Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

ling von halbwegs schüchterner Gemüthsart sofort in die tiefste Be.
schämung hinüberschlägt, ein Herabbieten überhaupt nur versucht zu haben.
Aber hält er Stand, so wird er jetzt die herrlichsten Reden hören über die
vortreffliche Carrozza (in die kein deutscher Landpfarrer mehr steigen würde),
das unvergleichliche Cavallo (das er längst auf allen vier Extremitäten hat
brennen lassen), die glühende Hitze (die ihm persönlich um die Hälfte zu ge¬
ring ist) und die fünf Ragazzi zu Hause (die einstweilen nur Jdealschöpfun-
gen selner Phantasie sind). Die lebhaften Geberden, mit denen er diese Er¬
güsse begleitet, kann man ohne inneres Vergnügen nicht sehen. Und wie er
sogleich gegen stillschweigendes Halbpart unter seinen Gesellen, die Gott weiß
woher plötzlich erschienen sind, Unterstützung findet! Gegen die Fremden
hält diese Menschenart in anerkennenswerthester Weise zusammen. Hat er
seinen Kutscher etwa gar zu sehr herabgeboten, so wird er erleben, daß dieser
ihm bald nach der Bezahlung plötzlich ein falsches Frankstück präsentirt, das
er von ihm erhalten haben will; besaß er es nicht selbst, so hat ihn ein guter
Freund schnell damit versehen. Verspeist der Fremde Austern am Meeres¬
strande, so kann er, wenn er in seinem Genuß nicht gar zu schwer vertieft
ist, wahrnehmen, wie ein unberufener Dritter die Anzahl der Schalen, die
er geleert hat und nach welcher die Bezahlung berechnet wird, mit großer
Virtuosität unter der Hand zu vermehren weiß. Natürlich wird ihm
dieser Dienst von dem Verkäufer, der ihn nicht selbst verrichten kann, weil
er die Austern öffnen muß. angemessen vergolten. Aber nach wenigen Wo¬
chen schon wird man dem Volke bekannt und genießt halbes Heimathsrecht,
die Anforderungen mäßigen sich, und alle jene liebenswürdigen kleinen
Gaunereien treten wenigstens respectsvoller aus. Der Fremdling kann nun
auch mit Muße dies und das betrachten, ohne sofort von zwanzig Seiten
alle erdenklichen Waaren und Dienstleistungen angeboten zu bekommen oder
einfach angebettelt zu werden. Zu Anfang ist das ganz unmöglich. Was
man ansieht, wird angeboten, und der Lazzarone würde es durchaus begreif¬
lich und in der Ordnung finden, wenn man in die linke Rocktasche seine
klebrigen Pinienapfel, in die rechte einige Seepolypen und Aale steckte und
in den Händen seine seinstachlichten Cactusfeigen nach Hause trüge. Aber
wie gesagt, nach einigen Wochen begrüßt man sich wie Landsleute thun
und weiß, was man von einander erwarten darf.

Man müßte der Philister seiner eigenen Nationalität sein, wenn man
diesem munteren und leichtlebigen Volke nicht gut sein wollte. Und mit
diesem einfachen Gefühle der Zuneigung könnte man füglich alle weiteren
politischen und socialen Fragen auf sich beruhen lassen, mit dem Volke leben
und genießen und das Morgen dem Herrgott befehlen. Aber nun kommt
denn doch deutsche Gewissenhaftigkeit und Pedanterie und stellt ihre Fragen.


