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Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. I. Band.

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rem abgesehen, haben ihre Besucher weder die Fähigkeit noch die Mittel sich
selbst zu helfen. Die verhältnißmäßig hohe durchschnittliche Bildung der
Lehrer aber hat von praktischer Hygiene noch nichts in sich aufgenommen.
So kommt es, daß wenn die Wissenschaft einmal die Luft, oder das Licht,
oder die Tische und Bänke einer Schule ihrer Prüfung unterwirft, die nach¬
theiligen Einflüsse in stärkerer Thätigkeit begriffen vorgefunden werden, als
in Krankenhäusern, Gefängnissen. Kasernen u. s. f., die meistens alle schon
sowohl beim Bau, wie während ihrer Benutzung einer gewissen eindringenden
hygienischen Controle unterworfen werden..

Die Verderbtheit der atmosphärischen Lust für menschliche Athmungs-
zwecke mißt sich bekanntlich an ihrem Kohlensäuregehalt. Kohlensäure ist das
Excrement des Athmungsprocesses, wie Sauerstoff sein Unterhalter. Man
nimmt an, daß die Beimengung der Kohlensäure, wenn die Luft eines Rau¬
mes athembar-gesund bleiben soll, das Verhältniß von eins auf Tausend
nicht übersteigen dürfe. Nun fand aber der englische Arzt Roscoe in Schul¬
zimmern 2,z bis ?,z auf 1000,--Professor Pettenkofer zu München in einer
Mädchenschule 7,2 auf 1000, -- Dr. Baring zu Celle in einem Gymna¬
sium 2 bis 6, in Volksschulen 9 bis 12 auf 1000 u. f. f. Dagegen consta-
tirte Roscoe in Militärhospitälern nur O.g bis 1,z und in unventilirten Ka¬
sernen nur l.i bis l.g Theile Kohlensäure auf 1000 Theile Luft. In Eng-
land ist man bekanntlich sehr viel feinfühliger für frische ^ab gesunde Luft;
daher die geringere dort beobachtete Luftverderbniß überhaupt. Aber der
Nachtheil zu Ungunsten der Schulen zeigt sich dort sogut als in Deutschland.

Auf das erste Vernehmen wundert man sich vielleicht, daß kleine Knaben
und Mädchen ein so verhängnißvolles Vermögen besitzen sollen sich selbst die
Lust zu verderben. Sie bringen doch immer nur einen kleinen Theil der
täglichen vierundzwanzig Stunden in ihren Classen zu; und halbwüchsige
Menschen werden doch nicht so viel ihres Sauerstoffs beraubt, wie er¬
wachsene? Das ist aber eben nur ein wenn auch noch so plausibler und
landläufiger Irrthum. Was Erwachsene an Körperumfang voraushaben,
das gleichen Kinder durch ihren stärkern Stoffumsatz so ziemlich aus. Im
Verhältniß zum Körpergewicht athmen wachsende Menschen nach Pettenkofer,
die doppelte Menge Kohlensäure aus wie ausgewachsene. Was aber die
Leerheit der Schulzimmer, während dreier Viertel des Tages betrifft, so
kommt natürlich alles darauf an, welchen Gebrauch man von derselben macht.
Sie gewährt die Möglichkeit gründlicher Erneuerung der Luft, aber sie ist
keineswegs mit dieser an sich schon gleichbedeutend. Von wie vielen Schulen
unter Tausend im deutschen Vaterlande läßt sich sagen, daß sie diese Mög¬
lichkeit gehörig ausbeuten, anstatt bei geschlossenen Fenstern und Thüren die


rem abgesehen, haben ihre Besucher weder die Fähigkeit noch die Mittel sich
selbst zu helfen. Die verhältnißmäßig hohe durchschnittliche Bildung der
Lehrer aber hat von praktischer Hygiene noch nichts in sich aufgenommen.
So kommt es, daß wenn die Wissenschaft einmal die Luft, oder das Licht,
oder die Tische und Bänke einer Schule ihrer Prüfung unterwirft, die nach¬
theiligen Einflüsse in stärkerer Thätigkeit begriffen vorgefunden werden, als
in Krankenhäusern, Gefängnissen. Kasernen u. s. f., die meistens alle schon
sowohl beim Bau, wie während ihrer Benutzung einer gewissen eindringenden
hygienischen Controle unterworfen werden..

Die Verderbtheit der atmosphärischen Lust für menschliche Athmungs-
zwecke mißt sich bekanntlich an ihrem Kohlensäuregehalt. Kohlensäure ist das
Excrement des Athmungsprocesses, wie Sauerstoff sein Unterhalter. Man
nimmt an, daß die Beimengung der Kohlensäure, wenn die Luft eines Rau¬
mes athembar-gesund bleiben soll, das Verhältniß von eins auf Tausend
nicht übersteigen dürfe. Nun fand aber der englische Arzt Roscoe in Schul¬
zimmern 2,z bis ?,z auf 1000,—Professor Pettenkofer zu München in einer
Mädchenschule 7,2 auf 1000, — Dr. Baring zu Celle in einem Gymna¬
sium 2 bis 6, in Volksschulen 9 bis 12 auf 1000 u. f. f. Dagegen consta-
tirte Roscoe in Militärhospitälern nur O.g bis 1,z und in unventilirten Ka¬
sernen nur l.i bis l.g Theile Kohlensäure auf 1000 Theile Luft. In Eng-
land ist man bekanntlich sehr viel feinfühliger für frische ^ab gesunde Luft;
daher die geringere dort beobachtete Luftverderbniß überhaupt. Aber der
Nachtheil zu Ungunsten der Schulen zeigt sich dort sogut als in Deutschland.

Auf das erste Vernehmen wundert man sich vielleicht, daß kleine Knaben
und Mädchen ein so verhängnißvolles Vermögen besitzen sollen sich selbst die
Lust zu verderben. Sie bringen doch immer nur einen kleinen Theil der
täglichen vierundzwanzig Stunden in ihren Classen zu; und halbwüchsige
Menschen werden doch nicht so viel ihres Sauerstoffs beraubt, wie er¬
wachsene? Das ist aber eben nur ein wenn auch noch so plausibler und
landläufiger Irrthum. Was Erwachsene an Körperumfang voraushaben,
das gleichen Kinder durch ihren stärkern Stoffumsatz so ziemlich aus. Im
Verhältniß zum Körpergewicht athmen wachsende Menschen nach Pettenkofer,
die doppelte Menge Kohlensäure aus wie ausgewachsene. Was aber die
Leerheit der Schulzimmer, während dreier Viertel des Tages betrifft, so
kommt natürlich alles darauf an, welchen Gebrauch man von derselben macht.
Sie gewährt die Möglichkeit gründlicher Erneuerung der Luft, aber sie ist
keineswegs mit dieser an sich schon gleichbedeutend. Von wie vielen Schulen
unter Tausend im deutschen Vaterlande läßt sich sagen, daß sie diese Mög¬
lichkeit gehörig ausbeuten, anstatt bei geschlossenen Fenstern und Thüren die


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_120192/288>, abgerufen am 28.09.2024.