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Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. I. Band.

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niedergelegt hat, betreffen Hofhistörchen, die nur für Leute Interesse haben
konnten, welche direct oder indirect der Hofgesellschaft angehörten. Charak¬
teristisch ist schon, daß Varnhagen sich nicht nur um eine Menge Dinge be¬
kümmert, die eigentlich unter seiner Würde sind, sondern daß seine Theil¬
nahme sich auch darauf ausdehnt, was die einzelnen Männer und Frauen
zu denselben gesagt haben. Dadurch erhalten zahlreiche der verzeichneten
Vorgänge, welche sich allenfalls unter den Gesichtspunkt der historischen
Anekdote stellen ließen, einen widrigen Beigeschmack von Klatsch und "00m-
MrgAs". Vollends ekelhaft wird die Sache, wenn es sich dabei um Dinge
handelt, welche mit der Politik, ja mit der bloßen Tagesgeschichte nichts mehr
zu thun haben, sondern sich lediglich um Privatangelegenheiten von Fürsten
und Ministern drehen. Unter diese Rubrik gehören vor Allem die zahlreichen
zudringlichen Details über Friedrich Wilhelms III. morganatische Heirath
mit der Fürstin Liegnitz. Mit wahrhaft cynischer Neugier wird allen Einzel¬
heiten des Verhältnisses zwischen den beiden Gatten nachgegangen und ein
Geklätsch über dieselben verführt, wie es unwürdiger und kleinlicher kein
Hofschrdnze anheben könnte. Die Inhaltslosigkeit des Lebens der höheren
Kreise jener Zeit, die Abwesenheit aller idealer Bestrebungen auf dem staat¬
lichen Gebiet, die gedankenlose Neugier, die immer nur Huiä novi fragt und
mit jeder Antwort zufrieden ist, wenn dieselbe nur Conversationsstoff für die
nächsten Stunden bietet, -- deutlicher können sie sich kaum irgendwo ab¬
spiegeln, als in diesen Tagebuchblättern, in denen ein geistreicher und be¬
deutender Mensch das wiedergibt, was er für das Wichtigste und Wissens¬
würdigste des Tages hält. Varnhagen selbst scheint sich wenigstens zu Zeiten
keine Illusionen darüber gemacht zu haben. "Ueberhaupt", heißt es S. 294,
"ist Hof und Stadt jetzt von keinerlei durchgreifenden Interessen bewegt, eine
völlige Leere, ein gänzlicher Stillstand; alles lähmt sich untereinander, zum
Bewegen ist keine Kraft groß genug, zum Hemmen reicht jede hin." .Und
dennoch wird er nicht müde, von früh bis spät auf die Jagd nach Neuig¬
keiten aus dieser reiz- und würdelosen Welt zu gehen. Nicht nur, daß über die
Kleinlichkeiten und Scandalosa, von denen die Gesellschaft sich nährte, Buch
geführt wird, in eines Besseren Ermangelung verschmäht der Tagebuchschreiber
nicht, von Geschichtchen Act zu nehmen, die den Stempel der absichtlichen
Lüge an der Stirn tragen und von ihm selbst keinen Augenblick geglaubt
worden sind.

Aber das ist noch nicht das Schlimmste. An mehr wie einer Stelle
offenbaren sich die ungünstigen Wirkungen, welche das Aufgehen in diese
Nichtigkeiten auch auf Varnhagens Charakter und sein politisches Urtheil
ausüben. Verzehrt von dem Drange, aus der Verborgenheit seiner Privat¬
existenz auf die Schaubühne des öffentlichen Lebens zurückzukehren, ist er in


niedergelegt hat, betreffen Hofhistörchen, die nur für Leute Interesse haben
konnten, welche direct oder indirect der Hofgesellschaft angehörten. Charak¬
teristisch ist schon, daß Varnhagen sich nicht nur um eine Menge Dinge be¬
kümmert, die eigentlich unter seiner Würde sind, sondern daß seine Theil¬
nahme sich auch darauf ausdehnt, was die einzelnen Männer und Frauen
zu denselben gesagt haben. Dadurch erhalten zahlreiche der verzeichneten
Vorgänge, welche sich allenfalls unter den Gesichtspunkt der historischen
Anekdote stellen ließen, einen widrigen Beigeschmack von Klatsch und „00m-
MrgAs". Vollends ekelhaft wird die Sache, wenn es sich dabei um Dinge
handelt, welche mit der Politik, ja mit der bloßen Tagesgeschichte nichts mehr
zu thun haben, sondern sich lediglich um Privatangelegenheiten von Fürsten
und Ministern drehen. Unter diese Rubrik gehören vor Allem die zahlreichen
zudringlichen Details über Friedrich Wilhelms III. morganatische Heirath
mit der Fürstin Liegnitz. Mit wahrhaft cynischer Neugier wird allen Einzel¬
heiten des Verhältnisses zwischen den beiden Gatten nachgegangen und ein
Geklätsch über dieselben verführt, wie es unwürdiger und kleinlicher kein
Hofschrdnze anheben könnte. Die Inhaltslosigkeit des Lebens der höheren
Kreise jener Zeit, die Abwesenheit aller idealer Bestrebungen auf dem staat¬
lichen Gebiet, die gedankenlose Neugier, die immer nur Huiä novi fragt und
mit jeder Antwort zufrieden ist, wenn dieselbe nur Conversationsstoff für die
nächsten Stunden bietet, — deutlicher können sie sich kaum irgendwo ab¬
spiegeln, als in diesen Tagebuchblättern, in denen ein geistreicher und be¬
deutender Mensch das wiedergibt, was er für das Wichtigste und Wissens¬
würdigste des Tages hält. Varnhagen selbst scheint sich wenigstens zu Zeiten
keine Illusionen darüber gemacht zu haben. „Ueberhaupt", heißt es S. 294,
„ist Hof und Stadt jetzt von keinerlei durchgreifenden Interessen bewegt, eine
völlige Leere, ein gänzlicher Stillstand; alles lähmt sich untereinander, zum
Bewegen ist keine Kraft groß genug, zum Hemmen reicht jede hin." .Und
dennoch wird er nicht müde, von früh bis spät auf die Jagd nach Neuig¬
keiten aus dieser reiz- und würdelosen Welt zu gehen. Nicht nur, daß über die
Kleinlichkeiten und Scandalosa, von denen die Gesellschaft sich nährte, Buch
geführt wird, in eines Besseren Ermangelung verschmäht der Tagebuchschreiber
nicht, von Geschichtchen Act zu nehmen, die den Stempel der absichtlichen
Lüge an der Stirn tragen und von ihm selbst keinen Augenblick geglaubt
worden sind.

