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Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. I. Band.

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Organismus dringt sie ohne Unterlaß von allen Seiten hinein. Wären
Staatsanwaltschaft und Gerichte in Preußen das, was sie sein sollen, was
sie ihrer gesetzlichen organischen Bestimmung nach zu gelten berufen sind,
als was sie das Preßgesetz v. 12. Mai 1831 thatsächlich gedacht hat: die
preußische Presse würde sich immerhin einer ziemlich auskömmlichen Freiheit
der Bewegung erfreuen. Das Preßgesetz bliebe freilich als ein recht dürftiges
legislatives Machwerk mit manchen dadurch bedingten Molesten bestehen,
aber ernsthafte Gefahren könnte es der Presse nicht bereiten. Gefahren würden
aber selbst bei unveränderter Annahme des Duncker - Eberty'schen Antrags
fast ungeschwächt bestehen bleiben, solange Polizei und Staatsanwaltschaft in
ihrer jetzigen organischen Stellung erhalten werden. Das Strafgesetzbuch und
und die geltenden Strafprozeß-Ordnungen würden nach wie vor zahllose
Handhaben darbieten, die Presse durch eine ihr feindselige Regierungspartei
fortgesetzt zu chicaniren, zu schädigen, zu ersticken.

Als jüngst der kaiserliche Procurator von Toulouse es müde geworden
war, unter polizeilicher Aufsicht seinen Amtspflichten obzuliegen und unter
Protest das entwürdigte Amt aufgab, zeigte die liberale Presse jenseit wie
diesseit des Rheins eine tiefe sittliche Entrüstung über solche Polizeiwirth¬
schaft in der Justiz. Das Journal des Debats meinte damals mit Recht,
man sollte sich doch nicht über Dinge ereifern, die einer ruhigen Erwägung
der verfassungsmäßigen Zustände des Landes vollkommen selbstverständlich
erschienen, das Parquet gehöre verfassungsmäßig nicht zur Magistratur, es
bestehe aus Agenten der Justiz, welche den Befehlen ihres administrativen
Chefs gerade so discretionär unterworfen seien, wie Polizeiagenten denen des
Polizeichefs, und wenn es der Administration so gut schiene, könne man jene
durch diese ebenso gut überwachen lassen. wie umgekehrt. Es ist heute in
Preußen unter dem Liberalismus fast zur Mode geworden, über die poli¬
tische Verfolgungssucht und den freiheitsfeindlicher Charakter der Staats¬
anwälte sich bei jeder Gelegenheit mit Emphase zu ergehen. Jeder neue Preß-
proc'eß gibt dazu neuen Anlaß. Gedankenlos raisonnirt man darüber hinweg,
daß i. I. 1849 durch Landesgesetz die Staatsanwaltschaft den Befehlen des
Justizministers ohne alle Einschränkung unterworfen worden .ist, und der
preußische Justizminister einen Theil seiner befehlenden Gewalt generell dem
Minister des Inneren und den Polizeibehörden delegirt hat. Noch sind auch
in der preußischen Staatsanwaltschaft die Traditionen unabhängiger Justiz
mächtig genug, um sich den zudringlichen Umschlingungen ministerieller und
polizeilicher Bureaukratie einigermaßen zu erwehren, und noch fehlt es in
der Körperschaft nicht ganz an Männern von unabhängiger Gesinnung, die
trotz der Ungunst der Zeiten und der Menschen einen stillen und dauern¬
den Kampf fortführen um die Herstellung oder Verkümmerung unparteiischer


Organismus dringt sie ohne Unterlaß von allen Seiten hinein. Wären
Staatsanwaltschaft und Gerichte in Preußen das, was sie sein sollen, was
sie ihrer gesetzlichen organischen Bestimmung nach zu gelten berufen sind,
als was sie das Preßgesetz v. 12. Mai 1831 thatsächlich gedacht hat: die
preußische Presse würde sich immerhin einer ziemlich auskömmlichen Freiheit
der Bewegung erfreuen. Das Preßgesetz bliebe freilich als ein recht dürftiges
legislatives Machwerk mit manchen dadurch bedingten Molesten bestehen,
aber ernsthafte Gefahren könnte es der Presse nicht bereiten. Gefahren würden
aber selbst bei unveränderter Annahme des Duncker - Eberty'schen Antrags
fast ungeschwächt bestehen bleiben, solange Polizei und Staatsanwaltschaft in
ihrer jetzigen organischen Stellung erhalten werden. Das Strafgesetzbuch und
und die geltenden Strafprozeß-Ordnungen würden nach wie vor zahllose
Handhaben darbieten, die Presse durch eine ihr feindselige Regierungspartei
fortgesetzt zu chicaniren, zu schädigen, zu ersticken.

