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Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. I. Band.

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angemessenen Zartgefühl stillschweigend hinausgehen, verzögerten die Ver¬
handlungen bis zum jüngsten 12. November.

Man weiß wie es an diesem Tage des Gerichts herging. Bamberger
vertheidigte sich mit dem allzu guten Humor eines Politikers, der trotz aller
Erfahrung an Andern noch so naiv ist, seine Verurtheilung bei augenschein¬
licher juristischer Unschuld für unmöglich zu halten. Und als er die Dalwigk-
Ketteler'sche Convention besprechen wollte, welche den Sinn der verfolgten
Stelle ausmacht, ward ihm das Wort abgeschnitten. Am 27. November
hat nun das mainzer Bezirksgericht sein Urtheil gesprochen. Diese nach
Form und Inhalt wunderliche, unter vierzehntägiger Anstrengung zu Wege
gebrachte Arbeit verdient auch in weiteren Kreisen Beachtung. Die weit¬
schweifigen Erwägungsgründe zerfallen in zwei Hauptabschnitte. In dem
ersten Theile erkennen die Richter an, daß keine formelle Injurie vorliegt,
sehen aber in der Behauptung, daß das Ministerium mit der kirchlichen In¬
toleranz im Einverständniß gewesen, die "gravste Beleidigung". Warum?
das erklären sie in einer moralischen Promenade, welche auf Entdeckung des
dem Wort Intoleranz zu Grunde liegenden Sinnes ausgeht. Die drei ge¬
lehrten Männer können sich nicht bei dem Gedanken beruhigen, daß ihr Be¬
schuldigter, wenn er von Intoleranz spricht, auch nur von Intoleranz sprechen
wollte. Vielmehr meine er, sagen sie, doch ohne Zweifel jene Intoleranz,
"welche mit den ärgsten Gräueln der vergangenen Zeiten in einem Causal-
nexus gestanden (3le!) und selbst in unserem geistig und sittlich vorangeschritte¬
nen Staatsleben Gehässigkeiten und Anfeindungen hervorzurufen angethan
ist, welche die Staatsangehörigen ihrem christlich moralischen Standpunkt
vollständig entrücken" :e. :c.! Schwerlich hat jemals ein Urtheil sich erlaubt,
in ein einziges, an sich schuldloses Wort mehr hängenswerthe Gedanken hin¬
ein zu interpretiren; schwerlich auch wird Herr Bischof Ketteler, der doch
unzweifelhaft auch für den Richter mit der kirchlichen Intoleranz gemeint
war, für diese officielle Erweiterung der an ihn anknüpfenden Vorstellung
besonders dankbar sein. Wer begeht hier die Schmähung: der Richter oder
der Verurtheilte? Und muß man dabei hier nicht jener Wendung des Ver¬
theidigers erinnern, daß mit dieser Verfolgung die Behörde einen Makel auf
die Kirche werfe?

Noch curioser aber ist der zweite Theil der Erwägungsgründe. Hier
geht das Gericht einen bedeutenden Schritt weiter in der Umarmung der
demokratischen Partei, als selbst das Ministerium Dalwigk gegangen war.
Hatte Letzteres sich begnügt, stiller Theilhaber, simpler Commanditär in der
Firma Bebel, Liebknecht und Co. zu sein, so hält das Gericht sich berufen
ausdrücklich im Namen der Staatsregierung in diese Gesellschaft einzutreten,
ihre Sache zu der seinigen zu machen, deutlich auszusprechen, daß es gelte die


angemessenen Zartgefühl stillschweigend hinausgehen, verzögerten die Ver¬
handlungen bis zum jüngsten 12. November.

Man weiß wie es an diesem Tage des Gerichts herging. Bamberger
vertheidigte sich mit dem allzu guten Humor eines Politikers, der trotz aller
Erfahrung an Andern noch so naiv ist, seine Verurtheilung bei augenschein¬
licher juristischer Unschuld für unmöglich zu halten. Und als er die Dalwigk-
Ketteler'sche Convention besprechen wollte, welche den Sinn der verfolgten
Stelle ausmacht, ward ihm das Wort abgeschnitten. Am 27. November
hat nun das mainzer Bezirksgericht sein Urtheil gesprochen. Diese nach
Form und Inhalt wunderliche, unter vierzehntägiger Anstrengung zu Wege
gebrachte Arbeit verdient auch in weiteren Kreisen Beachtung. Die weit¬
schweifigen Erwägungsgründe zerfallen in zwei Hauptabschnitte. In dem
ersten Theile erkennen die Richter an, daß keine formelle Injurie vorliegt,
sehen aber in der Behauptung, daß das Ministerium mit der kirchlichen In¬
toleranz im Einverständniß gewesen, die „gravste Beleidigung". Warum?
das erklären sie in einer moralischen Promenade, welche auf Entdeckung des
dem Wort Intoleranz zu Grunde liegenden Sinnes ausgeht. Die drei ge¬
lehrten Männer können sich nicht bei dem Gedanken beruhigen, daß ihr Be¬
schuldigter, wenn er von Intoleranz spricht, auch nur von Intoleranz sprechen
wollte. Vielmehr meine er, sagen sie, doch ohne Zweifel jene Intoleranz,
„welche mit den ärgsten Gräueln der vergangenen Zeiten in einem Causal-
nexus gestanden (3le!) und selbst in unserem geistig und sittlich vorangeschritte¬
nen Staatsleben Gehässigkeiten und Anfeindungen hervorzurufen angethan
ist, welche die Staatsangehörigen ihrem christlich moralischen Standpunkt
vollständig entrücken" :e. :c.! Schwerlich hat jemals ein Urtheil sich erlaubt,
in ein einziges, an sich schuldloses Wort mehr hängenswerthe Gedanken hin¬
ein zu interpretiren; schwerlich auch wird Herr Bischof Ketteler, der doch
unzweifelhaft auch für den Richter mit der kirchlichen Intoleranz gemeint
war, für diese officielle Erweiterung der an ihn anknüpfenden Vorstellung
besonders dankbar sein. Wer begeht hier die Schmähung: der Richter oder
der Verurtheilte? Und muß man dabei hier nicht jener Wendung des Ver¬
theidigers erinnern, daß mit dieser Verfolgung die Behörde einen Makel auf
die Kirche werfe?

Noch curioser aber ist der zweite Theil der Erwägungsgründe. Hier
geht das Gericht einen bedeutenden Schritt weiter in der Umarmung der
demokratischen Partei, als selbst das Ministerium Dalwigk gegangen war.
Hatte Letzteres sich begnügt, stiller Theilhaber, simpler Commanditär in der
Firma Bebel, Liebknecht und Co. zu sein, so hält das Gericht sich berufen
ausdrücklich im Namen der Staatsregierung in diese Gesellschaft einzutreten,
ihre Sache zu der seinigen zu machen, deutlich auszusprechen, daß es gelte die


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_120192/30>, abgerufen am 28.09.2024.