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Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. I. Band.

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Wir stiegen durch einen Laerymä-Christi-Weinberg, der halb zugedeckt
war, an der Seite der Lava hinauf; bis auf zwei Schritt war sie dem
Weinbergshause nahe gekommen und thürmte sich neben ihm in gleicher Höhe
auf. Auf den Balken des Häuschens war in der Eile irgend ein hölzerner
Heiliger gestellt worden, der seine Hand gegen den Strom emporhielt. Ein
heiliger Januarius und eine Mutter Gottes waren an die Pfosten gebunden.
Nun, dies Haus war denn auch verschont geblieben, der Strom hatte auch
nicht mehr die Gluth ausgehaucht, die es von Außen hätte beschädigen
können; aber rechts unter der unheimlichen Masse lag doch eine große An¬
zahl von Häusern, natürlich für immer, begraben. Die Menschen hatten
zum Glück Zeit gehabt zu flüchten.

Nicht weit über dem Hause forderte uns der Führer auf, die Lava
selbst zu besteigen und es konnte dies ohne alle Gefahr geschehen, obgleich
man die Wärme der Schlacke durch die Sohlen spürte. Mit großer Mühe
kletterten wir unter Begleitung der Damen etwa 60 Schritt hinaus und
übersahen nun die ganze Breite des verwüstenden Stroms. Er war eben
aus einer neuen Oeffnung herausgekommen, war dann neben der Eremitage
(auf der mittleren Höhe) vorbeigestürzt und hatte sich, in einer Breite von
180 Metern, auf Portici zugewandt und auf diesem Wege einen Theil der
Gemeinde Novelle verschüttet. Indem uns der Führer mit italienischer
Lebendigkeit den Vorgang beschrieb, ahmte er für das Herabstürzen der glühen¬
den Fluth die Galoppbewegungen eines Pferdes nach, und für den Ton
eine brummende Orgelpfeife. Den Geruch prüften wir selbst als eine Mischung
von Apotheke und Brandstätte. Wir gingen an einen der natürlichen schiste
heran, aus denen es noch rauchte und die sich mit schwefligen und salzigem
Niederschlage gekränzt hatten. Der Führer legte einige Reben hinein und
sofort schlug die Lohe heraus. Er versicherte uns, daß man nach Is Monaten
noch an diesen Stellen Maccaroni kochen könne. -- Unter großen Beschwerden
krochen wir über die scharfe Schlacke wieder herab, gingen durch die Wein¬
berge, die auf einer alten Lava kostbaren Wein erzeugen, zurück und suchten
unseren Wagen, um nach Hereulanum zu fahren.




Pompeji mit seinen Häusern, Theatern und Gräbern, die Antiken, die
Kirchen, in den Kirchen die Langeweile oder die Lüsternheit, und dann und
wann Theater -- das gibt eine bunte Mosaik im Tagebuche. Aber die
allerbuntesten Farben fehlen noch, und der Fremde, der mit dem besondern
Zwecke hierherkommt, zu sehen und zu genießen, lebt kaum anders und ver¬
wirrter als der Einheimische -- nur daß dieser lediglich nach dem hascht,
was gar keine Gedanken macht.


Wir stiegen durch einen Laerymä-Christi-Weinberg, der halb zugedeckt
war, an der Seite der Lava hinauf; bis auf zwei Schritt war sie dem
Weinbergshause nahe gekommen und thürmte sich neben ihm in gleicher Höhe
auf. Auf den Balken des Häuschens war in der Eile irgend ein hölzerner
Heiliger gestellt worden, der seine Hand gegen den Strom emporhielt. Ein
heiliger Januarius und eine Mutter Gottes waren an die Pfosten gebunden.
Nun, dies Haus war denn auch verschont geblieben, der Strom hatte auch
nicht mehr die Gluth ausgehaucht, die es von Außen hätte beschädigen
können; aber rechts unter der unheimlichen Masse lag doch eine große An¬
zahl von Häusern, natürlich für immer, begraben. Die Menschen hatten
zum Glück Zeit gehabt zu flüchten.