Aber das ist noch nicht das Schlimmste. An mehr wie einer Stelle
offenbaren sich die ungünstigen Wirkungen, welche das Aufgehen in diese
Nichtigkeiten auch auf Varnhagens Charakter und sein politisches Urtheil
ausüben. Verzehrt von dem Drange, aus der Verborgenheit seiner Privat¬
existenz auf die Schaubühne des öffentlichen Lebens zurückzukehren, ist er in


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[0284] niedergelegt hat, betreffen Hofhistörchen, die nur für Leute Interesse haben konnten, welche direct oder indirect der Hofgesellschaft angehörten. Charak¬ teristisch ist schon, daß Varnhagen sich nicht nur um eine Menge Dinge be¬ kümmert, die eigentlich unter seiner Würde sind, sondern daß seine Theil¬ nahme sich auch darauf ausdehnt, was die einzelnen Männer und Frauen zu denselben gesagt haben. Dadurch erhalten zahlreiche der verzeichneten Vorgänge, welche sich allenfalls unter den Gesichtspunkt der historischen Anekdote stellen ließen, einen widrigen Beigeschmack von Klatsch und „00m- MrgAs". Vollends ekelhaft wird die Sache, wenn es sich dabei um Dinge handelt, welche mit der Politik, ja mit der bloßen Tagesgeschichte nichts mehr zu thun haben, sondern sich lediglich um Privatangelegenheiten von Fürsten und Ministern drehen. Unter diese Rubrik gehören vor Allem die zahlreichen zudringlichen Details über Friedrich Wilhelms III. morganatische Heirath mit der Fürstin Liegnitz. Mit wahrhaft cynischer Neugier wird allen Einzel¬ heiten des Verhältnisses zwischen den beiden Gatten nachgegangen und ein Geklätsch über dieselben verführt, wie es unwürdiger und kleinlicher kein Hofschrdnze anheben könnte. Die Inhaltslosigkeit des Lebens der höheren Kreise jener Zeit, die Abwesenheit aller idealer Bestrebungen auf dem staat¬ lichen Gebiet, die gedankenlose Neugier, die immer nur Huiä novi fragt und mit jeder Antwort zufrieden ist, wenn dieselbe nur Conversationsstoff für die nächsten Stunden bietet, — deutlicher können sie sich kaum irgendwo ab¬ spiegeln, als in diesen Tagebuchblättern, in denen ein geistreicher und be¬ deutender Mensch das wiedergibt, was er für das Wichtigste und Wissens¬ würdigste des Tages hält. Varnhagen selbst scheint sich wenigstens zu Zeiten keine Illusionen darüber gemacht zu haben. „Ueberhaupt", heißt es S. 294, „ist Hof und Stadt jetzt von keinerlei durchgreifenden Interessen bewegt, eine völlige Leere, ein gänzlicher Stillstand; alles lähmt sich untereinander, zum Bewegen ist keine Kraft groß genug, zum Hemmen reicht jede hin." .Und dennoch wird er nicht müde, von früh bis spät auf die Jagd nach Neuig¬ keiten aus dieser reiz- und würdelosen Welt zu gehen. Nicht nur, daß über die Kleinlichkeiten und Scandalosa, von denen die Gesellschaft sich nährte, Buch geführt wird, in eines Besseren Ermangelung verschmäht der Tagebuchschreiber nicht, von Geschichtchen Act zu nehmen, die den Stempel der absichtlichen Lüge an der Stirn tragen und von ihm selbst keinen Augenblick geglaubt worden sind. Aber das ist noch nicht das Schlimmste. An mehr wie einer Stelle offenbaren sich die ungünstigen Wirkungen, welche das Aufgehen in diese Nichtigkeiten auch auf Varnhagens Charakter und sein politisches Urtheil ausüben. Verzehrt von dem Drange, aus der Verborgenheit seiner Privat¬ existenz auf die Schaubühne des öffentlichen Lebens zurückzukehren, ist er in

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_120192/284>, abgerufen am 28.09.2024.