Als jüngst der kaiserliche Procurator von Toulouse es müde geworden
war, unter polizeilicher Aufsicht seinen Amtspflichten obzuliegen und unter
Protest das entwürdigte Amt aufgab, zeigte die liberale Presse jenseit wie
diesseit des Rheins eine tiefe sittliche Entrüstung über solche Polizeiwirth¬
schaft in der Justiz. Das Journal des Debats meinte damals mit Recht,
man sollte sich doch nicht über Dinge ereifern, die einer ruhigen Erwägung
der verfassungsmäßigen Zustände des Landes vollkommen selbstverständlich
erschienen, das Parquet gehöre verfassungsmäßig nicht zur Magistratur, es
bestehe aus Agenten der Justiz, welche den Befehlen ihres administrativen
Chefs gerade so discretionär unterworfen seien, wie Polizeiagenten denen des
Polizeichefs, und wenn es der Administration so gut schiene, könne man jene
durch diese ebenso gut überwachen lassen. wie umgekehrt. Es ist heute in
Preußen unter dem Liberalismus fast zur Mode geworden, über die poli¬
tische Verfolgungssucht und den freiheitsfeindlicher Charakter der Staats¬
anwälte sich bei jeder Gelegenheit mit Emphase zu ergehen. Jeder neue Preß-
proc'eß gibt dazu neuen Anlaß. Gedankenlos raisonnirt man darüber hinweg,
daß i. I. 1849 durch Landesgesetz die Staatsanwaltschaft den Befehlen des
Justizministers ohne alle Einschränkung unterworfen worden .ist, und der
preußische Justizminister einen Theil seiner befehlenden Gewalt generell dem
Minister des Inneren und den Polizeibehörden delegirt hat. Noch sind auch
in der preußischen Staatsanwaltschaft die Traditionen unabhängiger Justiz
mächtig genug, um sich den zudringlichen Umschlingungen ministerieller und
polizeilicher Bureaukratie einigermaßen zu erwehren, und noch fehlt es in
der Körperschaft nicht ganz an Männern von unabhängiger Gesinnung, die
trotz der Ungunst der Zeiten und der Menschen einen stillen und dauern¬
den Kampf fortführen um die Herstellung oder Verkümmerung unparteiischer


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[0299] Organismus dringt sie ohne Unterlaß von allen Seiten hinein. Wären Staatsanwaltschaft und Gerichte in Preußen das, was sie sein sollen, was sie ihrer gesetzlichen organischen Bestimmung nach zu gelten berufen sind, als was sie das Preßgesetz v. 12. Mai 1831 thatsächlich gedacht hat: die preußische Presse würde sich immerhin einer ziemlich auskömmlichen Freiheit der Bewegung erfreuen. Das Preßgesetz bliebe freilich als ein recht dürftiges legislatives Machwerk mit manchen dadurch bedingten Molesten bestehen, aber ernsthafte Gefahren könnte es der Presse nicht bereiten. Gefahren würden aber selbst bei unveränderter Annahme des Duncker - Eberty'schen Antrags fast ungeschwächt bestehen bleiben, solange Polizei und Staatsanwaltschaft in ihrer jetzigen organischen Stellung erhalten werden. Das Strafgesetzbuch und und die geltenden Strafprozeß-Ordnungen würden nach wie vor zahllose Handhaben darbieten, die Presse durch eine ihr feindselige Regierungspartei fortgesetzt zu chicaniren, zu schädigen, zu ersticken. Als jüngst der kaiserliche Procurator von Toulouse es müde geworden war, unter polizeilicher Aufsicht seinen Amtspflichten obzuliegen und unter Protest das entwürdigte Amt aufgab, zeigte die liberale Presse jenseit wie diesseit des Rheins eine tiefe sittliche Entrüstung über solche Polizeiwirth¬ schaft in der Justiz. Das Journal des Debats meinte damals mit Recht, man sollte sich doch nicht über Dinge ereifern, die einer ruhigen Erwägung der verfassungsmäßigen Zustände des Landes vollkommen selbstverständlich erschienen, das Parquet gehöre verfassungsmäßig nicht zur Magistratur, es bestehe aus Agenten der Justiz, welche den Befehlen ihres administrativen Chefs gerade so discretionär unterworfen seien, wie Polizeiagenten denen des Polizeichefs, und wenn es der Administration so gut schiene, könne man jene durch diese ebenso gut überwachen lassen. wie umgekehrt. Es ist heute in Preußen unter dem Liberalismus fast zur Mode geworden, über die poli¬ tische Verfolgungssucht und den freiheitsfeindlicher Charakter der Staats¬ anwälte sich bei jeder Gelegenheit mit Emphase zu ergehen. Jeder neue Preß- proc'eß gibt dazu neuen Anlaß. Gedankenlos raisonnirt man darüber hinweg, daß i. I. 1849 durch Landesgesetz die Staatsanwaltschaft den Befehlen des Justizministers ohne alle Einschränkung unterworfen worden .ist, und der preußische Justizminister einen Theil seiner befehlenden Gewalt generell dem Minister des Inneren und den Polizeibehörden delegirt hat. Noch sind auch in der preußischen Staatsanwaltschaft die Traditionen unabhängiger Justiz mächtig genug, um sich den zudringlichen Umschlingungen ministerieller und polizeilicher Bureaukratie einigermaßen zu erwehren, und noch fehlt es in der Körperschaft nicht ganz an Männern von unabhängiger Gesinnung, die trotz der Ungunst der Zeiten und der Menschen einen stillen und dauern¬ den Kampf fortführen um die Herstellung oder Verkümmerung unparteiischer

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_120192/299>, abgerufen am 28.09.2024.