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Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. I. Band.

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der curia. Oewvmö erwähnte Gruppe eines Satyrn, <mi oratere alterius fielen
seäat, die von eben demselben Schriftsteller genannte Centaurin, die ihr
Junges säugt, kommen im Zuge des dionysischen Thiasos vor, wie überhaupt
viele Figuren desselben, so namentlich gewisse Typen des Herakles und rasen¬
der Mänaden sich entschieden älteren Motiven anschließen. Und erst jüngst ist
in der Nähe von Athen in einem Grabe, das vermuthlich dem Herodes Attikus
angehörte, ein Sarkophag zum Vorschein gekommen, dessen Reliefs die be¬
kannte venetianische Gruppe der Leda mit dem Schwan, Statuen der Dios¬
kuren und die berühmte Figur des bogenspannenden Eros auf das Genaueste
wiedergeben.

Aber auch die Malerei hat öfters den Vorwurf geliefert, und dabei
verdient es volle Beachtung, mit wie richtigem Takt meist dieses Uebergreifen
auf fremdes Gebiet bewerkstelligt worden ist. Züge aus der Alexanderschlacht
in Pompei, die offenbar selbst auf eine ältere Malerei zurückgeht, sind in
einem Relief aus Jsernia wiedergefunden. Mit Wahrscheinlichkeit hat man
gewisse Darstellungen der Tödtung des Aegisth und der Klytämnestra auf
ein berühmtes älteres Bild, Darstellungen des Wiedersehens von Jpht-
genie und Orestes auf ein Werk des Timomachos bezogen. Recht schlagend
ist die Nachahmung eines Bildes, welches Polygnot in der Lesche zu Delphi
gemalt hatte: Oknos ein Greis, welcher in der Unterwelt ein Seil flicht, das
ein Esel verzehrt, sodaß er nie mit der Arbeit zu Ende kommt. Dieses letztere
Beispiel dürfte so ziemlich das einzige sein für die Nachahmung eines so alten
Kunstwerks aus Sarkophagen. Gewisse Einzelheiten z. B. bestimmte Trachten,
wie das regelmäßige Kopftuch der Ammen und die offenbar durch die Tra¬
giker, namentlich durch Euripides beeinflußte Form der dargestellten Mythen
lassen auf Originale schließen, die nicht älter als das 4. I. vor Christus sein
können.

Die Bedeutung der Sarkophagdarstellungen für die Kunstgeschichte ist
aber nicht blos eine retrospective. Sie haben, wenn auch bescheiden, Antheil
gehabt an der Wirkung der Antike im Erstehen und Wachsen der neuen
Kunst. Aus den Sarkophagreliefs im Lamxo 8g.illo zu Pisa entnahm Niccola
Pisano die Anregungen für seine Schöpfungen, die eine völlige Umgestaltung
der mittelalterlichen Skulptur bezeichnen. Die Quattrocentisten, namentlich
die Mantuaner, haben wiederholt auf Fresken und Oelbildern Sarkophag-
reliess copirt als Schmuck in der so beliebten architektonischen Staffage. Be¬
kannte und verloren gegangene Reliefs finden wir in den Scizzenbüchern
eines Balthasar Peruzzi, in dem reichen Schatz von Handzeichnungen alter
Maler in den Ufsizien wieder. Selbst Raphael hat es nicht verschmäht,
von so unscheinlichen Denkmälern zu lernen. Die Figur des vom Thron
gestoßenen Aegisth auf einem Sarkophag ist in den Loggien wiederholt; und


der curia. Oewvmö erwähnte Gruppe eines Satyrn, <mi oratere alterius fielen
seäat, die von eben demselben Schriftsteller genannte Centaurin, die ihr
Junges säugt, kommen im Zuge des dionysischen Thiasos vor, wie überhaupt
viele Figuren desselben, so namentlich gewisse Typen des Herakles und rasen¬
der Mänaden sich entschieden älteren Motiven anschließen. Und erst jüngst ist
in der Nähe von Athen in einem Grabe, das vermuthlich dem Herodes Attikus
angehörte, ein Sarkophag zum Vorschein gekommen, dessen Reliefs die be¬
kannte venetianische Gruppe der Leda mit dem Schwan, Statuen der Dios¬
kuren und die berühmte Figur des bogenspannenden Eros auf das Genaueste
wiedergeben.

Aber auch die Malerei hat öfters den Vorwurf geliefert, und dabei
verdient es volle Beachtung, mit wie richtigem Takt meist dieses Uebergreifen
auf fremdes Gebiet bewerkstelligt worden ist. Züge aus der Alexanderschlacht
in Pompei, die offenbar selbst auf eine ältere Malerei zurückgeht, sind in
einem Relief aus Jsernia wiedergefunden. Mit Wahrscheinlichkeit hat man
gewisse Darstellungen der Tödtung des Aegisth und der Klytämnestra auf
ein berühmtes älteres Bild, Darstellungen des Wiedersehens von Jpht-
genie und Orestes auf ein Werk des Timomachos bezogen. Recht schlagend
ist die Nachahmung eines Bildes, welches Polygnot in der Lesche zu Delphi
gemalt hatte: Oknos ein Greis, welcher in der Unterwelt ein Seil flicht, das
ein Esel verzehrt, sodaß er nie mit der Arbeit zu Ende kommt. Dieses letztere
Beispiel dürfte so ziemlich das einzige sein für die Nachahmung eines so alten
Kunstwerks aus Sarkophagen. Gewisse Einzelheiten z. B. bestimmte Trachten,
wie das regelmäßige Kopftuch der Ammen und die offenbar durch die Tra¬
giker, namentlich durch Euripides beeinflußte Form der dargestellten Mythen
lassen auf Originale schließen, die nicht älter als das 4. I. vor Christus sein
können.

