Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

der Ansicht, daß bis Smolensk auf dem Rückzüge eigentlich gar
kein genügendes Motiv zu den dort schon so kraß sich offen"
härmten Unordnungen vorhanden gewesen. Bei Pultusk, bei
Ostrolenka und bei Eylau sei es viel kälter gewesen, nur habe man damals
nie einen Unbewaffneten gesehen." Auf dem Rückzüge soll es deren schon
bei Kraßnoy 30--40,000 gegeben haben und Brandt versichert uns, daß
höchstens Veo^Vio derselben wirklich unfähig gewesen sei. die Waffen zu
führen -- alle übrigen waren weggelaufene Vagabunden.

"Daß auch nur ein Franzose der großen Armee entkam, war die Schuld
der Russen --" in diesen Satz faßt unser Autor sein schließliches Urtheil
über jenen Feldzug zusammen, der Napoleons glänzender Laufbahn ein
rasches Ende bereitete. -- Er selbst (das bemerken wir noch zum Schluß)
wurde nur durch ein Wunder gerettet: nachdem sie wochenlang bei der
strengsten Kälte an ihren Krücken nach Westen gehinkt waren, sanken Brandt
und sein Camerad unweit Kowno ohnmächtig in den Schnee, um ihre Rech¬
nung mit der Welt abzuschließen. Während sie sich auf den Tod vorbereiten,
kommt ein polnischer Soldat ihres Regiments zu Schlitten vorübergefahren
und rettet seine halberstarrten Officiere in den nächsten kleinen Ort, wo sie
Truppen ihres Regiments finden. "Wir können nur bei den Unsrigen näch¬
tigen," hatte der rettende Soldat sogleich den beiden Gefährten gesagt --
"unter den Franzosen und Italienern können wir nicht bleiben, die schlagen
uns todt und nehmen uns Pferd und Schlitten."




Literatur.
Aus Sicilien. Cultur- und Geschichtsbilder von Otto Hartwig. Zweiter
Band (Cassel und Göttingen bei Georg H. Wigand) 1869.

Der erste Band dieser Schrift ist seiner Zeit in den Grenzboten so ausführlich
besprochen und beurtheilt worden, daß wir uns bezüglich der Fortsetzung derselben auf
die Angabe des Inhalts beschränken können, durch welche der Verfasser seine früheren an¬
ziehenden Darstellungen bereichert hat. -- An die Spitze des zweiten Bandes sind drei
lebensvoll geschriebenen Bilder aus der sicilianischen Culturgeschichte gestellt: "Ein Auto-
da-fe in Sicilien, im 18. Jahrhundert" (die im Jahre 1724 vollzogene Verbrennung


der Ansicht, daß bis Smolensk auf dem Rückzüge eigentlich gar
kein genügendes Motiv zu den dort schon so kraß sich offen»
härmten Unordnungen vorhanden gewesen. Bei Pultusk, bei
Ostrolenka und bei Eylau sei es viel kälter gewesen, nur habe man damals
nie einen Unbewaffneten gesehen." Auf dem Rückzüge soll es deren schon
bei Kraßnoy 30—40,000 gegeben haben und Brandt versichert uns, daß
höchstens Veo^Vio derselben wirklich unfähig gewesen sei. die Waffen zu
führen — alle übrigen waren weggelaufene Vagabunden.

„Daß auch nur ein Franzose der großen Armee entkam, war die Schuld
der Russen —" in diesen Satz faßt unser Autor sein schließliches Urtheil
über jenen Feldzug zusammen, der Napoleons glänzender Laufbahn ein
rasches Ende bereitete. — Er selbst (das bemerken wir noch zum Schluß)
wurde nur durch ein Wunder gerettet: nachdem sie wochenlang bei der
strengsten Kälte an ihren Krücken nach Westen gehinkt waren, sanken Brandt
und sein Camerad unweit Kowno ohnmächtig in den Schnee, um ihre Rech¬
nung mit der Welt abzuschließen. Während sie sich auf den Tod vorbereiten,
kommt ein polnischer Soldat ihres Regiments zu Schlitten vorübergefahren
und rettet seine halberstarrten Officiere in den nächsten kleinen Ort, wo sie
Truppen ihres Regiments finden. „Wir können nur bei den Unsrigen näch¬
tigen," hatte der rettende Soldat sogleich den beiden Gefährten gesagt —
„unter den Franzosen und Italienern können wir nicht bleiben, die schlagen
uns todt und nehmen uns Pferd und Schlitten."




Literatur.
Aus Sicilien. Cultur- und Geschichtsbilder von Otto Hartwig. Zweiter
Band (Cassel und Göttingen bei Georg H. Wigand) 1869.

Der erste Band dieser Schrift ist seiner Zeit in den Grenzboten so ausführlich
besprochen und beurtheilt worden, daß wir uns bezüglich der Fortsetzung derselben auf
die Angabe des Inhalts beschränken können, durch welche der Verfasser seine früheren an¬
ziehenden Darstellungen bereichert hat. — An die Spitze des zweiten Bandes sind drei
lebensvoll geschriebenen Bilder aus der sicilianischen Culturgeschichte gestellt: „Ein Auto-
da-fe in Sicilien, im 18. Jahrhundert" (die im Jahre 1724 vollzogene Verbrennung