ling von halbwegs schüchterner Gemüthsart sofort in die tiefste Be.
schämung hinüberschlägt, ein Herabbieten überhaupt nur versucht zu haben.
Aber hält er Stand, so wird er jetzt die herrlichsten Reden hören über die
vortreffliche Carrozza (in die kein deutscher Landpfarrer mehr steigen würde),
das unvergleichliche Cavallo (das er längst auf allen vier Extremitäten hat
brennen lassen), die glühende Hitze (die ihm persönlich um die Hälfte zu ge¬
ring ist) und die fünf Ragazzi zu Hause (die einstweilen nur Jdealschöpfun-
gen selner Phantasie sind). Die lebhaften Geberden, mit denen er diese Er¬
güsse begleitet, kann man ohne inneres Vergnügen nicht sehen. Und wie er
sogleich gegen stillschweigendes Halbpart unter seinen Gesellen, die Gott weiß
woher plötzlich erschienen sind, Unterstützung findet! Gegen die Fremden
hält diese Menschenart in anerkennenswerthester Weise zusammen. Hat er
seinen Kutscher etwa gar zu sehr herabgeboten, so wird er erleben, daß dieser
ihm bald nach der Bezahlung plötzlich ein falsches Frankstück präsentirt, das
er von ihm erhalten haben will; besaß er es nicht selbst, so hat ihn ein guter
Freund schnell damit versehen. Verspeist der Fremde Austern am Meeres¬
strande, so kann er, wenn er in seinem Genuß nicht gar zu schwer vertieft
ist, wahrnehmen, wie ein unberufener Dritter die Anzahl der Schalen, die
er geleert hat und nach welcher die Bezahlung berechnet wird, mit großer
Virtuosität unter der Hand zu vermehren weiß. Natürlich wird ihm
dieser Dienst von dem Verkäufer, der ihn nicht selbst verrichten kann, weil
er die Austern öffnen muß. angemessen vergolten. Aber nach wenigen Wo¬
chen schon wird man dem Volke bekannt und genießt halbes Heimathsrecht,
die Anforderungen mäßigen sich, und alle jene liebenswürdigen kleinen
Gaunereien treten wenigstens respectsvoller aus. Der Fremdling kann nun
auch mit Muße dies und das betrachten, ohne sofort von zwanzig Seiten
alle erdenklichen Waaren und Dienstleistungen angeboten zu bekommen oder
einfach angebettelt zu werden. Zu Anfang ist das ganz unmöglich. Was
man ansieht, wird angeboten, und der Lazzarone würde es durchaus begreif¬
lich und in der Ordnung finden, wenn man in die linke Rocktasche seine
klebrigen Pinienapfel, in die rechte einige Seepolypen und Aale steckte und
in den Händen seine seinstachlichten Cactusfeigen nach Hause trüge. Aber
wie gesagt, nach einigen Wochen begrüßt man sich wie Landsleute thun
und weiß, was man von einander erwarten darf.

Man müßte der Philister seiner eigenen Nationalität sein, wenn man
diesem munteren und leichtlebigen Volke nicht gut sein wollte. Und mit
diesem einfachen Gefühle der Zuneigung könnte man füglich alle weiteren
politischen und socialen Fragen auf sich beruhen lassen, mit dem Volke leben
und genießen und das Morgen dem Herrgott befehlen. Aber nun kommt
denn doch deutsche Gewissenhaftigkeit und Pedanterie und stellt ihre Fragen.


