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Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. I. Band.

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wie die genannten Münchener Forscher, die ausgezeichneten frankfurter Aerzte
Spieß und Varrentrapp, die Baumeister Hobrecht in Stettin und Lindley in
Hamburg, oder auch die unlängst entstandenen Localvereine für öffentliche
Gesundheitspflege in Bremen und Zürich sich dazu zweckmäßig vereinigen
wollten. Ihrem Ausruf würden Hunderte aus allen Theilen Deutschlands
mit Freuden folgen und ein unabsehbar segensreicher, von Jahr zu Jahr
sich steigernder Einfluß auf die Gesundheitsverhältnisse unserer Städte die
sichere Wirkung sein.

Nur um so früher würden wir voraussichtlich dann auch eine zweite
nothwendige Schöpfung auf diesem Gebiet erhalten: ein allgemein deut¬
sches Gesundheitsamt in Berlin. In England besteht die betreffende
Behörde nun schon seit einem vollen Jahrzehnt und ihre beiden letzten
Jahresberichte, die für 1866 und 1867, müssen dem Zweifelsüchtigsten bewie¬
sen haben, welch' hohen Werth ihr Dasein und Wirken für den öffentlichen
Gesundheitszustand des Landes besitzt. Stadtbaurath Hobrecht zu Stettin
hat in einer kleinen diesen Gegenstand behandelnden Schrift die Tabelle der
vierundzwanzig britischen Städte abgedruckt, in welcher John Simon, der
oberste Gesundheitsbeamte des geheimen Raths in London, mit den frap¬
pantesten Ziffern anschaulich macht, wie unter dem Einfluß von Wasserleitung.
Canalisirung, Drainagen und andern ähnlichen Gesundheitsverbesserungsanlagen
die allgemeine Sterblichkeit sowohl als die besondere aus Typhus, Cholera,
Diarrhöe, Tuberculose:c. gesunken ist. Die Anregung so ersprießlicher städ¬
tischer Unternehmungen ist ein hauptsächlicher Ausfluß der Thätigkeit des
londoner Gesundheitsamts. Ihm steht gesetzlich das Recht zu, allenthalben,
wo die Sterblichkeitsziffer über ein gewisses durchgehendes Verhältniß steigt,
auf Einsetzung eines örtlichen Gesundheitsamts zu dringen, dem dann wie¬
derum durch Parlamentsacte gewisse Besteuerungs- und Ausführungsrechte
zustehen. Die Gesetze, welche hierzu ermächtigen, sind in England bereits
zu einem starken Coder angeschwollen. In Deutschland haben wir noch so gut
wie Nichts dergleichen, obgleich Herr v. Muster in Berlin neben Cultus und
Unterricht dem Namen nach auch die Medicinalangelegenheiten verwaltet.
Ein deutsches, zunächst norddeutsches Gesundheitsamt würde ihm (oder seinem
Nachfolger) nur abnehmen, was nie benutzt worden ist, wenn es zu gesund¬
heitsfördernden Gesetzgebungen Stoff sammelte und Entwürfe ausarbeitete.

Das englische Gesundheitsamt begnügt sich aber nicht damit, aus den
Ergebnissen der Wissenschaft Forderungen an die communale Verwaltung zu
stellen und diesen geeigneten Orts eine unmittelbar eindringende Spitze zu
verleihen. Es gestattet sich auch, der Forschung umgekehrt große brennende
Fragen der Praxis mit der Bitte um baldige Antwort vorzulegen. Es hat
Geldmittel in der Hand, um durch tüchtige Aerzte oder Naturforscher solche


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wie die genannten Münchener Forscher, die ausgezeichneten frankfurter Aerzte
Spieß und Varrentrapp, die Baumeister Hobrecht in Stettin und Lindley in
Hamburg, oder auch die unlängst entstandenen Localvereine für öffentliche
Gesundheitspflege in Bremen und Zürich sich dazu zweckmäßig vereinigen
wollten. Ihrem Ausruf würden Hunderte aus allen Theilen Deutschlands
mit Freuden folgen und ein unabsehbar segensreicher, von Jahr zu Jahr
sich steigernder Einfluß auf die Gesundheitsverhältnisse unserer Städte die
sichere Wirkung sein.

Nur um so früher würden wir voraussichtlich dann auch eine zweite
nothwendige Schöpfung auf diesem Gebiet erhalten: ein allgemein deut¬
sches Gesundheitsamt in Berlin. In England besteht die betreffende
Behörde nun schon seit einem vollen Jahrzehnt und ihre beiden letzten
Jahresberichte, die für 1866 und 1867, müssen dem Zweifelsüchtigsten bewie¬
sen haben, welch' hohen Werth ihr Dasein und Wirken für den öffentlichen
Gesundheitszustand des Landes besitzt. Stadtbaurath Hobrecht zu Stettin
hat in einer kleinen diesen Gegenstand behandelnden Schrift die Tabelle der
vierundzwanzig britischen Städte abgedruckt, in welcher John Simon, der
oberste Gesundheitsbeamte des geheimen Raths in London, mit den frap¬
pantesten Ziffern anschaulich macht, wie unter dem Einfluß von Wasserleitung.
Canalisirung, Drainagen und andern ähnlichen Gesundheitsverbesserungsanlagen
die allgemeine Sterblichkeit sowohl als die besondere aus Typhus, Cholera,
Diarrhöe, Tuberculose:c. gesunken ist. Die Anregung so ersprießlicher städ¬
tischer Unternehmungen ist ein hauptsächlicher Ausfluß der Thätigkeit des
londoner Gesundheitsamts. Ihm steht gesetzlich das Recht zu, allenthalben,
wo die Sterblichkeitsziffer über ein gewisses durchgehendes Verhältniß steigt,
auf Einsetzung eines örtlichen Gesundheitsamts zu dringen, dem dann wie¬
derum durch Parlamentsacte gewisse Besteuerungs- und Ausführungsrechte
zustehen. Die Gesetze, welche hierzu ermächtigen, sind in England bereits
zu einem starken Coder angeschwollen. In Deutschland haben wir noch so gut
wie Nichts dergleichen, obgleich Herr v. Muster in Berlin neben Cultus und
Unterricht dem Namen nach auch die Medicinalangelegenheiten verwaltet.
Ein deutsches, zunächst norddeutsches Gesundheitsamt würde ihm (oder seinem
Nachfolger) nur abnehmen, was nie benutzt worden ist, wenn es zu gesund¬
heitsfördernden Gesetzgebungen Stoff sammelte und Entwürfe ausarbeitete.

Das englische Gesundheitsamt begnügt sich aber nicht damit, aus den
Ergebnissen der Wissenschaft Forderungen an die communale Verwaltung zu
stellen und diesen geeigneten Orts eine unmittelbar eindringende Spitze zu
verleihen. Es gestattet sich auch, der Forschung umgekehrt große brennende
Fragen der Praxis mit der Bitte um baldige Antwort vorzulegen. Es hat
Geldmittel in der Hand, um durch tüchtige Aerzte oder Naturforscher solche


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_120192/27>, abgerufen am 28.09.2024.