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Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. I. Band.

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xg>r ig. bonds. Das lustige Prinzeßchen, das gegen Goethe über die ernsten
Reformpläne Filcmgieris scherzte, bezeichnete den Charakter dieses Regiments
ganz gut, wenn sie sagte: "Sehen Sie nur einmal, wie schön Neapel
ist; die Menschen leben hier seit so vielen Jahren sorglos und ver¬
gnügt und wenn von Zeit zu Zeit einmal einer gehängt wird, so geht
alles Uebrige seinen herrlichen Gang." Heute nun sieht Alles ernst-
hafter aus. Der Staat verlangt, wie in Preußen, zunächst viele Sol¬
daten und viele Steuern, und der Neapolitaner ist ein schlechter Soldat und
ein noch schlechterer Steuerzahler. Ein schlechter Soldat im Frieden nämlich,
was denn auch sür den Krieg seine bedenklichen Folgen haben mag. Das
Einerlei des Dienstes ist ihm fürchterlich; auch der Officier quittirt gern
nach dem Kriege, daher die Armee an tüchtigen Officieren so großen Mangel
hat. Der Adel kommt hier der Regierung in keiner Weise entgegen, ent¬
zieht sich vielmehr dem Dienste am Staate, wie er kann, und des Königs
Officiere gelten in seinen Gesellschaften nicht. Das ist ein übles Beispiel.
Dann die mißlichen Angelegenheiten des Steuerzahlers. Die Kraft seines
eigenen hohen Rechtes zu fordern darf hier der Staat nur in sehr beschränk¬
tem Maße wagen, er muß auf Schleichwegen an die Beutel der Unterthanen
heranzukommen suchen. Und doch wäre die directe Steuer eine wahre Wohlthat
für die Masse des Volkes, das allerhöchstens bis zur Deckung seines Macca-
ronibedürfnisses arbeitet; sie würde dadurch gelehrt werden, für den Staat zu
arbeiten, wenn sie es für sich nicht thun will. Aber wie gesagt, die Negie¬
rung muß dies Volk sehr subtil anfassen, um die Revolte zu vermeiden; es
will nun einmal lieber täglich frottirt, als quartaliter gestriegelt werden.
Es will vom Staate nichts wissen, nimmt aber die zahllosen Douaniers
wie eine in unvordenklichen Zeiten vom Himmel gefallene Landplage hin.
Muß ihm doch neben den Douanen auch das scheußliche Lotto gelassen wer¬
den, dessen Banken man hier auf jeder Straße sieht, umlungert von traurig
bettelhafter greisen Männern und Jünglingen, abgeschabten Dandy's, Kell¬
nern außer Dienst, lüderlicher Colporteurs. Es würde wahrscheinlich nicht
ohne Gefahr sein, dem Volke diesen tausendarmigen Polypen vom Fleische
zu nehmen.

Die Negierung experimentirr jetzt eben wieder mit drei indirecten Steuern:
dem Stempel, der wenig Opposition findet, der Theatersteuer (10 Procent
der Bruttoeinnahme) die auch nicht sehr angegriffen wird, und der Mahl¬
steuer. Mit dieser ging die Regierung sehr ängstlich vor. Wie arbeitete
der Telegraph, um das Ministerium von der Stimmung in den Provinzen
in Betreff dieser Steuern zu unterrichten! Oppositionelle Blätter eilen, von
Mord und Todtschlag zu erzählen, von wüthenden Müllern begangen, die
ihrerseits das eonsumirende Volk fürchten. Die Regierung ist in einer


xg>r ig. bonds. Das lustige Prinzeßchen, das gegen Goethe über die ernsten
Reformpläne Filcmgieris scherzte, bezeichnete den Charakter dieses Regiments
ganz gut, wenn sie sagte: „Sehen Sie nur einmal, wie schön Neapel
ist; die Menschen leben hier seit so vielen Jahren sorglos und ver¬
gnügt und wenn von Zeit zu Zeit einmal einer gehängt wird, so geht
alles Uebrige seinen herrlichen Gang." Heute nun sieht Alles ernst-
hafter aus. Der Staat verlangt, wie in Preußen, zunächst viele Sol¬
daten und viele Steuern, und der Neapolitaner ist ein schlechter Soldat und
ein noch schlechterer Steuerzahler. Ein schlechter Soldat im Frieden nämlich,
was denn auch sür den Krieg seine bedenklichen Folgen haben mag. Das
Einerlei des Dienstes ist ihm fürchterlich; auch der Officier quittirt gern
nach dem Kriege, daher die Armee an tüchtigen Officieren so großen Mangel
hat. Der Adel kommt hier der Regierung in keiner Weise entgegen, ent¬
zieht sich vielmehr dem Dienste am Staate, wie er kann, und des Königs
Officiere gelten in seinen Gesellschaften nicht. Das ist ein übles Beispiel.
Dann die mißlichen Angelegenheiten des Steuerzahlers. Die Kraft seines
eigenen hohen Rechtes zu fordern darf hier der Staat nur in sehr beschränk¬
tem Maße wagen, er muß auf Schleichwegen an die Beutel der Unterthanen
heranzukommen suchen. Und doch wäre die directe Steuer eine wahre Wohlthat
für die Masse des Volkes, das allerhöchstens bis zur Deckung seines Macca-
ronibedürfnisses arbeitet; sie würde dadurch gelehrt werden, für den Staat zu
arbeiten, wenn sie es für sich nicht thun will. Aber wie gesagt, die Negie¬
rung muß dies Volk sehr subtil anfassen, um die Revolte zu vermeiden; es
will nun einmal lieber täglich frottirt, als quartaliter gestriegelt werden.
Es will vom Staate nichts wissen, nimmt aber die zahllosen Douaniers
wie eine in unvordenklichen Zeiten vom Himmel gefallene Landplage hin.
Muß ihm doch neben den Douanen auch das scheußliche Lotto gelassen wer¬
den, dessen Banken man hier auf jeder Straße sieht, umlungert von traurig
bettelhafter greisen Männern und Jünglingen, abgeschabten Dandy's, Kell¬
nern außer Dienst, lüderlicher Colporteurs. Es würde wahrscheinlich nicht
ohne Gefahr sein, dem Volke diesen tausendarmigen Polypen vom Fleische
zu nehmen.

Die Negierung experimentirr jetzt eben wieder mit drei indirecten Steuern:
dem Stempel, der wenig Opposition findet, der Theatersteuer (10 Procent
der Bruttoeinnahme) die auch nicht sehr angegriffen wird, und der Mahl¬
steuer. Mit dieser ging die Regierung sehr ängstlich vor. Wie arbeitete
der Telegraph, um das Ministerium von der Stimmung in den Provinzen
in Betreff dieser Steuern zu unterrichten! Oppositionelle Blätter eilen, von
Mord und Todtschlag zu erzählen, von wüthenden Müllern begangen, die
ihrerseits das eonsumirende Volk fürchten. Die Regierung ist in einer


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_120192/280>, abgerufen am 28.09.2024.