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0249" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/120438"/>
          <p xml:id="ID_724" prev="#ID_723"> der Ansicht, daß bis Smolensk auf dem Rückzüge eigentlich gar<lb/>
kein genügendes Motiv zu den dort schon so kraß sich offen»<lb/>
härmten Unordnungen vorhanden gewesen. Bei Pultusk, bei<lb/>
Ostrolenka und bei Eylau sei es viel kälter gewesen, nur habe man damals<lb/>
nie einen Unbewaffneten gesehen." Auf dem Rückzüge soll es deren schon<lb/>
bei Kraßnoy 30&#x2014;40,000 gegeben haben und Brandt versichert uns, daß<lb/>
höchstens Veo^Vio derselben wirklich unfähig gewesen sei. die Waffen zu<lb/>
führen &#x2014; alle übrigen waren weggelaufene Vagabunden.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_725"> &#x201E;Daß auch nur ein Franzose der großen Armee entkam, war die Schuld<lb/>
der Russen &#x2014;" in diesen Satz faßt unser Autor sein schließliches Urtheil<lb/>
über jenen Feldzug zusammen, der Napoleons glänzender Laufbahn ein<lb/>
rasches Ende bereitete. &#x2014; Er selbst (das bemerken wir noch zum Schluß)<lb/>
wurde nur durch ein Wunder gerettet: nachdem sie wochenlang bei der<lb/>
strengsten Kälte an ihren Krücken nach Westen gehinkt waren, sanken Brandt<lb/>
und sein Camerad unweit Kowno ohnmächtig in den Schnee, um ihre Rech¬<lb/>
nung mit der Welt abzuschließen. Während sie sich auf den Tod vorbereiten,<lb/>
kommt ein polnischer Soldat ihres Regiments zu Schlitten vorübergefahren<lb/>
und rettet seine halberstarrten Officiere in den nächsten kleinen Ort, wo sie<lb/>
Truppen ihres Regiments finden. &#x201E;Wir können nur bei den Unsrigen näch¬<lb/>
tigen," hatte der rettende Soldat sogleich den beiden Gefährten gesagt &#x2014;<lb/>
&#x201E;unter den Franzosen und Italienern können wir nicht bleiben, die schlagen<lb/>
uns todt und nehmen uns Pferd und Schlitten."</p><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
        </div>
        <div n="1">
          <head> Literatur.</head><lb/>
          <div n="2">
            <head> Aus Sicilien. Cultur- und Geschichtsbilder von Otto Hartwig. Zweiter<lb/>
Band (Cassel und Göttingen bei Georg H. Wigand) 1869.</head><lb/>
            <p xml:id="ID_726" next="#ID_727"> Der erste Band dieser Schrift ist seiner Zeit in den Grenzboten so ausführlich<lb/>
besprochen und beurtheilt worden, daß wir uns bezüglich der Fortsetzung derselben auf<lb/>
die Angabe des Inhalts beschränken können, durch welche der Verfasser seine früheren an¬<lb/>
ziehenden Darstellungen bereichert hat. &#x2014; An die Spitze des zweiten Bandes sind drei<lb/>
lebensvoll geschriebenen Bilder aus der sicilianischen Culturgeschichte gestellt: &#x201E;Ein Auto-<lb/>
da-fe in Sicilien, im 18. Jahrhundert" (die im Jahre 1724 vollzogene Verbrennung</p><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0249] der Ansicht, daß bis Smolensk auf dem Rückzüge eigentlich gar kein genügendes Motiv zu den dort schon so kraß sich offen» härmten Unordnungen vorhanden gewesen. Bei Pultusk, bei Ostrolenka und bei Eylau sei es viel kälter gewesen, nur habe man damals nie einen Unbewaffneten gesehen." Auf dem Rückzüge soll es deren schon bei Kraßnoy 30—40,000 gegeben haben und Brandt versichert uns, daß höchstens Veo^Vio derselben wirklich unfähig gewesen sei. die Waffen zu führen — alle übrigen waren weggelaufene Vagabunden. „Daß auch nur ein Franzose der großen Armee entkam, war die Schuld der Russen —" in diesen Satz faßt unser Autor sein schließliches Urtheil über jenen Feldzug zusammen, der Napoleons glänzender Laufbahn ein rasches Ende bereitete. — Er selbst (das bemerken wir noch zum Schluß) wurde nur durch ein Wunder gerettet: nachdem sie wochenlang bei der strengsten Kälte an ihren Krücken nach Westen gehinkt waren, sanken Brandt und sein Camerad unweit Kowno ohnmächtig in den Schnee, um ihre Rech¬ nung mit der Welt abzuschließen. Während sie sich auf den Tod vorbereiten, kommt ein polnischer Soldat ihres Regiments zu Schlitten vorübergefahren und rettet seine halberstarrten Officiere in den nächsten kleinen Ort, wo sie Truppen ihres Regiments finden. „Wir können nur bei den Unsrigen näch¬ tigen," hatte der rettende Soldat sogleich den beiden Gefährten gesagt — „unter den Franzosen und Italienern können wir nicht bleiben, die schlagen uns todt und nehmen uns Pferd und Schlitten." Literatur. Aus Sicilien. Cultur- und Geschichtsbilder von Otto Hartwig. Zweiter Band (Cassel und Göttingen bei Georg H. Wigand) 1869. Der erste Band dieser Schrift ist seiner Zeit in den Grenzboten so ausführlich besprochen und beurtheilt worden, daß wir uns bezüglich der Fortsetzung derselben auf die Angabe des Inhalts beschränken können, durch welche der Verfasser seine früheren an¬ ziehenden Darstellungen bereichert hat. — An die Spitze des zweiten Bandes sind drei lebensvoll geschriebenen Bilder aus der sicilianischen Culturgeschichte gestellt: „Ein Auto- da-fe in Sicilien, im 18. Jahrhundert" (die im Jahre 1724 vollzogene Verbrennung

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_120192
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_120192/249
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_120192/249>, abgerufen am 28.09.2024.