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Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. I. Band.

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gen Rivalen richteten. Allein bei den Venetianern und mehr noch beim
Papst sind zugleich stets die eigennützigen Motive, die Particularinteressen
nicht zu verkennen, die eine solche Politik eingeben, und schließlich sind die
Italiener doch immer, wenn das Ziel der Befreiung noch so deutlich vor
ihnen steht, genöthigt, zur Vertreibung des einen sich in die Arme des
anderen zu werfen, sodaß der Erfolg nur ein steter Wechsel der Herrschaft
ist, die von beiden gleich drückend immer von Seite desjenigen am meisten
empfunden wird, der sie gerade ausübt.

Freimüthig ist das Buch auch der Kirche gegenüber. Zu dem Satze
Macchiavelli's, daß der weltliche Besitz der Päpste der letzte Grund von
Italiens Zersplitterung sei, bildet diese Geschtchtserzählung einen fortlaufen¬
den Commentar. Die kirchlichen Schäden wie die weltliche Politik der Päpste
erfahren eine Beurtheilung, die kein Interesse verräth, außer dem der Wahr¬
heit. Sichtlich ist der Verfasser zugleich bemüht, dem Ursprung und Verlauf
der deutschen Reformation gerecht zu werden. Auch hier schöpft er aus den
Originalquellen, und Luthers und Huttens Schriften sind ihm so vertraut
wie die Berichte der Contarini und Giustinian. Es ist ihm denn auch die
verdiente Anerkennung nicht entgangen, daß der heil. Stuhl sein Werk auf
den Inder der Verbotenen Bücher gesetzt hat. Immerhin aber bleibt er
in der Beurtheilung der kirchlichen Verhältnisse in Deutschland hinter der
Unbefangenheit zurück, die wie es scheint dem Italiener doppelt schwer wird.
Die Person Luther's, des "Häresiarchen", ist ihm offenbar wenig sympathisch,
und über den politischen Folgen, welche für Italien "das Verbrechen der
Kirchentrennung" gehabt hat, übersieht er doch den Gewinn, den die Civili¬
sation aus der Thatsache des Schisma gezogen und der nur auf einem Um¬
weg auch wieder den katholisch gebliebenen Völkern zu Gute kommt.

Durch die ganze Geschichte der Zeit, welche die bisher erschienenen beiden
Bände De Leva's schildern, vielfach verwickelt in dieselbe, zieht sich das Leben
eines Mannes, der für die Bestrebungen und den schließlichen Verfall Italiens
besonders characteristisch ist, ja fast typisch erscheint. Er ist erfüllt von der
humanistischen Bildung seiner Zeit, patriotisch, edeldenkend, doch auch darin
ein Sohn der Zeit, daß seine Bildung nicht getragen ist von einer starken
sittlichen Ueberzeugung; ein geschickter Staatsmann, der für die Unabhängig¬
keit des Herzogthums Mailand wie für die Italiens seine Kräfte einsetzte,
bald auf Frankreich sich stützend bald auf den Kaiser, schließlich aber an der
letzteren Partei, der siegreichen, hängen bleibt und selber mit Hand anlegt
an die Knechtung seines Vaterlandes: wir meinen Girolamo Morone,
geboren 1470 aus einem alten edlen Mailänder Geschlecht. Sein Vater war
Rechtsgelehrter und herzoglicher Secretär. und auch Girolamo, nachdem er
sich in der Jugend der Poesie ergeben, widmete sich der Rechtswissenschaft.


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gen Rivalen richteten. Allein bei den Venetianern und mehr noch beim
Papst sind zugleich stets die eigennützigen Motive, die Particularinteressen
nicht zu verkennen, die eine solche Politik eingeben, und schließlich sind die
Italiener doch immer, wenn das Ziel der Befreiung noch so deutlich vor
ihnen steht, genöthigt, zur Vertreibung des einen sich in die Arme des
anderen zu werfen, sodaß der Erfolg nur ein steter Wechsel der Herrschaft
ist, die von beiden gleich drückend immer von Seite desjenigen am meisten
empfunden wird, der sie gerade ausübt.

Freimüthig ist das Buch auch der Kirche gegenüber. Zu dem Satze
Macchiavelli's, daß der weltliche Besitz der Päpste der letzte Grund von
Italiens Zersplitterung sei, bildet diese Geschtchtserzählung einen fortlaufen¬
den Commentar. Die kirchlichen Schäden wie die weltliche Politik der Päpste
erfahren eine Beurtheilung, die kein Interesse verräth, außer dem der Wahr¬
heit. Sichtlich ist der Verfasser zugleich bemüht, dem Ursprung und Verlauf
der deutschen Reformation gerecht zu werden. Auch hier schöpft er aus den
Originalquellen, und Luthers und Huttens Schriften sind ihm so vertraut
wie die Berichte der Contarini und Giustinian. Es ist ihm denn auch die
verdiente Anerkennung nicht entgangen, daß der heil. Stuhl sein Werk auf
den Inder der Verbotenen Bücher gesetzt hat. Immerhin aber bleibt er
in der Beurtheilung der kirchlichen Verhältnisse in Deutschland hinter der
Unbefangenheit zurück, die wie es scheint dem Italiener doppelt schwer wird.
Die Person Luther's, des „Häresiarchen", ist ihm offenbar wenig sympathisch,
und über den politischen Folgen, welche für Italien „das Verbrechen der
Kirchentrennung" gehabt hat, übersieht er doch den Gewinn, den die Civili¬
sation aus der Thatsache des Schisma gezogen und der nur auf einem Um¬
weg auch wieder den katholisch gebliebenen Völkern zu Gute kommt.