Nicht weit über dem Hause forderte uns der Führer auf, die Lava
selbst zu besteigen und es konnte dies ohne alle Gefahr geschehen, obgleich
man die Wärme der Schlacke durch die Sohlen spürte. Mit großer Mühe
kletterten wir unter Begleitung der Damen etwa 60 Schritt hinaus und
übersahen nun die ganze Breite des verwüstenden Stroms. Er war eben
aus einer neuen Oeffnung herausgekommen, war dann neben der Eremitage
(auf der mittleren Höhe) vorbeigestürzt und hatte sich, in einer Breite von
180 Metern, auf Portici zugewandt und auf diesem Wege einen Theil der
Gemeinde Novelle verschüttet. Indem uns der Führer mit italienischer
Lebendigkeit den Vorgang beschrieb, ahmte er für das Herabstürzen der glühen¬
den Fluth die Galoppbewegungen eines Pferdes nach, und für den Ton
eine brummende Orgelpfeife. Den Geruch prüften wir selbst als eine Mischung
von Apotheke und Brandstätte. Wir gingen an einen der natürlichen schiste
heran, aus denen es noch rauchte und die sich mit schwefligen und salzigem
Niederschlage gekränzt hatten. Der Führer legte einige Reben hinein und
sofort schlug die Lohe heraus. Er versicherte uns, daß man nach Is Monaten
noch an diesen Stellen Maccaroni kochen könne. — Unter großen Beschwerden
krochen wir über die scharfe Schlacke wieder herab, gingen durch die Wein¬
berge, die auf einer alten Lava kostbaren Wein erzeugen, zurück und suchten
unseren Wagen, um nach Hereulanum zu fahren.




Pompeji mit seinen Häusern, Theatern und Gräbern, die Antiken, die
Kirchen, in den Kirchen die Langeweile oder die Lüsternheit, und dann und
wann Theater — das gibt eine bunte Mosaik im Tagebuche. Aber die
allerbuntesten Farben fehlen noch, und der Fremde, der mit dem besondern
Zwecke hierherkommt, zu sehen und zu genießen, lebt kaum anders und ver¬
wirrter als der Einheimische — nur daß dieser lediglich nach dem hascht,
was gar keine Gedanken macht.


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[0268] Wir stiegen durch einen Laerymä-Christi-Weinberg, der halb zugedeckt war, an der Seite der Lava hinauf; bis auf zwei Schritt war sie dem Weinbergshause nahe gekommen und thürmte sich neben ihm in gleicher Höhe auf. Auf den Balken des Häuschens war in der Eile irgend ein hölzerner Heiliger gestellt worden, der seine Hand gegen den Strom emporhielt. Ein heiliger Januarius und eine Mutter Gottes waren an die Pfosten gebunden. Nun, dies Haus war denn auch verschont geblieben, der Strom hatte auch nicht mehr die Gluth ausgehaucht, die es von Außen hätte beschädigen können; aber rechts unter der unheimlichen Masse lag doch eine große An¬ zahl von Häusern, natürlich für immer, begraben. Die Menschen hatten zum Glück Zeit gehabt zu flüchten. Nicht weit über dem Hause forderte uns der Führer auf, die Lava selbst zu besteigen und es konnte dies ohne alle Gefahr geschehen, obgleich man die Wärme der Schlacke durch die Sohlen spürte. Mit großer Mühe kletterten wir unter Begleitung der Damen etwa 60 Schritt hinaus und übersahen nun die ganze Breite des verwüstenden Stroms. Er war eben aus einer neuen Oeffnung herausgekommen, war dann neben der Eremitage (auf der mittleren Höhe) vorbeigestürzt und hatte sich, in einer Breite von 180 Metern, auf Portici zugewandt und auf diesem Wege einen Theil der Gemeinde Novelle verschüttet. Indem uns der Führer mit italienischer Lebendigkeit den Vorgang beschrieb, ahmte er für das Herabstürzen der glühen¬ den Fluth die Galoppbewegungen eines Pferdes nach, und für den Ton eine brummende Orgelpfeife. Den Geruch prüften wir selbst als eine Mischung von Apotheke und Brandstätte. Wir gingen an einen der natürlichen schiste heran, aus denen es noch rauchte und die sich mit schwefligen und salzigem Niederschlage gekränzt hatten. Der Führer legte einige Reben hinein und sofort schlug die Lohe heraus. Er versicherte uns, daß man nach Is Monaten noch an diesen Stellen Maccaroni kochen könne. — Unter großen Beschwerden krochen wir über die scharfe Schlacke wieder herab, gingen durch die Wein¬ berge, die auf einer alten Lava kostbaren Wein erzeugen, zurück und suchten unseren Wagen, um nach Hereulanum zu fahren. Pompeji mit seinen Häusern, Theatern und Gräbern, die Antiken, die Kirchen, in den Kirchen die Langeweile oder die Lüsternheit, und dann und wann Theater — das gibt eine bunte Mosaik im Tagebuche. Aber die allerbuntesten Farben fehlen noch, und der Fremde, der mit dem besondern Zwecke hierherkommt, zu sehen und zu genießen, lebt kaum anders und ver¬ wirrter als der Einheimische — nur daß dieser lediglich nach dem hascht, was gar keine Gedanken macht.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_120192/268>, abgerufen am 28.09.2024.