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Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. I. Band.

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Krypten oftmals ihre Bestimmung wiedererfüllen, ohne mit dem neuen In¬
halt immer auch eine neue Inschrift erhalten zu haben. Wir begegnen ihnen
nicht selten am Eingang von Kirchen als Behältern für das heilige Wasser,
in der Absiis als Altären, und wundern uns wohl, wenn in der Cathedrale zu
Girgenti aus einem Sarkophage,, der mit der nichts wenig er als heiligen Liebes¬
geschichte des Hippolyt und der Phädra geschmückt ist, noch heutigen Tages
getauft wird; wenn selbst in Se. Peter ein Gleiches noch bis zum Jahre 1693
geschehen konnte. Noch häufiger, namentlich in Rom, sind Sarkophage aus¬
einandergesägt und ihre Reliefs als Friesschmuck an den Facaden von Villen
und Palästen angebracht worden. Zahlreich sind sie auch sonst benützt, in
Höfen und Gärten als Blumenbeete, in Wirthschaften als Laden und Kisten,
in Se. scholastica bei Subiaco im Sabinergebirge sogar als Trog für die Acker¬
thiere. Und auf wie vielen Stadtmärkten, in wie vielen Palasthallen und
Parkanlagen stehen sie da als schmuckreiche Behälter des in sie rauschenden
und aus ihnen strömenden Wassers!

Wenn man an den Gebrauch des Kunstwerks mit Recht mehr als die
Forderung des Praktischen oder des allgemeinen Würdigen stellt und nament¬
lich verlangt, daß er dem künstlerischen Gedanken, der sich in der tectonischen
Form ausdrückt, nicht widerspreche, so kann man unter diesem Gesichts¬
punkte nicht alle der eben angeführten Verwendungen als sinnwidrig bezeich¬
nen. Eine ansehnliche Reihe von Sarkophagreliefs hat wesentliche Verwandt¬
schaft mit sogenannten friesartigen Compositionen und kann daher ohne
große Beeinträchtigung der ursprünglich beabsichtigten Wirkung als Fries
verwandt werden. Wo Sarkophage als Brunnenbehältcr oder überhaupt als
Wasserreservoirs vorkommen, darf man sich des Umstandes erinnern, dessen sich
das Alterthum selbst wohl bewußt war, daß wenigstens bei einer Classe von
Sarkophagen die technische Form aus derjenigen der Badewanne oder des
Trogs hervorgegangen ist. Es sind dies jene Särge von beinahe elliptischer
Gestalt, welche mitunter nicht senkrechte, sondern nach Außen überneigende
Wände haben und-an den Wänden mit Löwenköpfen als Speiern versehen
sind/) Anders gestaltete Exemplare fordern freilich zu einer ganz ver¬
schiedenen Fvrmableitung auf. Zuweilen nämlich liegt oben auf dem Deckel,
der dann gewöhnlich als kunstreich verzierte Matratze charakterisirt ist, halb
aufgerichtet halb gelagert die Gestalt der Todten selbst; und dann ist natur-



*) Aehnlich mag wohl die künstlerische Bedeutung der sonst schwer erklärlichen spiralför¬
migen Canellureu aufzufasse" sei", die sich häufig zur Verzierung der senkrechten Wände ob-
longer Sarkophage angewendet finden. Einen sehr deutlichen Hinweis auf dies Verhältniß
haben uns die Bezeichnungen der Sprache erhalte"! wie in lateinischen Inschriften das Wort
Ir^clrur ohne weiteres für Aschengefäß gebraucht wird, -ri^ir für Kiste und Sarg vorkommt,
so bedeuten die griechischen Namen für Sarkophage ?r^os und ursprünglich Wanne
und Keltertrog.

Krypten oftmals ihre Bestimmung wiedererfüllen, ohne mit dem neuen In¬
halt immer auch eine neue Inschrift erhalten zu haben. Wir begegnen ihnen
nicht selten am Eingang von Kirchen als Behältern für das heilige Wasser,
in der Absiis als Altären, und wundern uns wohl, wenn in der Cathedrale zu
Girgenti aus einem Sarkophage,, der mit der nichts wenig er als heiligen Liebes¬
geschichte des Hippolyt und der Phädra geschmückt ist, noch heutigen Tages
getauft wird; wenn selbst in Se. Peter ein Gleiches noch bis zum Jahre 1693
geschehen konnte. Noch häufiger, namentlich in Rom, sind Sarkophage aus¬
einandergesägt und ihre Reliefs als Friesschmuck an den Facaden von Villen
und Palästen angebracht worden. Zahlreich sind sie auch sonst benützt, in
Höfen und Gärten als Blumenbeete, in Wirthschaften als Laden und Kisten,
in Se. scholastica bei Subiaco im Sabinergebirge sogar als Trog für die Acker¬
thiere. Und auf wie vielen Stadtmärkten, in wie vielen Palasthallen und
Parkanlagen stehen sie da als schmuckreiche Behälter des in sie rauschenden
und aus ihnen strömenden Wassers!