Die Bedeutung der Sarkophagdarstellungen für die Kunstgeschichte ist
aber nicht blos eine retrospective. Sie haben, wenn auch bescheiden, Antheil
gehabt an der Wirkung der Antike im Erstehen und Wachsen der neuen
Kunst. Aus den Sarkophagreliefs im Lamxo 8g.illo zu Pisa entnahm Niccola
Pisano die Anregungen für seine Schöpfungen, die eine völlige Umgestaltung
der mittelalterlichen Skulptur bezeichnen. Die Quattrocentisten, namentlich
die Mantuaner, haben wiederholt auf Fresken und Oelbildern Sarkophag-
reliess copirt als Schmuck in der so beliebten architektonischen Staffage. Be¬
kannte und verloren gegangene Reliefs finden wir in den Scizzenbüchern
eines Balthasar Peruzzi, in dem reichen Schatz von Handzeichnungen alter
Maler in den Ufsizien wieder. Selbst Raphael hat es nicht verschmäht,
von so unscheinlichen Denkmälern zu lernen. Die Figur des vom Thron
gestoßenen Aegisth auf einem Sarkophag ist in den Loggien wiederholt; und


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[0266] der curia. Oewvmö erwähnte Gruppe eines Satyrn, <mi oratere alterius fielen seäat, die von eben demselben Schriftsteller genannte Centaurin, die ihr Junges säugt, kommen im Zuge des dionysischen Thiasos vor, wie überhaupt viele Figuren desselben, so namentlich gewisse Typen des Herakles und rasen¬ der Mänaden sich entschieden älteren Motiven anschließen. Und erst jüngst ist in der Nähe von Athen in einem Grabe, das vermuthlich dem Herodes Attikus angehörte, ein Sarkophag zum Vorschein gekommen, dessen Reliefs die be¬ kannte venetianische Gruppe der Leda mit dem Schwan, Statuen der Dios¬ kuren und die berühmte Figur des bogenspannenden Eros auf das Genaueste wiedergeben. Aber auch die Malerei hat öfters den Vorwurf geliefert, und dabei verdient es volle Beachtung, mit wie richtigem Takt meist dieses Uebergreifen auf fremdes Gebiet bewerkstelligt worden ist. Züge aus der Alexanderschlacht in Pompei, die offenbar selbst auf eine ältere Malerei zurückgeht, sind in einem Relief aus Jsernia wiedergefunden. Mit Wahrscheinlichkeit hat man gewisse Darstellungen der Tödtung des Aegisth und der Klytämnestra auf ein berühmtes älteres Bild, Darstellungen des Wiedersehens von Jpht- genie und Orestes auf ein Werk des Timomachos bezogen. Recht schlagend ist die Nachahmung eines Bildes, welches Polygnot in der Lesche zu Delphi gemalt hatte: Oknos ein Greis, welcher in der Unterwelt ein Seil flicht, das ein Esel verzehrt, sodaß er nie mit der Arbeit zu Ende kommt. Dieses letztere Beispiel dürfte so ziemlich das einzige sein für die Nachahmung eines so alten Kunstwerks aus Sarkophagen. Gewisse Einzelheiten z. B. bestimmte Trachten, wie das regelmäßige Kopftuch der Ammen und die offenbar durch die Tra¬ giker, namentlich durch Euripides beeinflußte Form der dargestellten Mythen lassen auf Originale schließen, die nicht älter als das 4. I. vor Christus sein können. Die Bedeutung der Sarkophagdarstellungen für die Kunstgeschichte ist aber nicht blos eine retrospective. Sie haben, wenn auch bescheiden, Antheil gehabt an der Wirkung der Antike im Erstehen und Wachsen der neuen Kunst. Aus den Sarkophagreliefs im Lamxo 8g.illo zu Pisa entnahm Niccola Pisano die Anregungen für seine Schöpfungen, die eine völlige Umgestaltung der mittelalterlichen Skulptur bezeichnen. Die Quattrocentisten, namentlich die Mantuaner, haben wiederholt auf Fresken und Oelbildern Sarkophag- reliess copirt als Schmuck in der so beliebten architektonischen Staffage. Be¬ kannte und verloren gegangene Reliefs finden wir in den Scizzenbüchern eines Balthasar Peruzzi, in dem reichen Schatz von Handzeichnungen alter Maler in den Ufsizien wieder. Selbst Raphael hat es nicht verschmäht, von so unscheinlichen Denkmälern zu lernen. Die Figur des vom Thron gestoßenen Aegisth auf einem Sarkophag ist in den Loggien wiederholt; und

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_120192/266>, abgerufen am 28.09.2024.