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0278" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/120467"/>
          <p xml:id="ID_793" prev="#ID_792"> ling von halbwegs schüchterner Gemüthsart sofort in die tiefste Be.<lb/>
schämung hinüberschlägt, ein Herabbieten überhaupt nur versucht zu haben.<lb/>
Aber hält er Stand, so wird er jetzt die herrlichsten Reden hören über die<lb/>
vortreffliche Carrozza (in die kein deutscher Landpfarrer mehr steigen würde),<lb/>
das unvergleichliche Cavallo (das er längst auf allen vier Extremitäten hat<lb/>
brennen lassen), die glühende Hitze (die ihm persönlich um die Hälfte zu ge¬<lb/>
ring ist) und die fünf Ragazzi zu Hause (die einstweilen nur Jdealschöpfun-<lb/>
gen selner Phantasie sind). Die lebhaften Geberden, mit denen er diese Er¬<lb/>
güsse begleitet, kann man ohne inneres Vergnügen nicht sehen. Und wie er<lb/>
sogleich gegen stillschweigendes Halbpart unter seinen Gesellen, die Gott weiß<lb/>
woher plötzlich erschienen sind, Unterstützung findet! Gegen die Fremden<lb/>
hält diese Menschenart in anerkennenswerthester Weise zusammen. Hat er<lb/>
seinen Kutscher etwa gar zu sehr herabgeboten, so wird er erleben, daß dieser<lb/>
ihm bald nach der Bezahlung plötzlich ein falsches Frankstück präsentirt, das<lb/>
er von ihm erhalten haben will; besaß er es nicht selbst, so hat ihn ein guter<lb/>
Freund schnell damit versehen. Verspeist der Fremde Austern am Meeres¬<lb/>
strande, so kann er, wenn er in seinem Genuß nicht gar zu schwer vertieft<lb/>
ist, wahrnehmen, wie ein unberufener Dritter die Anzahl der Schalen, die<lb/>
er geleert hat und nach welcher die Bezahlung berechnet wird, mit großer<lb/>
Virtuosität unter der Hand zu vermehren weiß. Natürlich wird ihm<lb/>
dieser Dienst von dem Verkäufer, der ihn nicht selbst verrichten kann, weil<lb/>
er die Austern öffnen muß. angemessen vergolten. Aber nach wenigen Wo¬<lb/>
chen schon wird man dem Volke bekannt und genießt halbes Heimathsrecht,<lb/>
die Anforderungen mäßigen sich, und alle jene liebenswürdigen kleinen<lb/>
Gaunereien treten wenigstens respectsvoller aus. Der Fremdling kann nun<lb/>
auch mit Muße dies und das betrachten, ohne sofort von zwanzig Seiten<lb/>
alle erdenklichen Waaren und Dienstleistungen angeboten zu bekommen oder<lb/>
einfach angebettelt zu werden. Zu Anfang ist das ganz unmöglich. Was<lb/>
man ansieht, wird angeboten, und der Lazzarone würde es durchaus begreif¬<lb/>
lich und in der Ordnung finden, wenn man in die linke Rocktasche seine<lb/>
klebrigen Pinienapfel, in die rechte einige Seepolypen und Aale steckte und<lb/>
in den Händen seine seinstachlichten Cactusfeigen nach Hause trüge. Aber<lb/>
wie gesagt, nach einigen Wochen begrüßt man sich wie Landsleute thun<lb/>
und weiß, was man von einander erwarten darf.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_794" next="#ID_795"> Man müßte der Philister seiner eigenen Nationalität sein, wenn man<lb/>
diesem munteren und leichtlebigen Volke nicht gut sein wollte. Und mit<lb/>
diesem einfachen Gefühle der Zuneigung könnte man füglich alle weiteren<lb/>
politischen und socialen Fragen auf sich beruhen lassen, mit dem Volke leben<lb/>
und genießen und das Morgen dem Herrgott befehlen. Aber nun kommt<lb/>
denn doch deutsche Gewissenhaftigkeit und Pedanterie und stellt ihre Fragen.</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0278] ling von halbwegs schüchterner Gemüthsart sofort in die tiefste Be. schämung hinüberschlägt, ein Herabbieten überhaupt nur versucht zu haben. Aber hält er Stand, so wird er jetzt die herrlichsten Reden hören über die vortreffliche Carrozza (in die kein deutscher Landpfarrer mehr steigen würde), das unvergleichliche Cavallo (das er längst auf allen vier Extremitäten hat brennen lassen), die glühende Hitze (die ihm persönlich um die Hälfte zu ge¬ ring ist) und die fünf Ragazzi zu Hause (die einstweilen nur Jdealschöpfun- gen selner Phantasie sind). Die lebhaften Geberden, mit denen er diese Er¬ güsse begleitet, kann man ohne inneres Vergnügen nicht sehen. Und wie er sogleich gegen stillschweigendes Halbpart unter seinen Gesellen, die Gott weiß woher plötzlich erschienen sind, Unterstützung findet! Gegen die Fremden hält diese Menschenart in anerkennenswerthester Weise zusammen. Hat er seinen Kutscher etwa gar zu sehr herabgeboten, so wird er erleben, daß dieser ihm bald nach der Bezahlung plötzlich ein falsches Frankstück präsentirt, das er von ihm erhalten haben will; besaß er es nicht selbst, so hat ihn ein guter Freund schnell damit versehen. Verspeist der Fremde Austern am Meeres¬ strande, so kann er, wenn er in seinem Genuß nicht gar zu schwer vertieft ist, wahrnehmen, wie ein unberufener Dritter die Anzahl der Schalen, die er geleert hat und nach welcher die Bezahlung berechnet wird, mit großer Virtuosität unter der Hand zu vermehren weiß. Natürlich wird ihm dieser Dienst von dem Verkäufer, der ihn nicht selbst verrichten kann, weil er die Austern öffnen muß. angemessen vergolten. Aber nach wenigen Wo¬ chen schon wird man dem Volke bekannt und genießt halbes Heimathsrecht, die Anforderungen mäßigen sich, und alle jene liebenswürdigen kleinen Gaunereien treten wenigstens respectsvoller aus. Der Fremdling kann nun auch mit Muße dies und das betrachten, ohne sofort von zwanzig Seiten alle erdenklichen Waaren und Dienstleistungen angeboten zu bekommen oder einfach angebettelt zu werden. Zu Anfang ist das ganz unmöglich. Was man ansieht, wird angeboten, und der Lazzarone würde es durchaus begreif¬ lich und in der Ordnung finden, wenn man in die linke Rocktasche seine klebrigen Pinienapfel, in die rechte einige Seepolypen und Aale steckte und in den Händen seine seinstachlichten Cactusfeigen nach Hause trüge. Aber wie gesagt, nach einigen Wochen begrüßt man sich wie Landsleute thun und weiß, was man von einander erwarten darf. Man müßte der Philister seiner eigenen Nationalität sein, wenn man diesem munteren und leichtlebigen Volke nicht gut sein wollte. Und mit diesem einfachen Gefühle der Zuneigung könnte man füglich alle weiteren politischen und socialen Fragen auf sich beruhen lassen, mit dem Volke leben und genießen und das Morgen dem Herrgott befehlen. Aber nun kommt denn doch deutsche Gewissenhaftigkeit und Pedanterie und stellt ihre Fragen.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_120192
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_120192/278
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_120192/278>, abgerufen am 28.09.2024.