eine Pension und die
Anwartschaft auf den Cardinalshut und ließ sich nach Frankreich führen,
wo er dann seine letzten Jahre in verdienter Vergessenheit verlebte. Mo-
rone fiel in die Hand des Feindes, aber entschlossen sich ihm nicht zu unter¬
werfen, und taub gegen ihre Anerbietungen finden wir ihn bald darauf im
Exil bei dem jetzigen Nominalherzog Francesco Maria, dem zweiten Sohne
Ludwig Moros, der in Trient auf günstigen Fahrwind für sein Schifflein
harrte.

Mit der Schlacht von Marignano waren die Fvanzosen die Herren
Italiens. Offen schien der Weg nach Neapel vor ihnen zu liegen, von neuem
drohte die Gefahr eines Alles verschlingenden Weltreichs. Dies war die
Lage, welche mit Nothwendigkeit eine erneute Koalition der italienischen
Staaten nach sich zog. Und wieder war es Morone, der mit aller Zähig¬
keit ein Bündniß gegen die Franzosen zu Stande zu bringen suchte. Schon
im December ISIS hatte ihn sein neuer Herzog beauftragt, für Geldmittel
zur Wiedererlangung der Herrschaft zu sorgen. Er sah sich dabei genöthigt,
sich an den Kaiser zu wenden. Aber er that es in der bewußten Absicht,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_120192/308>, abgerufen am 28.09.2024.