Wenn man an den Gebrauch des Kunstwerks mit Recht mehr als die
Forderung des Praktischen oder des allgemeinen Würdigen stellt und nament¬
lich verlangt, daß er dem künstlerischen Gedanken, der sich in der tectonischen
Form ausdrückt, nicht widerspreche, so kann man unter diesem Gesichts¬
punkte nicht alle der eben angeführten Verwendungen als sinnwidrig bezeich¬
nen. Eine ansehnliche Reihe von Sarkophagreliefs hat wesentliche Verwandt¬
schaft mit sogenannten friesartigen Compositionen und kann daher ohne
große Beeinträchtigung der ursprünglich beabsichtigten Wirkung als Fries
verwandt werden. Wo Sarkophage als Brunnenbehältcr oder überhaupt als
Wasserreservoirs vorkommen, darf man sich des Umstandes erinnern, dessen sich
das Alterthum selbst wohl bewußt war, daß wenigstens bei einer Classe von
Sarkophagen die technische Form aus derjenigen der Badewanne oder des
Trogs hervorgegangen ist. Es sind dies jene Särge von beinahe elliptischer
Gestalt, welche mitunter nicht senkrechte, sondern nach Außen überneigende
Wände haben und-an den Wänden mit Löwenköpfen als Speiern versehen
sind/) Anders gestaltete Exemplare fordern freilich zu einer ganz ver¬
schiedenen Fvrmableitung auf. Zuweilen nämlich liegt oben auf dem Deckel,
der dann gewöhnlich als kunstreich verzierte Matratze charakterisirt ist, halb
aufgerichtet halb gelagert die Gestalt der Todten selbst; und dann ist natur-



*) Aehnlich mag wohl die künstlerische Bedeutung der sonst schwer erklärlichen spiralför¬
migen Canellureu aufzufasse» sei», die sich häufig zur Verzierung der senkrechten Wände ob-
longer Sarkophage angewendet finden. Einen sehr deutlichen Hinweis auf dies Verhältniß
haben uns die Bezeichnungen der Sprache erhalte»! wie in lateinischen Inschriften das Wort
Ir^clrur ohne weiteres für Aschengefäß gebraucht wird, -ri^ir für Kiste und Sarg vorkommt,
so bedeuten die griechischen Namen für Sarkophage ?r^os und ursprünglich Wanne
und Keltertrog.
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[0254] Krypten oftmals ihre Bestimmung wiedererfüllen, ohne mit dem neuen In¬ halt immer auch eine neue Inschrift erhalten zu haben. Wir begegnen ihnen nicht selten am Eingang von Kirchen als Behältern für das heilige Wasser, in der Absiis als Altären, und wundern uns wohl, wenn in der Cathedrale zu Girgenti aus einem Sarkophage,, der mit der nichts wenig er als heiligen Liebes¬ geschichte des Hippolyt und der Phädra geschmückt ist, noch heutigen Tages getauft wird; wenn selbst in Se. Peter ein Gleiches noch bis zum Jahre 1693 geschehen konnte. Noch häufiger, namentlich in Rom, sind Sarkophage aus¬ einandergesägt und ihre Reliefs als Friesschmuck an den Facaden von Villen und Palästen angebracht worden. Zahlreich sind sie auch sonst benützt, in Höfen und Gärten als Blumenbeete, in Wirthschaften als Laden und Kisten, in Se. scholastica bei Subiaco im Sabinergebirge sogar als Trog für die Acker¬ thiere. Und auf wie vielen Stadtmärkten, in wie vielen Palasthallen und Parkanlagen stehen sie da als schmuckreiche Behälter des in sie rauschenden und aus ihnen strömenden Wassers! Wenn man an den Gebrauch des Kunstwerks mit Recht mehr als die Forderung des Praktischen oder des allgemeinen Würdigen stellt und nament¬ lich verlangt, daß er dem künstlerischen Gedanken, der sich in der tectonischen Form ausdrückt, nicht widerspreche, so kann man unter diesem Gesichts¬ punkte nicht alle der eben angeführten Verwendungen als sinnwidrig bezeich¬ nen. Eine ansehnliche Reihe von Sarkophagreliefs hat wesentliche Verwandt¬ schaft mit sogenannten friesartigen Compositionen und kann daher ohne große Beeinträchtigung der ursprünglich beabsichtigten Wirkung als Fries verwandt werden. Wo Sarkophage als Brunnenbehältcr oder überhaupt als Wasserreservoirs vorkommen, darf man sich des Umstandes erinnern, dessen sich das Alterthum selbst wohl bewußt war, daß wenigstens bei einer Classe von Sarkophagen die technische Form aus derjenigen der Badewanne oder des Trogs hervorgegangen ist. Es sind dies jene Särge von beinahe elliptischer Gestalt, welche mitunter nicht senkrechte, sondern nach Außen überneigende Wände haben und-an den Wänden mit Löwenköpfen als Speiern versehen sind/) Anders gestaltete Exemplare fordern freilich zu einer ganz ver¬ schiedenen Fvrmableitung auf. Zuweilen nämlich liegt oben auf dem Deckel, der dann gewöhnlich als kunstreich verzierte Matratze charakterisirt ist, halb aufgerichtet halb gelagert die Gestalt der Todten selbst; und dann ist natur- *) Aehnlich mag wohl die künstlerische Bedeutung der sonst schwer erklärlichen spiralför¬ migen Canellureu aufzufasse» sei», die sich häufig zur Verzierung der senkrechten Wände ob- longer Sarkophage angewendet finden. Einen sehr deutlichen Hinweis auf dies Verhältniß haben uns die Bezeichnungen der Sprache erhalte»! wie in lateinischen Inschriften das Wort Ir^clrur ohne weiteres für Aschengefäß gebraucht wird, -ri^ir für Kiste und Sarg vorkommt, so bedeuten die griechischen Namen für Sarkophage ?r^os und ursprünglich Wanne und Keltertrog.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_120192/254>, abgerufen am 28.09.2024.