Durch die ganze Geschichte der Zeit, welche die bisher erschienenen beiden
Bände De Leva's schildern, vielfach verwickelt in dieselbe, zieht sich das Leben
eines Mannes, der für die Bestrebungen und den schließlichen Verfall Italiens
besonders characteristisch ist, ja fast typisch erscheint. Er ist erfüllt von der
humanistischen Bildung seiner Zeit, patriotisch, edeldenkend, doch auch darin
ein Sohn der Zeit, daß seine Bildung nicht getragen ist von einer starken
sittlichen Ueberzeugung; ein geschickter Staatsmann, der für die Unabhängig¬
keit des Herzogthums Mailand wie für die Italiens seine Kräfte einsetzte,
bald auf Frankreich sich stützend bald auf den Kaiser, schließlich aber an der
letzteren Partei, der siegreichen, hängen bleibt und selber mit Hand anlegt
an die Knechtung seines Vaterlandes: wir meinen Girolamo Morone,
geboren 1470 aus einem alten edlen Mailänder Geschlecht. Sein Vater war
Rechtsgelehrter und herzoglicher Secretär. und auch Girolamo, nachdem er
sich in der Jugend der Poesie ergeben, widmete sich der Rechtswissenschaft.


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[0303] gen Rivalen richteten. Allein bei den Venetianern und mehr noch beim Papst sind zugleich stets die eigennützigen Motive, die Particularinteressen nicht zu verkennen, die eine solche Politik eingeben, und schließlich sind die Italiener doch immer, wenn das Ziel der Befreiung noch so deutlich vor ihnen steht, genöthigt, zur Vertreibung des einen sich in die Arme des anderen zu werfen, sodaß der Erfolg nur ein steter Wechsel der Herrschaft ist, die von beiden gleich drückend immer von Seite desjenigen am meisten empfunden wird, der sie gerade ausübt. Freimüthig ist das Buch auch der Kirche gegenüber. Zu dem Satze Macchiavelli's, daß der weltliche Besitz der Päpste der letzte Grund von Italiens Zersplitterung sei, bildet diese Geschtchtserzählung einen fortlaufen¬ den Commentar. Die kirchlichen Schäden wie die weltliche Politik der Päpste erfahren eine Beurtheilung, die kein Interesse verräth, außer dem der Wahr¬ heit. Sichtlich ist der Verfasser zugleich bemüht, dem Ursprung und Verlauf der deutschen Reformation gerecht zu werden. Auch hier schöpft er aus den Originalquellen, und Luthers und Huttens Schriften sind ihm so vertraut wie die Berichte der Contarini und Giustinian. Es ist ihm denn auch die verdiente Anerkennung nicht entgangen, daß der heil. Stuhl sein Werk auf den Inder der Verbotenen Bücher gesetzt hat. Immerhin aber bleibt er in der Beurtheilung der kirchlichen Verhältnisse in Deutschland hinter der Unbefangenheit zurück, die wie es scheint dem Italiener doppelt schwer wird. Die Person Luther's, des „Häresiarchen", ist ihm offenbar wenig sympathisch, und über den politischen Folgen, welche für Italien „das Verbrechen der Kirchentrennung" gehabt hat, übersieht er doch den Gewinn, den die Civili¬ sation aus der Thatsache des Schisma gezogen und der nur auf einem Um¬ weg auch wieder den katholisch gebliebenen Völkern zu Gute kommt. Durch die ganze Geschichte der Zeit, welche die bisher erschienenen beiden Bände De Leva's schildern, vielfach verwickelt in dieselbe, zieht sich das Leben eines Mannes, der für die Bestrebungen und den schließlichen Verfall Italiens besonders characteristisch ist, ja fast typisch erscheint. Er ist erfüllt von der humanistischen Bildung seiner Zeit, patriotisch, edeldenkend, doch auch darin ein Sohn der Zeit, daß seine Bildung nicht getragen ist von einer starken sittlichen Ueberzeugung; ein geschickter Staatsmann, der für die Unabhängig¬ keit des Herzogthums Mailand wie für die Italiens seine Kräfte einsetzte, bald auf Frankreich sich stützend bald auf den Kaiser, schließlich aber an der letzteren Partei, der siegreichen, hängen bleibt und selber mit Hand anlegt an die Knechtung seines Vaterlandes: wir meinen Girolamo Morone, geboren 1470 aus einem alten edlen Mailänder Geschlecht. Sein Vater war Rechtsgelehrter und herzoglicher Secretär. und auch Girolamo, nachdem er sich in der Jugend der Poesie ergeben, widmete sich der Rechtswissenschaft. 37»

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_120192/303>, abgerufen am 28.09.2024.